TTIP: Infos und die Folgen

Kein Abkommen ist so umstritten wie das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP. Am Wochenende fand eine große Demonstration in Hannover statt, in der Menschen gegen TTIP protestiert haben. Nach dem Willen der Amerikaner soll das Abkommen dieses Jahr unter Dach und Fach. In diesem Blog-Beitrag möchte ich interessierten Lesern einige Informationsquellen an die Hand geben, um sich selbst zu informieren.


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Aktuell gehen die Verhandlungen über das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP wohl in die Endphase über. Präsident Obama weilt in Deutschland, um auf der Hannover-Messe für dieses Abkommen zu werben (siehe diesen Artikel in der Süddeutsche Zeitung). Die Großindustrie wird nicht müde, uns die angeblichen Vorteile zu verkaufen – "grenzenloser Handel", Abbau der Handelshemmnisse, Abgleich der Standards uns so weiter. Mit TTIP planen die USA mit der EU die größte Freihandelszone der Welt, mit rund 800 Millionen Menschen, zu schaffen. Ein kurzes Video sowie dieser Artikel auf Tagesschau.de versucht das Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) sowie das bereits ausgearbeitete, aber noch nicht ratifizierte Abkommen, CETA ("Comprehensive Economic and Trade Agreement") zwischen Europa und Kanada, zu erklären.

Die Lobby-Maschine läuft

Wer die Presse in den letzten Jahren bezüglich CETA und TTIP verfolgt hat, konnte insbesondere in industrienahen Zeitschriften die Lobby-Arbeit verfolgen. Kaum ein Artikel, der nicht die Vorteile der Freihandelsabkommen in höchsten Tönen lobte. Lediglich dieser Artikel (gelöscht), in dem der Präsident der Mittelstandsvereinigung, seine Bedenken äußert , ist mir in Erinnerung geblieben. Speziell die Schiedgerichte werden als "Trojanisches Pferd" für die Großkonzerne gesehen.

Im Artikel Im Empörungswahn erblödet sich Zeit Online in thumber Weise über den Protest gegen TTIP anzuschreiben. Zitat "Beim Thema TTIP sind Politikverdruss und Antiamerikanismus fast zum Selbstzweck geworden. Der Protest ist blind für die Vorteile: Das Handelsabkommen ist Europas Chance." Dabei hebt man auf die Finanzierung von Campact ab, die man zwar hinterfragen könnte. Aber das geht am Thema vorbei – bei Lektüre des Artikels empfinde zumindest ich das Thema durch die "rosarote Brille" weichgespült. Bedenken gegen dies und jenes? Wird mit Banalitäten als "Gedanken von Aluhut-Trägern" abgetan. Die Leute sind zu doof, die Vorteil zu erkennen … die Kommentare zum Artikel sprechen in meinen Augen Bände.

Stopp TTIP! Yes, we can

Dabei ist TTIP höchst umstritten – nicht nur das vielzitierte "Chlor-Hühnchen" oder "Genfood" drohen. Sondern unsere Eliten aus Politik und Wirtschaft sind dabei, unser Rechtsgefüge und die Entscheidungsfreiheit wie ein Linsengericht zu verscherbeln (siehe z.B. Gabriel will CETA und TTIP – Freie Fahrt für den Freihandel).

Laut einer, in tageschau.de zitierten, Bertelsmann-Studie lehnt inzwischen jeder dritte Bundesbürger TTIP ab. Die Zustimmung sank von 17 Prozent in 2014 auf gerade einmal 17 Prozent in 2016. Fast jeder zweite Deutsche (48 Prozent) fürchtet negative Folgen für den Verbraucherschutz und die Zustimmung im Hinblick auf den globalen Handel liegt nur noch bei 56 Prozent. Während die Eliten in "Parallelgesellschaften" agieren und über TTIP verhandeln oder ihre Gelder in Briefkastenfirmen von Steueroasen parken (Stichwort Panama Papers), spüren viele Menschen zwischenzeitlich, dass sie zu den Verlierern der Globalisierung gehören. Auch in den USA sinkt die Zustimmung zu Freihandelsabkommen mittlerweile rapide (siehe TTIP und TPP in den USA – Widerstand von links und rechts.

Greenpeace warnt, dass TTIP "ein Angriff auf die Demokratie" sei und zur Absenkung europäischer Schutzstandards für Landwirtschaft und Gentechnik führe. Zitat "Wir halten dieses Handelsabkommen nicht für nötig, um den Handel zu erleichtern und fordern das Ende der Verhandlungen." Im Umfeld des Obama-Besuchs auf der Hannover-Messe demonstrierten zehntausende Menschen gegen TTIP in der gegenwärtigen Form (siehe Zeit Online und Tagesschau).

Die angeblichen Vorteile von TTIP und die Gegenstimmen

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung versucht in diesem Artikel einige Positionen, Vorteile und Nachteile aufzuzeigen. Die EU schätzt die Vorteile für die Europäer auf jährlich 119 Milliarden Euro ein. Das Münchener Ifo-Institut schätzt in einer Studie für das Bundeswirtschaftsministerium bis zu 110.000 neue Arbeitsplätze für Deutschland über die gesamte Laufzeit, wenn das Abkommen tatsächlich im großen Stil Handelsbarrieren beseitigt. Europaweit hofft man auf rund 400.000 neue Arbeitsplätze (in der Autoindustrie, im Maschinenbau und der Elektrotechnik, aber auch bei Chemie- und Pharmaherstellern). In Amerika sehen die Forscher vor allem neue Stellen in der Agrarindustrie. Nur mal auf der Zunge zergehen lassen: Man schätzt, hofft und glaubt neue Stellen in der US-Agrarindustrie zu sehen, die mit Gentechnik im großen Stil umgeht. Europäische Landwirte werden noch mehr an die Wand gedrückt. Das Ganze gipfelt in dem Artikel "Wir haben Vorteile von TTIP nicht genug erklärt", der die Positon der US-Handelsministerin Penny Pritzker transportiert. Man muss nur den "dummen" Leuten das Ganze richtig erklären.


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Interessant ist, welche anderen Meinungen denn so vorherrschen. Unter TTIP: fragwürdige Vorteile werden die Lobpreisungen der obigen Studien hinterfragt und zerlegt. Insbesondere die Erfahrungen von 20 Jahren NAFTA (USA-Kanada-Mexiko) sollten aufhorchen lassen. In der TAZ findet sich aktuell der Artikel Mexiko warnt Europa – dort zieht Mexiko nach 22 Jahren NAFTA-Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada eine fatale Bilanz. Zitat: "Es gibt wenige Gewinner und sehr viele Verlierer".

Und es gibt frühere Artikel wie dieser TAZ-Beitrag, oder der Beitrag in der Süddeutsche Zeitung sowie hier zeigen die Risiken auf. Die nebulösen Heilsversprechen lösen sich in Luft auf und die Fratze des Kapitalismus wird plötzlich sichtbar. In Mexiko wurden Existenzen von Kleinbauern durch billige Gen-Mais-Exporte aus den USA vernichtet. Aber auch in den USA sind durch NAFTA 700.000 Arbeitsplätze weggefallen. Update: Ganz aufschlussreich ist auch der Artikel Deal unter Forschern – Wie TTIP mit Fakten hantiert des Deutschlandfunks.

Ökonomie-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz titelt "TTIP ist überflüssig und gefährlich" und meint "Gefahren von TTIP werden in Deutschland unterschätzt". Ein ausführliches Interview in Zeit Online beleuchtet seine Positionen. Auch der Ökonom Professor Max Otte warnt vor TTIP und der völligen Entmachtung der Politik.

TTIP, sorry, Vertrauen verspielt

Die Protagonisten werden zwar nicht müde, die "Vorteile" zu betonen – mehr Arbeitsplätze, mehr Handel, mehr Wohlstand. Aber ich werde bei solchen Lobpreisungen immer ganz hibbelig. Selbst wer keine Meinung zu TTIP hat oder dem Ganze neutral bis positiv gegenüber steht, sollte aufmerken. Die Verhandlungen zu TTIP werden seit 2013 im Geheimen geführt. Erst nach massiven Protesten lenkte die EU-Kommission ein bisschen ein (und hier). Seit Januar 2016 bekommen Bundestagsabgeordnete Einsicht in TTIP-Verhandlungspapiere in einem speziell gesicherten Leseraum. Sprich: Vor der neuen Verhandlungsrunde durften Bundestagsabgeordnete Anfang 2016, nach massivem Druck, die geheimen TTIP-Dokumente in einem Lesesaal einsehen (siehe Schlauer nach geheimer TTIP-Lektüre?). Nur mal angemerkt: In den USA erhalten Kongressabgeordnete alle Verhandlungspapiere vor jedem Treffen der Kommissionen zur Abstimmung des Verhandlungsmandats. Da kommt doch automatisch ein Ur-Vertrauen auf – oder etwa nicht?

Schiedsgerichte – Lizenz zum Geld drucken für Anwälte und Konzerne

Besonders umstritten sind die in CETA und TTIP vorgesehenen Schiedgerichte. Befürworter tun die sich ergebenden Risiken als vernachlässigbar ab. Eine aufschlussreiche Artikelreihe hat Spiegel Online unter Schiedsgerichte: Die Kläger-Clique kürzlich veröffentlicht. Dort wird hinter die Kulissen bisheriger Schiedsgerichte geschaut und dokumentiert, wie diese durch internationale Anwaltskanzleien ausgeweitet werden. Mit dabei: Die Niederlande, die Klagen durch ein spezielles Gesetz ermöglichen.

Und hier werden die Risiken durch CETA unter die Lupe genommen und an den 22 Klagen unter NAFTA gespiegelt. Zitat: Kanada hat bis jetzt 121 Millionen Euro an amerikanische Investoren bezahlt. Ist etwas mehr als in der Portokasse so rumfliegt. Auch der Ökonomieprofessor Max Otte spricht sich in dem bereits zitierten Interview gegen Schiedsgerichte aus. Im Artikel Geht TTIP auch ohne Schiedsgerichte? deutet man an, dass es auch ohne die Schiedsgerichte gehen könnte – aber das dürfte nicht im Interesse der Großkonzerne sein – wird also in verschleierter Form kommen.

Fazit: Ein Selbstläufer wird TTIP nicht – und Eliten in Politik und Wirtschaft tun gut daran, sich eine Denkpause zu verordnen, wenn sie nicht komplett das Vertrauen der Bevölkerung verspielen wollen. Halten wir es mit Stiglitzt "USA wollen mit TTIP die Weltwirtschaft steuern" – Die Parlamente – und damit die Bürger – sollen entmachtet werden. Sein Vorschlag in diesem Interview:

Die Handelsminister könnten den Abgeordneten beispielsweise vorschlagen, die Regeln für Reifen oder Scheinwerfer anzugleichen und fragen: Gibt es dagegen fundamentale Argumente? Das wird wahrscheinlich nicht der Fall sein, also könnte man hier die Regeln harmonisieren. Wenn die Handelsminister aber beispielsweise mit gentechnisch veränderten Pflanzen und Lebensmitteln ankämen, würden Ihre Abgeordneten sicher aufschreien und fordern: Nein, beim Anbau von Pflanzen muss unser hoher Standard die Regel ein. Dann könnten die Amerikaner wiederum vorschlagen, wenigstens ihre Lebensmittel mit klarer Kennzeichnung exportieren zu dürfen. So könnte regulatorische Differenzierung funktionieren. Wir würden durch so ein Verfahren jedenfalls nicht mehr so tun, als ob Harmonisierung an sich gut ist. Und wir würden verhindern, dass die Produzenten den Ton angeben – so wie es derzeit der Fall ist.

In diesem Sinne: Stopp TTIP – Yes we can! [Update: Noch ein kleiner Nachtrag in Form eines Kommentars in Zeit Online.]


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