Nach einem Urteil des Landgerichts München von Anfang 2022, welches einem Kläger Schadensersatz wegen Verwendung von Google Fonts zusprach, gab es Abmahnwellen in Österreich und in Deutschland. In Österreich sah sich einer der Anwälte einem Verfahren wegen Rechtsmissbrauch gegenüber. Und auch gegen den Berliner Anwalt Kilian Lenard ermittelt die Justiz und hat am heutigen 21. Dezember 2022 eine Razzia zwecks Beweissicherung durchgeführt.
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Über das Thema "Abmahnungen wegen Google Fonts hatte ich ja mehrfach hier im Blog berichtet (siehe Artikellinks am Beitragsende). Einige Privatpersonen, Anwälte und eine dubiose IG Datenschutz versuchten im Windschatten eines Urteils des Landgerichts München von Anfang 2022, welches einem Kläger Schadensersatz wegen Verwendung von Google Fonts zusprach, Kasse zu machen. Im August und später im Oktober 2022 kam es zu regelrechten Abmahnwellen in Sachen Google Fonts durch den Berliner Anwalt Kilian Lenard. Dieser handelte laut den jeweiligen Schreiben im Auftrag von Martin Ismail und der IG Datenschutz (siehe auch diesen Artikel der Rechtsanwälte Loschelder Leisenberg).
Mir war bekannt, dass einzelne Rechtsanwälte Anzeige gegen den Berliner Anwalt erstattet und in einem Fall sogar ein Unterlassungsurteil erstritten hatten. Nun nimmt die Angelegenheit Fahrt auf, denn die Justiz reagiert. Ich bin gleich an mehreren Stellen auf das Thema gestoßen. Einmal hat ein Blog-Leser in diesem Kommentar auf einen Bericht des Tagesspiegel verwiesen. Aber auf Twitter hat die Generalstaatsanwaltschaft Berlin eine Meldung zu den heutigen Durchsuchungen veröffentlicht.
Obiges Bild zeigt einige Tweets in diesem Umfeld, die sich mit dieser Thematik befassen. Auch auf Facebook ist mir die Meldung eines Anwalts zum Sachverhalt untergekommen.
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Durchsuchungen nach Abmahnwelle
In einer Pressemitteilung der Generalstaatsanwaltschaft Berlin gibt diese die Durchsuchung verschiedener Objekte bekannt. Die Durchsuchungen erfolgten bei einem 53‑jährigen Rechtsanwalt mit Kanzleisitz in Berlin (nach Recherchen ist dies der Anwalt Kilian Lenard) und dessen 41‑jährigen Mandanten (dies ist nach Web-Recherchen und Abmahnschreiben Herr Martin Ismail), dem angeblichen Repräsentanten einer "IG Datenschutz". Konkret wurden laut Staatsanwaltschaft Berlin Durchsuchungsbeschlüsse in Berlin, Hannover, Ratzeburg und Baden-Baden sowie zwei Arrestbeschlüsse mit einer Gesamtsumme vom 346.000 Euro vollstreckt.
In dem Verfahren gegen die zwei Beschuldigten geht es um versuchten Abmahnbetruges und der (versuchten) Erpressung in mindestens 2.418 Fällen. Den Beschuldigten wird laut Staatsanwaltschaft vorgeworfen, bundesweit Privatpersonen und Kleingewerbetreibende, die auf Ihren Homepages sog. "Google Fonts" – ein interaktives Verzeichnis mit über 1.400 Schriftarten, die das Schriftbild einer Webseite bestimmen – eingesetzt haben, per Anwaltsschreiben abgemahnt zu haben.
In den Abmahnschreiben des Anwalts wurde den Empfängern angeboten, ein Zivilverfahren gegen Zahlung einer Vergleichssumme in Höhe von jeweils 170 Euro vermeiden zu können.
- Die Staatsanwaltschaft wirft den Beschuldigten vor, dass diesen bewusst gewesen sei, dass die behaupteten Schmerzensgeldforderungen wegen Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nicht bestanden habe.
- Entsprechend sollen sie auch gewusst haben, dass für die Angeschriebenen kein Anlass für einen entsprechenden Vergleich bestand, da sie die angeblichen Forderungen gerichtlich nicht hätten durchsetzen können.
Die Androhung eines Gerichtsverfahrens soll daher tatsächlich nur mit dem Ziel erfolgt sein, die Vergleichsbereitschaft zu wecken. Die Durchsuchung durch die örtliche Polizei diente der Beweissicherung. Laut Mitteilung der Generalstaatsanwaltschaft Berlin führten die Durchsuchungen zum Auffinden von Beweismitteln, insbesondere Unterlagen und Datenträgern, die nunmehr ausgewertet werden müssen. Sie sollen unter anderem über die Anzahl, Auswahlkriterien und Identität, die tatsächlichen Umsätze und die genaue Vorgehensweise weiteren Aufschluss geben.
Zahlreiche Anzeigen
Die Abmahnschreiben des Berliner Anwalts waren, laut Staatsanwaltschaft, dazu angelegt, unbedarfte Opfer unter Druck zu setzen, und zur Zahlung der 170 Euro zu veranlassen. Ich hatte ja in meinen Blog-Beiträgen bereits angedeutet, dass Empfänger dieser Schreiben diese relative leicht abwehren konnten, da diese teilweise Formfehler aufwiesen und vor allem schnell klar war, dass Rechtsmissbrauch durch Massenabmahnungen vorlag.
Dass Rechtsanwälte und Abgemahnte inzwischen Anzeigen erstattet haben, war mir ebenfalls bekannt und ich hatte dies in Blog-Beiträgen thematisiert. Der Staatsanwaltschaft Berlin liegen inzwischen 420 Anzeigen von "Abgemahnten" vor, die letztlich nicht gezahlt haben.
Aus der Auswertung der Kontounterlagen der Beschuldigten ergibt sich indes, dass etwa weitere 2.000 Personen das "Vergleichsangebot" aus Sorge vor einem Zivilverfahren und in der unzutreffenden Annahme, der behauptete Anspruch bestünde tatsächlich, angenommen und gezahlt haben.
Kriminelles Vorgehen?
In der Mitteilung der Staatsanwaltschaft Berlin wird das Vorgehen der Beschuldigten in der Angelegenheit aufgezeigt. Es ist klar, dass die lizenzfrei nutzbaren Google Fonts nicht auf Webseiten eingebunden werden sollten, wenn die Gefahr besteht, dass diese Fonts von Google Servern abgerufen und dabei die IP-Adressen der Webseitennutzer ohne Kenntnis und Einwilligung in die USA übertragen werden.
Urteil des LG München
Vor diesem Hintergrund hat das Landgericht München mit Urteil vom 20. Januar 2022 (Az. 3 O 17493/20) entschieden, dass die automatische Weitergabe der IP‑Adresse (als personenbezogenes Datum) durch den Betreiber einer Website einen datenschutzrechtlichen Eingriff darstelle, in den der Besucher der Seite nicht eingewilligt habe. In dieser Vorgehensweise dürfte also tatsächlich ein Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung liegen und so auch ein entsprechender Unterlassungsanspruch bestehen, wenn ein unbedarfter Nutzer eine solche Website besucht.
Annahme des LG München bereits problematisch
Das war aber ein speziell gelagerter Fall – wobei die Aussage "Übertragung der IP-Adresse an Google Server in den USA" bereits technisch wackelig ist. Ich hatte im Beitrag Neues zu Google Fonts-Abmahnungen: Googles veröffentlicht Erklärung auf den Sachverhalt hingewiesen, dass die Fonts inzwischen von Google innerhalb Deutschlands und der EU gehostet werden. Die Annahme des LG Münchens trifft in vielen Fällen also schon nicht zu. Zudem hatte ich erwähnt, dass dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zudem verschiedene Anfragen von Gerichten im Hinblick auf "immateriellen Schadensersatz" bei DSGVO-Verletzungen vorliegen. Es wird damit gerechnet, dass der EuGH diesen Anspruch auf "immateriellen Schadensersatz" verneint.
Lasse einen Bot die Arbeit tun und kassiere
Die im Verfahren Beschuldigten haben die Abmahnungen sogar noch auf eine juristisch wackeligere Basis gestellt, das sie laut Staatsanwaltschaft Berlin nicht gerade unbedarft gewesen sein sollen – und sich mutmaßlich auch Arbeit sparen wollten:
- Mittels einer eigens dafür programmierten Software sollen sie zunächst Websites identifiziert haben, die Google Fonts nutzen.
- In einem zweiten Schritt und wieder unter Nutzung einer dafür entwickelten Software sollen Sie Websitebesuche durch den beschuldigten 41‑jährigen automatisiert vorgenommen, diese letztlich also fingiert haben.
- Die dann protokollierten Websitebesuche sollen die Grundlage für die Behauptung der datenschutzrechtlichen Verstöße und die Geltendmachung von Schmerzensgeldansprüchen gewesen sein, die durch die Annahme des "Vergleichsangebotes" angeblich hätten abgewendet werden können.
Das ist dann schon ein mit erheblichem Vorsatz anzusehender Versuch, eine "Datenschutzverfehlung" zu konstruieren, die in meinen Augen vor keinem Richter Bestand haben dürfte. Der Vorwurf des Staatsanwalts lautet daher, dass die Beschuldigten die "Abgemahnten" daher darüber getäuscht haben sollen, dass eine Person die Websites besucht habe (und nicht tatsächlich eine Software).
Der Staatsanwalt argumentiert daher, dass mangels Person dann aber keine Verletzung eines Persönlichkeitsrechts vorläge. In der Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft zur Durchsuchung (die durch einen Richter genehmigt wurde), gehen die Strafverfolger noch weiter und argumentieren:
Da sie diese Besuche außerdem bewusst vorgenommen haben sollen, um die IP‑Adressen‑Weitergabe in die USA auszulösen, hätten sie faktisch auch in die Übermittlung eingewilligt, so dass eben gerade kein datenschutzrechtlicher Verstoß mehr gegeben war, der eine Abmahnung hätte begründen können.
Diese Argumentation ist sicherlich vor Gericht zu klären. Aber die Staatsanwaltschaft gibt auch an, dass "in einigen Fällen zudem überhaupt keine Datenübermittlung in die USA erfolgt sein soll" (was sich mit meinen obigen Ausführungen zum Hosten auf europäischen Google Servern deckt). Ein darauf basierender Anspruch einer Datenschutzverletzung wurde aber in den "Abmahnungen" trotzdem geltend gemacht – was dann nochmals eine andere juristische Qualität bekommt. Mir sind zudem Hinweise untergekommen, in denen "Abgemahnte" mit log-Dateien belegten, dass überhaupt keine Besuche stattgefunden haben konnten (für Österreich lässt sich dies in den Kommentaren hier nachlesen). Es werden auch abgemahnte Fälle kolportiert, wo nur ein Verweis auf Googl Fonts im Quellcode erkannt wurde, diese aber lokal gehostet wurden.
Alles in allem also ein Konstrukt, welches ich aus Mafia-Filmen zu "Erpressungen" kenne (entweder Du zahlst, oder es passiert was). Jedenfalls ist anzunehmen, dass dieser Sachverhalt den Beschuldigten noch "um die Ohren fliegen könnte".
In Österreich läuft ein Verfahren gegen den Rechtanwalt Marcus Hohenecker und dessen Mandantin wegen ähnlichem Rechtsmissbrauch. Laut diesem Artikel hat der Rechtsanwalt Harlander eine Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft eingebracht. Harlander sagt zum Vorgehen des erwähnten Rechtsanwalts Hohenecker:
Dies legt den Verdacht des gewerbsmäßigen schweren Betruges bzw. der gewerbsmäßigen schweren Erpressung nahe. Die endgültige Wertung der Beweise und des Sachverhaltes obliegt jedoch der Staatsanwaltschaft und dem Gericht. Es gilt sohin die Unschuldsvermutung.
Mal schauen, wie das Verfahren gegen die Beschuldigten in Deutschland ausgeht. Mir ist noch der Fall des inzwischen verstorbenen deutschen Rechtsanwalts Günther von Gravenreuth im Gedächtnis. Von Gravenreuth wurde durch umstrittene Abmahnungen, die er gegen Urheber- und Markenrechtsverletzungen verschickte, bekannt. Später wurde er wegen vollendeten Betrugs verurteilt und sollte deshalb eine 14-monatige Freiheitsstrafe antreten. Am 22. Februar 2010 entzog er sich dieser Haftstrafe durch Suizid und begründete dies, laut diversen Berichten, in einem per E-Mail verschickten Abschiedsbrief mit familiären, finanziellen und gesundheitlichen Problemen.
PS: Natürlich gilt für den oben erwähnten Berliner Anwalt und dessen Mandant wegen der ausgesprochenen Anschuldigungen die Unschuldsvermutung, jedenfalls solange, bis ein Gericht ein Urteil zum Sachverhalt gesprochen hat. Dann heißt es entweder "nichts dran, an den Anschuldigungen und weiße Weste", oder eine Strafe für die jeweiligen Verfehlungen.
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Ob die Google-Fonts-Server nun in den USA stehen oder nicht ist meines Erachtens relativ egal, solange der Betreiber ein US-Konzern ist, der den entsprechenden "Acts" unterworfen ist und somit die Daten auf Anordnung doch in die USA gelangen können – egal, was Google zu einer Speicherung (rechtlich nicht bindend) versichert.
Natürlich wären die Abmahnungen hinsichtlich dieser Tatsache fehlerhaft, dennoch ist jedes unnötige Einbinden externer Resourcen datenschutztechnisch fragwürdig und sollte tunlichst unterlassen werden. Insbesondere, wo Google das Selberhosten ja problemlos gestattet.
Vielleicht könnte man auch über das Ende dieses lächerlichen Rechtsmittels namens "Abmahnung" nachdenken und dann auch noch über das Ende des Anwaltsberufes als sog. "freier" Beruf.
So sind diese Damen und Herren halt Unternehmer und handeln auch dementsprechend. Kennt noch wer Thomas Urmann…?
[…] Thomas Urmann […]
Ich geb zu, dass ich ihn enteln musste. Aber der Link zu Wikipedia und der Abhandlung über diesen Red[T]ube Skandal, und dann fiel mir das alles wieder ein. War ein Riesenrenner damals bei Heise und in den dortigen Foren. Genau wie Jahre vorher im Text genannter Günni Gravenreuth, der dort Hausverbot erhielt. Was diese beiden .. Lümmel .. die Gerichte und Fachpresse beschäftigt und Privatleute gequält haben, unvorstellbar. Wenn es stimmt, dann wurde Urmann die Lizenz entzogen. Der andere hat sie zurückgegeben.
Urmann und Red[T]ube, das war 2013, also bereits vor knapp zehn Jahren. Irre wie die Zeit vergeht. Das war doch auch die Zeit von KryptoChef, der da bei Heise sein Unwesen trieb, der — wie auch immer ihm das gelungen ist — Bruce Schneier ein "my head hurts just trying to read that" entlockt hat. Ich bin mir bis heute nicht sicher, ob sich da nicht jemand einfach nur einen Riesenspaß gemacht oder ob er das wirklich ernst gemeint hat.
Aber zurück zum ursprünglichen Thema: Es ist gut, dass die Abzocker jetzt ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten sind und dass die Gerichte endlich zurückschlagen. Vielleicht auch mit der Folge des Lizenzentzugs. Und auch wenn jeder ein ordentliches Verfahren verdient hat, für diese .. ganz besonderen Exemplare der Gattung Mensch .. wünsche ich mir ehrlich gesagt ein Schnellverfahren mit knallhartem Urteil. Die Gerichte haben sich um wesentlich wichtigere Dinge zu kümmern als um diesen – mit Verlaub – Schei[ß]dreck.
naja da stellt sich die Frage : Welcher Promi/Politiker wurde da Opfer?
Denn im Allgemeinen mahlen die Mühlen der Justiz bei Ottonormalo als Opfer sehr sehr langsam oder werden eingestellt.
Sah man auch an die in den Kommentaren genannten Urmann und den Gravenreuth, die konnten bis zur Verurteilung Jahrelang ihr Unwesen treiben und insbesondere Zweiter hatte da einige arme Seelen in den Bankrott getrieben, bevor er sich dann feige seinem Urteil entzog.
Er hat sich dem Urteil nicht entzogen, sondern ist seine Haftstrafe nicht angetreten :-)
Scheinbar dreht sich die Welle der Abmahnung nun endlich.
Die eigene Medizin ist oft die bitterste :)
"420 Anzeigen von „Abgemahnten", die letztlich nicht gezahlt haben, liegen der Staatsanwaltschaft Berlin inzwischen vor. Aus der Auswertung der Kontounterlagen der Beschuldigten ergibt sich indes, dass etwa weitere 2.000 Personen das „Vergleichsangebot" …. angenommen und gezahlt haben."
Sollten die 2.000 Personen welche gezahlt haben (so wie ich), nun auch eine Anzeige erstatten?
Imho ja
Am meisten haben seine Anwaltskollegen für Widerrufschreiben kassiert.
Update zur ähnlich gelagerten Situation in Österreich:
Google Fonts: WKStA ermittelt wegen Verdachts auf schweren Betrug
Es übernimmt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), da es um einen anzunehmenden Schaden jenseits der 5 Mio Euro geht. Das Strafmaß liege zwischen einem und 10 Jahren. Für Hohenecker gilt die Unschuldsvermutung, aber es dürfte eng werden.
Überlegung: Der Anwalt hat "nur" den Fehler gemacht, auch Abmahnungen an Websites von "einflussreichen" Personen zu versenden. Sonst wäre nichts passiert.
Danke für das Update.