In Shanghai gibt es wohl ein GPS-Spoofing-Problem, welches die Schifffahrt beeinträchtigt, wie ein Bericht jetzt offen legt. Kapitäne können sich auf die GPS-Anzeige anderer Schiffe nicht mehr verlassen.
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Houston, wir haben ein Problem, so lässt sich das Ganze umschreiben, was wohl im Hafen von Shanghai passiert. Die GPS-Positionsbestimmung funktioniert dort nicht mehr, weil sie gezielt gestört wird.
Worum geht es?
Nach internationalem Recht müssen alle (mit Ausnahme der kleinsten) kommerziellen Schiffe Transponder des automatischen Identifikationssystems (AIS) installieren. Alle paar Sekunden übertragen diese Geräte ihre Identität, Position, Kurs und Geschwindigkeit und zeigen AIS-Daten von anderen Schiffen in der Region an, was dazu beiträgt, die überfüllten Wasserstraßen sicher zu halten. Die Positionsdaten für diese Transponder stammen von GPS-Satelliten.
In diesem Artikel beschreibt die US-Site Technology Review aber ein GPS-Problem an einem konkreten Fall. In einer lauen Sommernacht im Juli 2018 steuerte das US-Containerschiff MV Manukai den Hafen von Shanghai, nahe der Mündung des Huangpu-Flusses, an. Bei der Einfahrt in den Hafen beobachtete der Kapitän seine Navigationsbildschirme genau, denn es ist eine stark von Schiffen befahrene Gegend.
Laut den Navigationsbildschirme auf der Manukais befuhr ein anderes Schiff mit etwa sieben Knoten den gleichen Kurs. Plötzlich verschwand das andere Schiff aus dem AIS-Display. Wenige Minuten später zeigte der Bildschirm das andere Schiff zurück am Dock. Dann war es wieder im Einfuhrkanal und bewegte sich wieder, Sekunden später lag es wieder am Dock, und so weiter. Als der Kapitän sein Fernglas zur Hand nahm, konnte er erkennen, dass das andere Schiff die ganze Zeit stationär am Dock lag. Die Anzeige des AIS-Navigationssystems hatte gesponnen.
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Als das Containerschiff Manukai seinen eigenen Liegeplatz ansteuern wollte, gingen auf dessen Brücke mehreren Alarme los. Die beiden, aus Redundanzgründen installierten, GPS-Empfänger des Schiffes hatten das GPS-Signal verloren, und der AIS-Transponder war ausgefallen. Selbst ein Notfallsystem, das gerade auf GPS umgerüstet worden war, funktionierte nicht mehr.
Der Kapitän konnte zwar sein Containerschiff sicher im Hafen andocken, fertigte aber einen Bericht über den Vorfall an, den er an das Navigation Center der US-Küstenwache schickte. Die sammeln Berichte über Ausfälle des GPS-Systems. Selbst als das Containerschiff Manukai am Dock festlag, zeigte das AIS-System mehrmals am Tag eine falsche Position, mehr als drei Kilometer entfernt an. Diese Marineseite berichtete bereits im August 2019 darüber, ohne aber in die nachfolgenden Details zu gehen. Auch die US-Küstenwache warnt vor Angriffen auf das GPS-Positionssystem kommerzieller Schiffe.
GPS-Spoofing aufgeflogen?
Der Vorfall in Shanghai mit dem Containerschiff Manukai wäre als Interferenz oder temporäres Problem in den Akten verschwunden, wenn nicht ein Tipp aus der Schifffahrtsbranche auf dem Schreibtisch eines Forschers am Center for Advanced Defense Studies (C4ADS) in Washington, DC, gelandet wäre. Das ist einer gemeinnützigen Organisation, die globale Konflikte und Sicherheitsfragen analysiert. Der Tipp, von einer Quelle aus der Schifffahrtsbranche, deutete darauf hin, dass jemand in Shanghai GPS-Signale fälscht.
Dies war das erste Mal, dass das C4ADS von weit verbreiteten maritimen GPS-Spoofing-Maßnahmen gehört hatte, die nicht offensichtlich mit den Russen in Verbindung stehen. Einige Monate zuvor hatte das Unternehmen einen Bericht veröffentlicht, der detailliert darlegte, wie Russland GPS-Jamming auf der Krim, im Schwarzen Meer, in Syrien, Norwegen und Finnland einsetzte (siehe auch die Beiträge hier, hier und hier (gelöscht)). Es enthielt auch Beweise dafür, dass ein russisches mobiles elektronisches Kampfteam die GPS-Signale während der öffentlichen Auftritte von Präsident Putin gestört hatte.
Auf Grund des Tipps untersuchten die C4ADS-Forscher die Aufzeichnung der AIS-Daten. Diese kann man von einem Startup kaufen, welches AIS-Daten der ganzen Welt aufzeichnet. Die Analysten stellten fest, dass die Angriffe auf das GPS AIS-System im Sommer 2018 begonnen hatten und im Laufe der Monate zunahmen. Die stärksten Störungen wurden genau an dem Tag im Juli verzeichnet, an dem der Kapitän der Manukais über Schwierigkeiten berichtete. An diesem Tag wurden fast 300 Schiffspositionen in Shanghai gefälscht. Während die Störung Schiffe direkt in Shanghai betraf, bezogen sich die meisten dieser gefälschten Schiffspositionen auf Schiffe, die den Fluss Huangpu befuhren.
Die Recherchen und bisher unbekannte Daten zeigen, dass das Containerschiff Manukai und Tausende anderer Schiffe in Shanghai im letzten Jahr Opfer von GPS-Spoofing wurden. Was die Forscher aber sahen, als sie die Daten in Karten einzeichneten, war anders, als was sie bisher beim russischen GPS-Spoofing beobachtet hatten. Bei den Russen wurden die Schiffe virtuell per GPS-Spoofing an einen Punkt verschoben. In Shanghai zeigten die Daten, dass die Schiffspositionen alle paar Minuten ringförmig zum Ostufer des Huangpu sprangen. Auf einer Visualisierung der tage- und wochenlangen Daten schienen sich die Schiffe in großen Kreisen zu versammeln. Ich bin die Tage über Twitter auf das Thema aufmerksam geworden. Nachfolgender Tweet zeigt eine solche Karte (hier ist ein Video, was das Ganze dynamisch zeigt).
Ghost ships, crop circles, and soft gold: A GPS mystery in Shanghai https://t.co/NZ6E1kejiv
— Aryeh Goretsky (@goretsky) November 16, 2019
Da in Shanghai viele Radfahrer ihre Fahrten über Fitness-Apps aufzeichnen, die ihrerseits auf GPS basieren, haben die Forscher deren Daten analysiert. Die Daten kann man z.B. auf Strava als Heatmap abrufen. Beim Zoomen auf Shanghai konnten die C4ADS-Analysten die gleichen mysteriösen Kreise auf der Heatmap von Strava sehen. Die Spoofing-Angriffe betrafen alle GPS-Geräte, nicht nur die von Schiffen.
Am 5. Juni dieses Jahres kam es zu einem Unfall, als die Run 5678, ein Flussfrachter, ein kleineres Schiff auf dem Huangpu, zu überholen versuchte. Der Flussfrachter überholte das kleine Schiff, kollidierte aber direkt mit der New Glory (chinesischer Name: Tong Yang Jingrui), ein Frachter, der auf dem Weg nach Norden war. Die New Glory verlor dadurch die Kontrolle und fuhr in die Uferpromenade, wobei zahlreiche Fußgänger ihren Abendspaziergang unternahmen.
Untersuchungen ergaben, dass die AIS-Positionsdaten der New Glory in Shanghai in den sechs Monaten vor der Kollision mindestens fünfmal gefälscht wurde. Ein Angriff wrude weniger weniger als zwei Wochen zuvor nachgewiesen, obwohl unklar ist, ob beim Unfall auch Daten verfälscht worden waren. Die Analyse der AIS-Daten zeigen am gleichen Tag aber ein halbes Dutzend Angriffe auf andere Schiffe in der Stadt. Sogar die Shanghaier Wasserschutzpolizei, die Huangpu Maritime Safety Administration (MSA), war fast täglich Spoofing-Angriffen ausgesetzt. Die Daten zeigen, dass die Positionsdaten eines seiner Patrouillenboote in neun Monaten mindestens 394 Mal gefälscht wurden.
Zweck des GPS-Jamming unklar
Die C4ADS-Forscher teilten die Ergebnisse mit Todd Humphreys, Direktor des Radionavigation Laboratory an der University of Texas at Austin und eine führende Autorität für GPS-Hacking. Humphreys untersuchte die Daten, aber je genauer er schaute, desto verwirrter wurde er. "Es ist eine außergewöhnliche Technologie, Positionsdaten mehrere Schiffe gleichzeitig in einen Kreis zu verschieben. Es sieht nach Magie aus", sagte er. Im September zeigte Humphreys eine Visualisierung der Daten auf der weltweit größten Konferenz für Satellitennavigationstechnologie, ION GNSS+ in Florida. "Den Leuten fiel die Kinnlade herunter, als ich ihnen dieses Muster des Spoofing zeigte", sagte er. "Sie begannen, es Kornkreise zu nennen."
Bisher weiß niemand, wer hinter diesem GPS-Spoofing steckt oder was sein eigentlicher Zweck sein könnte. Es könnte sich um eine mysteriöse neue Waffe handeln, die in der Lage ist, GPS-Systeme in einer noch nie dagewesenen Weise zu manipulieren. Die Spekulation geht dahin, dass diese Schiffe unfreiwillige Testkandidaten für ein ausgeklügeltes elektronisches Kampfsystem gewesen sein könnten.
Oder es waren Kollateralschäden in einem Konflikt zwischen Umweltkriminellen und dem chinesischen Staat, der bereits Dutzende von Schiffen und Menschenleben gefordert hat. Der Hintergrund ist der Flusssand des Yangtze, der in der Bauindustrie begehrt ist. In den Jahren des Bauboom in den achtziger und neuziger Jahren wurde der Sand für die Bauindustrie verwendet. Im Jahr 2000 wurde die Förderung von Flusssand aber aus Umweltschutzgründen von den Behörden verboten. Gut möglich, dass der verunglückte Frachter das AIS-Signal durch GPS-Spoofing verschleierte, um seine Fahrt zu tarnen.
Das ist allerdings ein großen Problem, denn ein großer Teil moderner Technik, von der Kontrolle des Schiffsverkehrs bis hin zur Luftfahrt basieren darauf, dass die GPS-Positionsbestimmung zuverlässig funktioniert. Momentan ist eines sicher: Es gibt einen unsichtbaren elektronischen Krieg um die Zukunft der GPS-Navigation in Shanghai, und die GPS-Überwachung der Schiffe hat diesen Krieg verloren.
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Die Verfälschung der GPS Daten und der in dem Zusammenhang im Video zu sehende Kreis wird durch einen Test der Ziel- und Landenavigation der Flotte der Brunali erzeugt.
Nicht witzig.
Tja, ein Echtheitszertifikat wäre auch für Satellitendaten sinnvoll.
Zeitweise – damals, als man noch an militärisches Tauwetter glaubte – wurde GPS zum netten Spielzeug für zivile Nutzer. Geht es aber nach den Digitalisierungsfreaks, wird bald alles, was sich bewegt, per GPS geortet oder danach gesteuert: Vom Gassihund bis zum selbstfahrenden Frachtschiff, vom fahrerlosen Omnibus bis zum vollautomatischen Mähdrescher (aktuell: G5 bald doch an jeder Milchkanne). Logisch, dass das Saboteure jedweder Motivation anlockt.
Wenn man sich von einer Technologie dermaßen abhängig macht, dann muss man sie auch störungsfest gestalten. (Und Hersteller zu Firmware-Updates über mehr als nur 2 Jahre verpflichten, damit Sicherheitsmaßnahmen auch für alle nutzbar sind.)
Wie Radar ist auch AIS nur eine Hilfe. Beides kann ausfallen, sowohl beim eigenen Schiff aus auch bei anderen. GPS wurde vom US Militär auch schon mehrfach "unscharf" geschaltet.
Nicht umsonst besagt die gute Seemannschaft, ständig Ausschau zu halten und sich nie ausschließlich auf die Instrumente zu verlassen. Auch der Sextant ist nach wie vor Teil der Ausbildung.