Japaner arbeiten bis zum Umfallen und schlafen nie

Eine der Mythen, die mir begegnete, war die Mär, dass japanische Firmenmitarbeiter bis zum Umfallen und viel länger als deutsche Arbeitnehmer arbeiten. Ich lernte schnell die wahre Seite des Arbeitslebens in Japan kennen.


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Es stimmt, die Abwesenheit von der Familie bzw. von der Wohnung ist bei Japanern wesentlich höher als bei deutschen Arbeitnehmern. Da kommen schon mal 14 – 18 Stunden Abwesenheit zusammen.

Aber man muss schon genau hinschauen, was Arbeit und was ‘Nebenschichten’ sind. Da ist einerseits die Fahrt zur Arbeit, die im Großraum Tokyo schon mal 200 km weit sein kann und per Zug bis zu 2 Stunden dauert. Das sind dann pro Tag 4 Stunden, die für die Fahrt zur Arbeit aufgewendet werden. Daher schlafen Japaner auch im Zug, selbst im Stehen wird gedöst.

Was auch auf das Konto Abwesenheit von der Familie geht, ist das gemeinschaftliche ‘Feiern’ der Belegschaften nach Feierabend. Ich hatte im Beitrag Arbeitsleben – ‘Feiern’ nach der Arbeit darüber berichtet. Da kommt es schon vor, dass ein Mitarbeiter nicht vor 24:00 Uhr nach Hause kommt und um 6:00 Uhr wieder zur Arbeit muss. Dies muss man im Hinterkopf haben, wenn man die folgende Episode liest.

Es war bei meinem letzten Arbeitsaufenthalt in Japan, als ich zur Projektinbetriebnahme mit einem Mitarbeiter dort weilte. Man macht sich vorab einen groben Arbeitsplan und kalkuliert, wie viele Tage mit Reserve gebraucht werden. Während dieser Inbetriebnahmen habe ich immer versucht, zügig zu arbeiten, so dass es abends auch länger, bis 20:00 oder 22:00 Uhr ging. Es war mir lieber, ein paar Tage früher fertig zu sein, als den Termin zu reißen – zumal der Rückflug fest gebucht war. Das hatte den weiteren Vorteil, dass man nicht zu den abendlichen ‘Feiern’ der Belegschaft musste und auch keine langen Abenden im Hotel zu füllen hatte.

Am zweiten Tag fiel mir auf, dass ein paar junge Messtechniker in der Anlage herumlungerten und erst verschwanden, als auch der deutsche Mitarbeiter und ich Feierabend machten. Die Leute erklärten mir am Folgetag, dass der Chefingenieur sie vergattert hatte, so lange zu arbeiten, wie die Deutschen in der Anlage wären. Also habe ich den Chefingenieur angesprochen und darauf gedrungen, die Leute zügig in den Feierabend zu schicken. Ich wusste ja, dass diese teilweise über Stunden in der Bahn saßen, um nach Hause zu kommen. Der japanische Ingenieur machte aus diesen Gründen jedenfalls immer zeitig Feierabend.

Am Abend waren die Leute tatsächlich verschwunden und ich dachte so bei mir ‘ob das beim ersten Anlauf wirklich angekommen ist?’. Der deutsche Mitarbeiter und meine Wenigkeit arbeiteten also fleißig weiter. Irgendwann wollte der Mitarbeiter sich einen Becher Wasser aus dem Aufenthaltsraum holen. Er kam sehr schnell zurück und bemerkte, dass er die drei Techniker schlafend im Aufenthaltsraum gefunden habe. Die Leute hatten wohl Order, sich nicht blicken zu lassen, aber die Anlage erst nach uns zu verlassen.

Also habe ich den Chefingenieur am Folgetag ein zweites Mal zur Seite genommen und sehr deutlich kommuniziert, dass ich nach regulärem Feierabend der Belegschaft keinen Techniker mehr in der Anlage zu sehe wünsche. Wenn die Notwendigkeit für technische Unterstützung gebraucht würde, wolle ich diese von ihm am Vortag anfordern. Ich wies ihn zudem an, den Werksschutz und die Werksfeuerwehr darüber zu informieren, dass zwei Personen länger in der Anlage arbeiten – das ist aus Sicherheitsgründen Standard in der Chemieindustrie. Nach dieser eindringlichen Anweisung scheint das Ganze geklappt zu haben. Ich hatte freie Hand und habe keinen Techniker mehr in der Anlage gesehen.

Der Werksschutz bekam sowieso mit, dass wir die Anlage verließen. Wir wurden mit einer tiefen Verbeugung am Werkstor entlassen. Und am Morgen ging, sobald wir durch das Werkstor einliefen, sofort die Meldung an den Chefingenieur, dass wir wieder heil angekommen seien. Andere Länder, andere Sitten. War eine neue Lektion: Für Japaner war es eine Frage der Ehre, nicht kürzer als die Deutschen zu arbeiten – der Nimbus ‘arbeiten bis zum Umfallen’ musste erhalten bleiben – ob das Sinn macht oder nicht.

PostScriptum: Die Anlageninbetriebnahme hat geklappt. Und wird hatten soviel Zeitpolster, dass wir die Wochenenden für Sight Seeing in Nikko, Kamakura und in Tokyo nutzen konnten. Dazu später aber mehr.


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