Es gibt Dinge im Leben, die einfach in die Hose gehen müssen. Meine Frau mault auch immer "wenn es nach dir ginge, würde man nie etwas neues einführen", wenn ich mal wieder partout nicht einsehen will, warum das alte Geschirr gegen ein neues, aber furchtbar unpraktisches Design ausgetauscht werden soll. Scheinbar geht es anderen ähnlich: Denn der Start Screen in Windows 8, über den die Apps aufgerufen werden, scheint Microsoft im Moment stark zu beschäftigen. Zumindest muss man diesen Eindruck gewinnen, wenn man die Blog-Beiträge von Steven Sinofsky verfolgt.
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Am 3. Oktober war man noch optimistisch und erläuterte in diesem Blog-Beitrag die Evolution des Startmenüs – und erntete einen Rattenschwanz an Kommentaren. Einen Tag später gab es dann den Artikel Designing the Start screen, in dem ein paar Hintergründe und Möglichkeiten zur Anpassung erläutert wurden. Und es gab noch mehr Kommentare. Ich hab's mir, ehrlich gesagt, nicht wirklich durchgelesen. In meiner Developer Preview habe ich ein WSH-Skript montiert, mit dem ich für Tests wahlweise auf den klassischen Desktop samt Startmenü oder auf den Start Screen umschalten kann. Zum Analysieren ist der Start Screen aber i. d. R. abgeschaltet.
Beratungsresistenz? Mitnichten, vorgestern hat Sinofskys Steven auf die vielen Kommentare geantwortet. Nach viel Rauschen kommt die Aussage, dass Microsoft in Studien herausgefunden habe, dass Benutzer im Mittel "57 unterschiedliche Anwendungen" über einen Zeitraum von mehreren Monaten verwenden, also auch starten.
Dann wird eine Tabelle im Blog-Beitrag aufgeführt, nach der das Windows 7-Startmenü maximal 20 Einträge unter "Alle Programme" aufnehmen kann. Der Windows 8 Start Screen enthält dagegen – je nach Auflösung – zwischen 36 und 150 Tiles für Apps. Aber man deutet "Licht am Ende des Tunnels" an. In der Beta von Windows 8 soll der Start Screen um eine neue Ansicht als Nachfolger des Eintrags "Alle Programme" des Startmenüs erweitert werden.
gelöscht
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Wie Martin von Dr. Windows hier schreibt, soll der Anwender auch mehr Möglichkeiten erhalten, den Start Screen von Windows 8 anzupassen. PC Welt hat ebenfalls einen Artikel zu diesem Thema.
So ganz überzeugend ist das alles für mich persönlich nicht. Erstens zähle ich mich nicht zum Kreis der "durchschnittlichen Anwender". Zweitens habe ich "Alle Programme" eigentlich kaum genutzt, sondern das Suchfeld zum Eingeben der Begriffe verwendet und dann die gefilterten Befehle angeklickt. War schnell und effizient. Und Drittens bin ich lange genug im IT-Geschäft, um zu wissen, dass man Bewährtes nicht einfach ersetzen soll. Zig Millionen Anwender sind in Firmen und Privathaushalten mit der gegenwärtigen GUI von Windows XP, Windows Vista und Windows 7 vertraut (die Anwenderschaft wurde ja quasi seit 1995 durch Windows 95 und Nachfolger entsprechend sozialisiert). Da ersetzt man nicht einfach mal so alles.
Klar kann man von Microsoft den neuen Start Screen in Windows 8 einführen – auf Tablets macht es sogar einen gewissen Sinn. Wenn man aber Erfolg haben will, sollte es Wege für eine sanfte Migration geben. Und dazu gehört auch, dass Firmen die Möglichkeit haben müssen, den Start Screen auf Desktop-Systemen per Gruppenrichtlinie abzuschalten.
Übrigens: In allen bisherigen Windows-Versionen gab es die Möglichkeit, das "klassische Startmenü" der vorherigen Windows-Ausgaben einzuschalten. Haben zwar nur wenige Anwender genutzt, aber die Option war da. Und nun soll das alles "hau ruck" über Bord gehen? Das kann ich kaum glauben, egal was Steven Sinofsky da in seinem Blog faselt.
Und für den Start Screen bzw. für die Apps sollte sich Microsoft auch noch was ins Stammbuch schreiben. Auf dem iPad bin ich tierisch genervt, weil dort die installierten Apps auf mehreren Seiten verteilt oder zwischenzeitlich in Ordnern untergebracht sind. Ständig bin ich nach Apps am Suchen, weil die Bedienoberfläche in dieser Hinsicht ziemlich untransparent ist. Bei Android bin ich teilweise noch mehr genervt, weil die App-Symbole ebenfalls auf diversen Seiten rumfliegen. Und nun führt Microsoft auch noch Tiles ein, die wesentlich größer als App-Symbole sind. Von der Ergonomie her gesehen: tödlich.
Und noch einen mag ich jetzt nachschieben: Die Design-Guidelines zur Windows-Fenstergestaltung (seit Windows 3), die Bibel der Entwickler, fand ich genial. Anwender wurden mit Generationen von Anwendungen konfrontiert, bei denen man sicher sein konnte, dass das erste Menü "Datei" hieß und Befehle zum Öffnen oder Speichern von Dokumenten, zum Drucken oder zum Beenden der Anwendung hatte. Und ich habe bei jeder neuen Windows-Version von Microsoft gelernt, wie sehr man dieses oder jenes in Usability-Labs analysiert und verbesserte habe. Das hat scheinbar auch gestimmt – von der Usability der bisherigen WIndows-Versionen war ich in dieser Hinsicht auch überzeugt. Aber zwischenzeitlich werde ich das Gefühl nicht los, dass das alles planlos über Bord geworfen wird. Beim iPad nervt es mich z. B. tierisch, dass da jeder Entwickler meint, seine eigenen Vorgaben zur Gestaltung der APP-UI verfolgen zu müssen. So viel wie beim iPad habe ich unter Windows lange nicht nach Bedienelementen gesucht. Bei manchen Apps habe ich erst nach Wochen herausgefunden, wie bestimmte Bedienfunktionen aufgerufen werden können. Intuitiv bedienbar schreibt sich nach meinem Verständnis anders.
Und nun darf man dreimal raten, wie das wohl mit dem App-Fenstern der Metro UI weitergeht, wo jeder die Inhalte der App-Fenster nach eigenem Gusto in HTML5 mit CSS3 gestalten darf.
Jedenfalls würde ich meinen Arsch nicht darauf verwetten, dass Microsofts Pläne für den Start Screen in Stein gemeißelt sind. Und wenn doch, wird es Zeit, meine letzten Microsoft Aktien zu verkaufen – viel Freude habe ich am aktuellen Kurs schon lange nicht mehr. Ich hab mich natürlich gefragt, ob ich nicht langsam alt werde, und ein Rückzug in die Barolo Fraktion angesagt wäre. Hat zwar seinen Reiz, aber ich denke, das hat noch etwas Zeit. Denn so ganz scheine ich mit meinem Bauchgefühl, dass der Start Screen ein Schuss in den Ofen ist, wohl doch nicht daneben zu liegen. Andrian Kingsley-Hughes hat hier bei ZDNet.com ebenfalls eine Menge Gedanken zum Start Screen veröffentlicht, die in ähnliche Richtungen gehen. Und zumindest nach dem Profilfoto hat der Typ deutlich weniger graue Haare als meine Wenigkeit, dürfte also auch signifikant jüngeren Baudatums sein.
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Ich habe heute auch (K/L)Ubuntu 11.10 geladen und mir mal angeschaut, da MS (oder Herr ich weiß alles besser und ihr dummen Kunden haltet bitte die Fresse Sinofsky) einfach auf stur schaltet. Dieses hin und her geschalte zw. Desktop und Metro geht mir auf die Nerven. Da wird man ja Seekrank. Live Tiles + Icons von nicht live tiles (Programmverknüpfungen) in einen Topf zu werfen und quer über das grüne Etwas zu verteilen ist doch Käse. Wo bleibt da die Logik? Dann wirkt das wie ein Paralleluniversum. Man wird komplett aus dem Workflow gerissen wenn man ein Programm starten will.
Bei Office 2007 hat MS erklärt die Nutzer schauen immer zuerst oben links hin. Was macht MS nun, die häufigsten Anwendungen (Desktop, Explorer) sind unten links auf dem Metro Dingens. Dann Fitts law anzuführen um große grüne Boxen auf den Desktop zu klatschen damit man das leichter trifft ist ein Witz. Das ist gut fpr tablets nervt aber beim Desktop. Aber wie Herr Oberschlau ja immer sagt, Windows 8 ist kein Kompromiss. Wenn dieser Mist kein Kompromiss ist bin ich der Kaiser von China. Viele Anwendungen gibts nur als Desktopanwendungen (Explorer), da soll man dann per Finger klarkommen. Das wird nichts.
Wie schon angedeutet werde ich mir in Zukunft mal mehr Linux anschauen. Den Metro Mist tue ich mir nicht auf dem Desktop an.
@André: Ups – ick staune ;-).
Und gestern ist hier der Download von Ubuntu 11.10 spät abends noch durchgelaufen. Aber nach einem Tag Buchmesse war ich einfach zu kaputt, um da auch noch die Nacht einen Ubuntu 11.10 Kurztest zu bloggen – wollte ich heute oder morgen nachholen.
Zu deinen grundsätzlichen Erwägungen: Da bin ich voll bei dir. Ich habe 1995/96 Nancy Cluts "Programming the Windows 95 User Interface" für Microsoft Press übersetzt. Da stand viel gutes drin, was ich sofort unterschreiben kann. Aber ich sehe auch, dass momentan vieles, was vor 30 Jahren in Alto Parc und anderen Forschungseinrichtungen an Grundlagen erarbeitet wurde und viele Nutzer seit Windows 95 / Mac OS X 10.x-Zeiten befruchtet hat, nun langsam den Bach runter geht (ist bei Apple ja nicht anders). Alles schielt auf Social Media-Klimbim und vergisst den Kern. Das wird noch lustig werden ;-).
Zu Linux: Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, fand meine Erst-Begegnung so 1992 statt – damals hatte Linus Torvalds irgend eine 0.x oder 1.0 Version rausgebracht und ich hab's unter UMSDOS nach viel Stoppelei mit x window in Schwarzweiß zum laufen gebracht. Seit dieser Zeit habe ich meine Finger auch in Linux – und Windows überraschender weise "lieben gelernt". Denn die Linux-Jünger (oder besser gesagt die Entwickler der diversen x window Komponenten) sind noch "kreativer" als die MS-Mannen. Wenn ich da am Rande mitbekomme, was da zwischen KDE und Gnome sowie deren zukünftige Weiterentwicklung abgeht, bin ich nicht so sicher, wie glücklich man mit werden kann.
Ich habe zwar 1999 das erste Buch über Linux "statt Windows" geschrieben, aber schnell lernen müssen, dass die Entwickler schneller mit der Abfolge der Versionsveröffentlichungen waren als wir drucken konnten. Irgendwann habe ich die Reißleine gezogen und noch beim Eee PC 701 und den Netbooks einen kurzen "Rückfall" gehabt. Beruflich werde ich weiter mit Windows zu tun haben – oder auf Privatier machen müssen ;-).
Aber ich kann nur jedem empfehlen, sich mit Linux zu befassen. Entweder man kehrt reumütig zu Windows zurück (gilt imho für 95% der Leute) – oder man findet "die Liebe seines Lebens", zumindest was das OS betrifft ;-). Ich kann mich da nicht entscheiden, gibt ein paar ganz nette Distributionen. Aber mir ist an vielen Stellen zu viel Stoppelei dabei. Und die Zeiten, an denen ich mit wachsender Begeisterung an der Konsole unterwegs war, glaubte ich eigentlich seit 1993 hinter mir gelassen zu haben (damals bin ich von DOS zu Windows 3.1 gewechselt und habe es genossen, endlich eine grafische Bedienoberfläche zu haben). In Linux hänge ich spätestens nach 5 Minuten doch in der Konsole, verschaffe mir root-Rechte und bin ganz wild am mounten, unmounten, ls-en, etc. Dann liegt eigentlich immer meine Laborkladde links neben der Tastatur, damit ich da die Aufzeichnungen nachschlagen kann, wie man ganz fix einen Samba-Server überprüft, mit modprobe die Module inspiziert und wie der dd-Befehl nun genau geht. Ist eine andere Welt als Windows – und man muss sie mögen, um heimisch zu werden ;-).
Aber es gibt Leute, die schwören auf Linux – und wollen mich regelmäßig steinigen, wenn ich die These aufstelle, dass "Linux" in der heutigen Form (gilt eigentlich für alle Distris und deren Forks) für 95 – 99% der Anwender "keine Liebe für's Leben" wird.