Ende Oktober 2022 scheint es eine neue Welle von Abmahnversuchen gegen Betreiber von Webseiten zu geben. Begründung ist, dass auf den Webseiten Google Fonts zum Einsatz kämen und damit ein DSGVO-Verstoß vorliege. Hintergrund ist ein Urteil des Landgerichts München von Anfang 2022. Es deutet sich aber an, dass viele Abmahnungen rechtsmissbräuchlich sind – und es gibt sogar Fälle, wo der behauptete Sachverhalt unzutreffend ist – der Abmahner hat es halt mit einer Behauptung versucht. Nochmals ein grober Überblick für Betroffene. Update: Diverse Ergänzungen eingefügt.
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Worum geht es genau?
Betreiber von Webseiten in Deutschland (und möglicherweise anderen deutschsprachigen Ländern wie Österreich) erhalten ein Schreiben eines Anwaltsbüros oder eines Vereins, in dem die Verwendung von Google Fonts, die von einem Google Server nachgeladen werden, gerügt wird. Mir ist gerade ein Hinweis über Facebook zugegangen (siehe Screenshot), der auf das Thema hinweist.
Aber auch auf bei heise wird in einem Artikel Ende Oktober 2022 auf eine neue Abmahnwelle hingewiesen. Hier sollte niemand vorschnell handeln, denn diese Abmahnungen sind teilweise rechtsmissbräuchlich oder sogar unbegründet.
Google Fonts auf Websites rechtswidrig
Google Fonts sind Schriftarten, die in Webseiten verwendet und bei deren Besuch vom Browser des Benutzers von den Google Servern eingebunden werden können. Seit Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) im Mai 2018 ist diese Art des Einbindens von Google Fonts von den Google-Servern ohne besondere Einwilligung eines Webseitenbesuchers unzulässig. Hintergrund ist, dass auch eine dynamische IP-Adresse ein personenbezogenes Datum für für einen Webseitenbetreiber darstellt.
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Aber es gibt die Möglichkeit (neben dem Verzicht auf die Google Fonts) diese Schriftarten von Google lokal auf einem eigenen Server zu hosten. Dann greift die DSGVO nicht mehr. Im Januar 2022 erging vom Landgericht München auf Grund dieses Sachverhalts ein Urteil, dass die Einbindung von Google Fonts von den Google-Servern ohne spezielle Einwilligung des Nutzers als unzulässig ansah und dem Kläger einen "Schadensersatz" von 100 Euro zusprach.
Die Abmahnwellen
Dieses Urteil des Landgerichts München führt nun zu Abmahnwellen in Deutschland und Österreich, bei der Abmahn-Ritter verschiedener Couleur versuchen, sich auf Basis dieses Urteils bei Webseitenbetreibern schadlos zu halten. Ich hatte im August 2022 bereits im Blog-Beitrag Wissen: Google Fonts auf Webseiten, Abmahnung, Prüfung-Fallen auf diesen Sachverhalt hingewiesen. Dort finden sich auch einige Hinweise auf den Sachverhalt, wie man prüft, ob man betroffen ist und wie man sich ggf. bei einer Abmahnung verhalten soll.
Wer ein solches Schreiben im Rahmen der zweiten Abmahnwelle – oder künftiger Wellen – erhält, muss im ersten Schritt entscheiden, ob die Abmahnung sachlich berechtigt und auch rechtlich durchsetzbar ist.
- Betreiber einer privaten Webseite ohne kommerziellen Hintergrund (also auch keine Finanzierung durch Werbeeinblendungen) unterliegen meiner Einschätzung nicht der DSGVO – dort sind Abmahnungen unberechtigt.
- Abmahnungen von Privatpersonen oder Vereinen, die sich in ihren Rechten verletzt sehen, dürften juristisch auch auf wackeligen Beinen stehen. Die müssten klagen, um das Geld einzutreiben.
- Auch bei Abmahnanwälten ist erst einmal Zurückhaltung und Prüfung geboten – denn bei massenhaften Klagen werden Gerichte schnell einen Rechtsmissbrauch feststellen. Vergleiche auch die Ausführungen des heise-Juristen in diesem Artikel.
- Es gibt wohl Fälle, wo ein Sachverhalt behauptet wird, der sachlich nicht zutrifft, weil kein Google Fonts über Google Server gehostet werden.
Insgesamt bleibt Betroffenen nur, den Sachverhalt genau zu studieren, keinesfalls zu zahlen, und sich im Zweifelsfall Unterstützung von Fachanwälten zu holen.
Ergänzenden Informationen
Ergänzungen: Wer betroffen ist oder sich zum weiteren Sachstand informieren möchte, findet auf verschiedenen Webseiten von spezialisierten Rechtsanwaltskanzleien Artikel.Diese Webseite von Rechtsanwalt Andreas Kempcke listet wohl die aktuellen Abmahn-Kanzleien auf.
"IG Datenschutz" und der Fall Martin Ismail
An erster Stelle der oben verlinkten Liste wird Rechtsanwalt Kilian Lenard mit seinen Zahlungsaufforderungen für Herrn Martin Ismail angeführt. Über einen Fall zu dieser Abmahn-Konstellation in Verbindung mit Herrn Martin Ismail hatte ich im Blog-Beitrag Einstweilige Verfügung gegen Google Font-Abmahner vom LG Baden-Baden berichtet.
Der nachfolgend von Alexander Jacubowskygepostete Link Update zur einstweiligen Verfügung gegen „Martin Ismail" wegen der Google Fonts-Abmahnungen bezieht sich auf einen Artikel von Rechtsanwalt Arno Lampmann von LHR, die diese Verfügung erstritten haben. Im Artikel geht er RA Lampmann unzutreffende Angaben der "IG Datenschutz" , im Fall Martin Ismail ein. Rechtsanwalt Arno Lampmann nimmt an, dass die unzutreffenden Aussagen der "IG Datenschutz" weitere Verfahren nach sich ziehen. Zwischen den Zeilen deutet sich an, dass eine "gegnerische" Anwaltskanzlei aus Köln bereits auf einen Vergleich hin arbeitet.
Schreiben erhalten, Abwehrhinweise
Für Betroffene eines "Abmahnschreibens" hat die Kanzlei LHR diesen Artikel Google Fonts-Abmahnungen – Wann in den Papierkorb, wann zum Anwalt? veröffentlicht, der Hinweise zur weiteren Vorgehensweise enthält. In vielen Fällen kann sich der Empfänger einer "Abmahnung" sehr schnell aus der Thematik befreien.
Wer in diese Google Fonts-Falle gelaufen ist, findet ebenfalls bei Wilde Beuger Solmecke Rechtsanwälte diese Informationsseite samt Möglichkeit, ein Musterschreiben zur Abwehr dieser Forderungen, kostenlos herunter zu laden. Und es gibt eine Seite mit FAQ, Erklärungen und Ratgeber, wie man auf ein solches Schreiben reagieren soll und die Forderungen abwehren kann.
Für die Video-affinen Blog-Leser und -Leserinnen möchte ich noch auf dieses Video auf YouTube verlinken, wo sich Rechtsanwalt Jun zum Thema auslässt.
Stellungnahme der Rechtsanwaltskammer Berlin
Die Rechtsanwaltskammer Berlin ist wohl für einen der "Anwälte, der Massenabmahnungen verschickt" zuständig. Mit Datum vom 27. Oktober 2022 hat die Rechtsanwaltskammer eine Presseinformation Presseinformation zu den zahlreichen „Abmahnungen" wegen der Nutzung von Google Fonts veröffentlicht. Hier mal der Text als Zitat, falls dieser gelöscht wird.
Ein Berliner Rechtsanwalt wendet sich zurzeit im Namen eines Mandanten mit "Abmahnungen" an viele Webseitenbetreiber. Gegenstand der Abmahnung ist die Nutzung von „Google Fonts" auf der jeweiligen Website. Diese Nutzung soll eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Mandanten in Form des informationellen Selbstbestimmungsrechts nach § 823 Abs. 1 BGB darstellen. In den Schreiben wird u.a. angeboten, bei Zahlung eines geringen dreistelligen Betrages die Sache auf sich beruhen zu lassen. Nach unbestätigten Berichten in den sozialen Netzwerken sollen mehrere 10.000 solcher Abmahnungen verschickt worden sein.
Die Rechtsanwaltskammer (RAK) Berlin empfiehlt dringend, sowohl Berechtigung wie auch Inhalt einer Abmahnung sowie der darin geltend gemachten Forderungen einer rechtlichen Prüfung zu unterziehen. Die RAK selbst ist nicht befugt, diese rechtliche Beratung durchzuführen.
Die RAK Berlin erreichen auch viele Anfragen, ob und wenn ja, welche berufsrechtlichen Aufsichtsmaßnahmen von ihr ergriffen wurden. Dazu darf die Kammer jedoch wegen der in §76 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) angeordneten Verschwiegenheitspflicht keine Auskunft geben. Wir bitten um Verständnis.
Da passiert also auch etwas – wichtig ist die Passage im Hinblick auf die Prüfung auf Berechtigung wie auch Inhalt einer Abmahnung, der im Tenor der Information anderer Rechtsanwälte (Arno Lampmann, Solmecke) liegt.
Zur in obigem Artikeln angesprochenen Prüfung des Schreibens: Dies tut bitter nötig – da scheint es bei einigen Schreiben "drunter und drüber" zu gehen – wie man an den Aussagen in diesem Thread (sofern zutreffend) erkennen kann.
Auch sind mir Berichte erinnerlich, dass Sachverhalte (Google Font eingebunden) bekannt, die schlicht nicht zutreffen (keine Fonts von Google verwendet, also falsche Tatsachenbehauptungen). Ob Google Fonts aus dem Web eingebunden werden, lässt sich z.B. mit dem Google-Fotos-Checker prüfen.
Interessant finde ich in diesem Zusammenhang auch die Diskussion hier im heise-Forum. Sofern da einige Annahmen zutreffen, dürfte das noch spannend werden. In Österreich ist der gesamte Sachverhalt anders gelagert – dort kann m.W. nur die Datenschutzbehörde Bußgelder verhängen.
Siebenstellige Aktenzeichen für Abmahnungen
In nachfolgendem Tweet weist Stephan Schmidt von TCI-Rechtsanwälte darauf hin, dass er Aktenzeichen und Daten zur "angeblichen Feststellung des Verstoßes" zu Google Fonts aus Abmahnschreiben sammelt.
Er hat bereits Aktenzeichen mit einer siebenstelligen Nummer vorliegen – wenn das kein Beleg für eine Massenabmahnung ist, weiß ich es nicht.
Killian Lenard: Abmahnung "für die Tonne"?
Ich hatte es ja bereits in obigem Text anklingen lassen – man sollte die Abmahnung prüfen, ob die berechtigt und formal korrekt ist (kann notfalls ein Rechtsanwalt). Insbesondere gibt es Zweifel an der Vollmacht zur Mandantenvertretung mancher "Massen-"Abmahnschreiben. Rechtsanwalt Franz Partners hat auf Twitter jetzt einmal seine Einschätzung zu einer Abmahnung von Killian Lenard in einer Reihe von Tweets veröffentlicht.
Könnte sein, dass der Rechtsanwalt Killian Lenard für seine Abmahnungen einige Probleme bekommen könnte. Wie das standesrechtlich ausgeht, wird man abwarten müssen.
Strafanzeige gegen Abmahner
Ergänzung 2: Rechtsanwalt Stephan Schmidt hat zum 9. November 2022 Strafanzeige gegen einen Google Fonts-Abmahner aus Hannover und seinen Berliner Anwalt gestellt. Der Rechtsmissbrauch sei offensichtlich.
Nur mal zum nachdenken: In Deutschland befassen wir uns seit gefühlt über einem Jahrzehnt mit Abmahnmissbrauch. Da werden unnötige Rechtsstreitigkeiten geführt. In Österreich hat man das Thema Google Fonts elegant geregelt: Die Feststellung von Rechtsverstößen im DSGVO-Bereich liegt bei der Datenschutzbehörde (siehe). Der Rechtsanwalt, der in Österreich auf der Abmahnwelle reiten wollte, sieht sich jetzt einem Musterprozess gegenüber (siehe). Was machen die Österreicher bloß falsch, um solchen Anwälten jegliche Daseinsberechtigung zu entziehen? Ok, der letzte Satz war schwarzer Humor, streicht den Teilsatz hinter dem Komma und ersetzt Österreich gegen Deutschland – in Sachen Massenabmahnungen läuft in Deutschland absehbar seit über 10 Jahren was deutlich falsch. Schiebt euren Dank an 16 Jahre CDU-geführte Regierungsarbeit, die haben das versiebt.
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