Pünktlich zum Wochenende noch zwei Nachrichtensplitter aus dem Microsoft-Kosmos. Einmal hat die neue Windows 8-Chefin etwas zu Windows 8 gesagt (z.B. wie lang man zur Einarbeitung braucht – interessanter Einblick in die Gedankenwelt beim Microsoft-Management). Und Microsoft "stellungnahmt" auch zum Internet Explorer-Maustracking-Problem.
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IE-Maustracking – na und?
Es ging die letzten zwei Tage durch die Presse: "Dicke Sicherheitslücke – der IE verrät die Position der Maus". Hintergrund: Der IE gibt die Mausposition auch wieder, wenn sich diese außerhalb des IE-Fensters befindet. Ich habe es nicht weiter hier im Blog thematisiert, da mir die praktische Ausnutzbarkeit doch etwas sehr vage erschien.
Bereits gestern habe ich in Kommentaren in Foren darauf hingewiesen, dass ein Scrollen der Inhaltsseite dazu führt, dass sich die Mausposition ändert. Wer also aus den Mauspositionen auf Bildschirminhalte oder angewählte Elemente schließen will, muss entweder sehr viel über die aktuelle Bildschirmanzeige präjudizieren. Oder er ist auf Screenshots des Bildschirminhalts angewiesen. Letzteres bedeutet aber: Es muss Malware für diesen Zweck installiert werden.
Ergo ist die aktuelle "Sicherheitslücke" nicht wirklich so groß, dass man den IE verbannen muss. Bereits gestern hat Microsoft reagiert und eine Untersuchung angekündigt. Heute gibt es die Info, dass Microsoft das Verhalten nicht sonderlich kritisch einstuft, es aber bei Gelegenheit patchen will. Martin Geuß von Dr. Windows hat's hier thematisiert.
July Larson-Green, Windows 8 und die Benutzbarkeit …
Es war eigentlich nur ein kleiner Artikel bei TheVerge.com, der mich zu diesem Abriss verleitete. Die neue Microsoft-Chefin für Windows 8, Lulie Larson-Green hat wohl dem MIT Technologie Review ein Interview gegeben. Dort geht es um Gott und die Welt, also den Abgang von Sinofsky, wann man mit der GUI von Windows 8 angefangen habe (man war angeblich fertig, als das erste iPad auf den Markt kam) und das mal gerade wieder ein Sack Reis in China umgefallen sei.
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So ganz nebenbei hat sie dann, auf die Bemerkung, dass Windows 8 wohl die Nutzerschaft entzweit, erwähnt, dass man bei Windows 8 mehr auf die "inneren Werte" schauen müssen. Im Original lautet die Aussage:
"We're going for the over time impression rather than the first 20 minutes out of the box,"
Also: Nicht der erste Eindruck von Windows 8 binnen der ersten 20 Minuten zählt, sondern die längerfristige Erfahrung. Und dann gibt es noch die folgenden Aussagen:
Admitting that the company has found that people invested in the old Windows approach find it more difficult to transition, Larson-Green believes it takes two days to two weeks to adjust fully. Despite this, Larson-Green believes the majority of future PCs will have touch support and that computers with touch are selling the fastest at the moment.
Übersetzt heißt dies: Benutzer früherer Windows-Versionen sind versaut und nicht für Windows 8 geeignet. Sehe ich (als langjähriger Windows-Nutzer) genau so. Und zum "Touchdisplay" auf allen Geräten noch meine 2 Senf: So ein Schmarrn – momentan jammern die Hersteller, dass Touch so teuer sei. Also liefern die Notebooks bevorzugt ohne Touchscreen aus. "Ich kann mich auch Stacheldraht umn Knie wickeln, ein Loch in die Kniescheibe bohren und heiße Milch rein gießen" – sachte vor 3 Jahrzehnten mein erster Chef, wenn er eine Idee oder Aussage als hirnrissig oder Bullshit empfand.
… da kommt aber Sigmund Freud arg ins Spiel
Aber der Klopper liegt so ganz nebenbei im Text versteckt. Die Microsoft-Managerin steht allen Ernstes auf dem Standpunkt, man muss mal so 2 Tage bis 2 Wochen mit Windows 8 gearbeitet haben, um das Konzept zu verinnerlichen. Hallo! Mädel, geht's noch? Da schimmert Sigmund Freud aber kräftigt durch. Übersetzt heißt das "Windows 8 ist so Scheiße, dass Du mindestens zwei bis 14 Tage brauchst, um halbwegs mit arbeiten zu können".
Ich fasse es nicht – bzw. habe es schon vor einem Jahr gedacht und teilweise hier gebloggt: Microsoft, ihr habt's mit Windows 8 versaut – war keine gute Idee, einfach mal 20 Jahre an GUI-Design-Erfahrung über Bord zu kippen und dann zu behaupten "was interessiert mich mein Geschwätz von gestern". Und zu konstatieren, dass bisherige Windows-Nutzer sich mit dem "Umstieg schwer tun", ist quasi die Bankrotterklärung eines jeden Entwicklers.
Nur mal so angemerkt: Ich mag das iPad nicht wirklich – aber ich habe das Teil ausgepackt und konnte ad-hoc mit arbeiten. Ich habe auch nur ganz selten mal in die PDFs mit dem Handbuch geschaut, um speziellere Funktionen zu eruieren. Beim iPad ist 90 Prozent der Benutzeroberfläche intuitiv – auch bei Android gilt das Gleiche – meist sehe ich ein Symbol, wo ich versuchsweise drauf tippen kann, um Funktionen abzurufen. Bei Windows 8 weiß der gemeine Benutzer überhaupt nicht, dass es eine Charms- oder eine App-Leiste gibt, die man per Wischen oder Fummeln mit der Maus einblenden muss. Ich stoppele hier seit einem Jahr intensiv mit Windows 8 herum. Täglich entdecke ich wieder ein neues Balkönchen und auf meinen Produktivsystemen wird Windows 7 die nächsten Jahre weiter werkeln, weil ich arbeiten und nicht wischen will.
Wer antritt mit der Idee, dass man mindestens zwei bis 14 Tage braucht, um mit einem neuen Betriebssystem arbeiten zu können – und das auch noch als genial lobt – gehört schlicht gefeuert! Und ein IT-Entscheider, der die Mitarbeiter auf die "ich lerne jetzt mal zwei Wochen Windows 8 – und dann können wir wieder arbeiten" Tour schickt, dürfte den gleichen Weg nehmen.
Aber liebe Microsofties, ihr werdet es schon richten. Für mich klingt das Projekt Windows Blue unter dieser Prämisse allerdings eher wie eine schwere Drohung. Ich lasse mich mal überraschen.
… und schon ist wieder Wochenende.
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Nachtrag: Unter [1] gibt es noch das Interview mit Frau Larson-Green. Überzeugt mich nicht wirklich – viel heiße Luft und bla bla. Man hätte die Modern UI auch anders hin bekommen können. Zum Beispiel so, dass der Benutzer sich die Charms-Leiste permanent einblenden kann. Dann noch eine Schaltfläche in der Charms-Leiste zum Einblenden der App-Leiste und der Taskliste. Ein Startmenü mit der Möglichkeit, die Modern UI zu blockieren. Dann noch eine Option, um Apps skaliert in Fenstern laufen zu lassen …
Retro UI macht vieles vor. Ideen habe ich zur Genüge. So hätte man z.B. auch eine saubere Touchoberfläche mit XAML und WPF auf der Windows-Oberfläche hinbekommen können. Wollte man nicht und setzt auf das App-Geraffel mit HTML5. Interessant, dass Facebook das ganze HTML5-Zeugs in seinem iOS- und Android-Apps gerade rausgeworfen hat und mit nativem Code einen wahren Geschwindigkeitsrausch hinzaubern konnte.
Das Metro-Zeugs hat einzig den Zweck, die Leute in den App-Store zu zwingen. Aber was für Microsoft gut ist, muss für mich als Anwender nicht unbedingt passen.
Naja, Microsoft hinkt die letzte Zeit häufiger dem Zeitgeist hinterher …
1: http://www.technologyreview.com/news/508311/the-woman-charged-with-making-windows-8-succeed/
2. Nachtrag: Dachte schon, ich sei zu harsch in meiner Wortwahl gewesen. Scheinbar machen sich andere Leute ähnliche Gedanken. ReadWrite.com bringt es auf den Punkt: Microsoft's Windows Chief on Windows 8: You're Doing It Wrong!. Dem ist nichts hinzuzufügen – außer: interessanter Einblick, wie die im Redmond-Universum so ticken.