Kein Windows as a service: Betriebssysteme für die Raumfahrt

Ich glaube, ich schule um. Gerade bin ich auf einen unglaublichen Artikel gestoßen, der sich mit dem Thema Echtzeit-Betriebssysteme für Raumsonden befasst. So richtig ein Kontrastprogramm zu dem, was wir so täglich vorgesetzt bekommen und hier im Blog diskutieren. Das Thema führt mich sozusagen zu meinen Wurzeln als Ingenieur zurück, war meine erste Stelle nach dem Studium vor 41 Jahren doch genau im Bereich der Luft- und Raumfahrt angesiedelt.


Anzeige

Betriebssysteme müssen im Frühjahr und im Herbst aktualisiert werden … sagt Microsoft und demonstriert, wie erfolgreich man das praktizieren kann. Aber es gibt irgendwie hartnäckige Verweigerer, die die Ergüsse in Sachen Windows 10 aus Redmond einfach nicht wollen. Nein, ich meine jetzt nicht einen Teil der Blog-Leserschaft, sondern die Ingenieurskollegen, die Betriebssysteme  für Raumfahrtmissionen in Raumsonden einsetzen. Da hat Windows keine Chance (auch wenn der IoT-Zweig laut MS-Marketing da rein soll) – vielmehr wird auf Echtzeit-Betriebssysteme gesetzt, die unter widrigsten Bedingungen funktionieren müssen.

Arstechnica hat das Thema in diesem Artikel aufgegriffen und am Beispiel der ESA Solar Orbiter-Raumsonde aufgegriffen. Der Solar Orbiter soll Jahre in der Nähe der Sonne, noch innerhalb der Merkur-Bahn kreisen. Auf Merkur herrschen auf der der Sonne zugewandten Oberfläche Temperaturen von bis zu 450°C. Der Solar Orbiter verwendet einen speziellen Hitzeschild, um sich vor der Sonnenhitze zu schützen. Das setzt aber voraus, dass das Hitzeschild immer zur Sonnenseite zeigt.

Die maximal zulässige Abweichung des Hitzeschilds der Sonde in Bezug zur Sonne darf nur 6,5 Grad beträgt. Jede Abweichung von mehr als 2,3 Grad ist nur für eine sehr kurze Zeitspanne akzeptabel. Wenn etwas schief geht und eine gefährliche Abweichung festgestellt wird, hat der Solar Orbiter nur 50 Sekunden Zeit, um zu reagieren. Kaum auszudenken, wenn Windows 10 so was übernimmt und plötzlich wegen eines Updates neu booten muss.

Daher entwickelte die ESA ein Echtzeitbetriebssystem (RTOS) für den Solar Orbiter, das diesen Anforderungen gerecht wird. "Wir haben für diese Mission extrem hohe Anforderungen", sagt Maria Hernek, Leiterin der Abteilung Flugsoftware-Systeme bei der ESA. "Normalerweise dauert ein Neustart der Plattform wie dieser etwa 40 Sekunden. Hier hatten wir insgesamt 50 Sekunden Zeit, um das Problem zu finden, es zu isolieren, das System wieder betriebsbereit zu machen und Wiederherstellungsmaßnahmen zu ergreifen."


Anzeige

Das Betriebssystem Solar Orbiter ist echtzeitfähig und funktioniert deutlich anders, als das was wir von Apple, Google oder Microsoft kennen. Auch die NASA setzt auf Echtzeitbetriebssystem – VxWorks von WindRiver. Gibt dort aber auch schon mal Probleme, wie Arstechnica in diesem Artikel offen legt. Interessant fand ich die Vergleiche von Arstechnica in Bezug auf die Bootzeiten, die man mit Apples und Microsofts Betriebssystemen verglichen hat. Details lassen sich im Artikel nachlesen.

Ergänzung: Mir waren übrigens beide Betriebssysteme unbekannt – in meinem Kopf spuckt da eher QNX herum (ist mir in den 80er/90er Jahren immer wieder über den Weg gelaufen). Ich habe QNX aber nie eingesetzt, da ich 1981 eigene Betriebssystemfragmente für die damaligen Mikroprozessor-Systeme zur Prozessüberwachung und -steuerung geschrieben hatte. Die Systeme liefen damals teilweise auch in Extremumgebungen wie Chlorelektrolysen, wo wegen der enormen Magnetfelder und aggressiven Umgebung keine normalen Rechner betrieben werden konnten, aber ein Kurzschluss bei 300.000 Ampere Stromstärke durch eine Regelung vermieden werden musste. Das System hat wohl über 20 Jahre bis zur Außerbetriebnahme der Quecksilber-Chlorelektrolyse gehalten, wie ich später überrascht erfuhr.


Anzeige

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

6 Antworten zu Kein Windows as a service: Betriebssysteme für die Raumfahrt

  1. David sagt:

    Vielen Dank für diesen interessanten Artikel – der wäre mir, als "Nicht-fremdsprachler", glatt entgangen…

    mfg
    derTeichfloh

  2. Sascha sagt:

    Kleine Anmerkung, im ersten Satz des letzten Abschnitts gibt es einen kleinen Schreibfehler. "on" sollte wahrscheinlich "von" heißen.

  3. 1ST1 sagt:

    Ist RTOS wirklich selbst entwickelt? Ich meine diese Bezeichnungen mindestens seit den 1990ern zu kennen, z.B. gab es damals RTOS-UH und OS9 für den Atari ST.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Echtzeitbetriebssystem#Implementierungen

    Aber so eine Software für Sateliten hat auch ein ganz anderes Anforderungsprofil, und da geht es nicht nur um die hier geschiderte Situation. Denn solche Satelliten sind nicht in der Hand von Milliarden unbedarften Benutzern. Auf solchen Satelliten wird nicht unzählige Software aus unzähligen Quellen installiert. SOlche Sateliten haben eine sehr kontrollierte und fixe Hardwarekonfiguration und benötigen kein dynamisches Treibermodell. Solche Sateliten empfangen auch nicht von potentiell milliarden anderen Internetnutzern Emails mit Schadcode im Anhang. So ein Satelit ist auch nicht per Internet erreichbar (hoffe ich jedenfalls).

    So ein Satelit mit seinem Betriebssystem ist eine sehr sehr sehr kontrollierte Umgebung, wo nur die allernötigste Software drauf läuft, die nach höchsten Standards entwickelt, dokumentiert und geprüft wurde (hoffe ich jedenfalls) und nur eine Hand voll hochqualifizierter Spezialisten haben überhaupt Zugriff auf diese Sateliten.

    Das sind ganz andere Vorraussetzungen als ein Betriebssystem für die Masse (wozu ich auch die einschlägig gängigen Linux-Distributionen und Mac-OS zähle).

    In obigem Link zu Wikipedia sind eine größere Zahl Realtime-OSse aufgelistet. Installieren Sie sich die mal auf ihrem PC und schauen Sie mal, ob Sie damit glücklich werden… Viel Spaß.

  4. Anton_B sagt:

    Ja, Betriebsysteme .. egal von wem und für was … allen haben ihre Vor- und Nachteile … Und Microsoft macht es leider mit WaaS nicht besser ….

    Wie sieht es eigentlich mit Exoten wie eComStation und ArcaOS aus? (ehemals IBM OS/2 – böse Zungen haben es auch als das Halbfertige Betriebssystem bezeichnet ;-) )

    Kann/könnte man die alternativ zum Win 10 aktuell (Treibersupport, Usability z.B. Laufwerksbuchstaben etc.) auf die Menschheit loslassen ?

    Fragen über Fragen …

    PS: ArcaOS kostet aktuell 129 USD oder knapp 115 €.
    eComStation über 200 USD …

    • Bernard sagt:

      OS/2 war genial, hatte aber auch so einige Macken.

      Es war aber wesentlich stabiler als alles, was damals von Microsoft kam, vielleicht mit Ausnahme von NT 4.0.

      Dann ist HPFS imho besser als NTFS. Und JFS gibt es für OS/2 auch schon sehr lange, Microsoft kriegt sein ReFS überhaupt nicht auf die Reihe.

      Laufwerksbuchstaben gibt es auch unter OS/2, wobei ich Laufwerksbuchstaben für rückschrittlich halte. Das kann Linux besser.

      Das ist aber alles müssig. OS/2 für Endverbraucher ist inzwischen keine Alternative mehr.

  5. Mark Wolf sagt:

    VxWorks und QNX sind leider auch komerzielle System, die nicht unbedingt zu empfehlen sind. der ars technica Artikel liest sich wie Werbung von WindRiver und ist es wahrscheinlich auch. Da werden wohl einige darauf hereinfallen.

    Aber es gibt ein freies open source System: RTEMS. Der Vorteil dieses robusten und schnellen Systems ist neben der kostenfreien Verfügbarkeit ohne Lizenzgebühren die breite Hardwarebasis, die eingesetzt werden kann. Weltraummissionen verlangen eine strahlungsgehärtete HW Platform. RTEMS kann dort seine Vorteile voll ausspielen und hat bereits einige Missionen der ESA mitgemacht und arbeitet immer noch zuverlässig.
    https://www.rtems.org/

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Hinweis: Bitte beachtet die Regeln zum Kommentieren im Blog (Erstkommentare und Verlinktes landet in der Moderation, gebe ich alle paar Stunden frei, SEO-Posts/SPAM lösche ich rigoros). Kommentare abseits des Themas bitte unter Diskussion.

Du findest den Blog gut, hast aber Werbung geblockt? Du kannst diesen Blog auch durch eine Spende unterstützen.