Vor dem Abflug war die Abholung im Ankunftsbereich des Flughafens Narita durch Angestellte der Firma vereinbart worden. Als ich aus der Zollkontrolle den Ankunftsbereich betrat, standen dort viele uniformierte Chauffeure (so muss man die Fahrer wohl bezeichnen), mit Dienstmütze und Anzug, die in weißen Handschuhen Schilder mit den Namen der Abzuholenden in die Höhe hielten. Manche riefen auch “mistel Jonnnssooon”, “miste brooowwwwn” oder so ähnlich. Es wurden Mister Johnson aus Arkansas, Mr. Brown aus Florida und viele weitere Personen erwartet und abgeholt. So langsam lichtete sich der Pulk der Abholer und auch die Reihe der Abzuholenden.
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Aber ich konnte kein Schild “Mr. Born” entdecken. Auch wurde kein “Mistel Boon” ausgerufen. Nachdem nach ca. 15 Minuten des Wartens klar war, dass ich nicht abgeholt würde, begann ich den Ankunftsbereich zu überprüfen. Es hätte ja die Möglichkeit bestanden, dass ich einfach den Treffpunkt verpasst hätte (die heute allgegenwärtigen Handys waren damals noch unbekannt). Als auch da kein Ergebnis ersichtlich wurde, prüfte ich die Shuttle-Möglichkeiten nach Tokio (ein Kollege hatte erwähnt, dass man leicht von Narita zum Tokyo City Air Terminal kommen könne). Dort bestand die Möglichkeit, sowohl für Abflüge einzuchecken als auch U-Bahnen in Tokio zu benutzen, um zu einem Hotel oder zum Zielort zu gelangen. Ich hatte vor, mich auf eigene Faust bis zum Zielort Kawagoe durch zu schlagen.
Ich war gerade dabei, den Transfer klar zu machen, als ich meinen Namen in der Durchsage vernahm. An einem Meeting-Point wartete ein junger Japaner, der als Abholer auserkoren war. In perfektem Englisch entschuldigte er sich und teilte mit, dass er im obligatorischen Stau hängen geblieben sei. Über einen Shuttle-Bus ging es dann ins Zentrum von Tokio und dann per U-Bahn und Bahnverbindungen in die Stadt Omiya. Von dort hieß es dann, ca. eine Stunde per Taxi nach Kawagoe zu fahren.
Während dieses Transfers konnte ich nicht nur dass allgegenwärtige Verkehrschaos in Tokio und Umgebung kennen lernen, sondern auch die stoische Ruhe, mit der Japaner, dicht gedrängt wie in einer Sardinenbüchse, öffentliche Verkehrsmittel benutzten. Es war zwar nicht mehr Rush-Hour, also Hauptverkehrszeit. Aber an einigen Knotenpunkten stiegen viele Fahrgäste in die wartenden U-Bahn-Wagen. Um die “Packungsdichte” zu erhöhen, standen auf den Bahnsteigen junge Kerle, ich möchte sie mal als “Personenpacker” bezeichnen. Vorschriftsmäßig in blaue Uniformen und Mütze gekleidet, hatten Sie die Aufgabe, bei vollen Waggons die noch im Einstieg befindlichen Passagiere in den Innenraum des Wagens zu drücken – und zwar so lange, bis sich die Türen schlossen. Um den “Abstand zu wahren”, hatten alle dieser “Personenpacker” blütenweiße Handschuhe übergestreift. Ich empfand es schon als reichlich skurril, den schwitzenden Burschen dabei zuzusehen, wie sie, Contenance bewahrend, versuchten, die Passagiere in die Wagen zu verfrachten.
Auf der Fahrt lernte ich dann meinen “Abholer” etwas näher kennen. Es stellte sich heraus, dass er als 15jähriger Schüler in die USA gegangen war und sich dort als Cowboy verdingte, um College und Studium zu finanzieren. Nach Abschluss eines Studiums in Biotechnologie war er nun mit seiner japanischen Frau nach Japan zurück gekommen und hatte bei der japanischen Dependance der deutschen Pharmafirma als Forscher angeheuert. Ich lernte damals auch schnell, dass ein Japaner nach dem Studium möglichst bei der Regierung oder Behörden unterkommen sollte. Japanische Firmen waren schon zweite Wahl – lediglich die Hondas, Toyotas usw. waren noch denkbar. Wer nichts geworden war, heuerte bei kleinen japanischen Firmen an – oder biss in den sauren Apfel und bewarb sich bei ausländischen Firmen (Gaijin-Companies). Da Herr Mamamote (nennen wir ihn mal so) praktisch den größten Teil seines Lebens in den USA verbracht hatte, sah er dies nicht mehr so eng, sondern freute sich auf eine spannende Aufgabe im Biotechnikbereich der Firma.
Später wurde mir klar, dass er eigentlich mehr Amerikaner als Japaner und ein sehr angenehmer Kollege war, mit dem ich gerne zusammen arbeitete. Interessant war vor allem, dass er beim Anfertigen von Notizen während Besprechungen zwar brav mit japanischen Schriftzeichen begann, dann aber immer wieder unbewusst in die lateinische Schrift verfiel und das Ganze einfach schnell in Englisch aufzeichnete.
Herr Mamamote brachte mich in eines der vielen Business-Hotels in Kawagoe und half mir beim Einchecken. Dabei drückte er mir noch einen DIN A4-Blatt mit einem Stadtplan in die Hand und meinte, er würde mich um 20.00 Uhr zum Abendessen abholen. Ich könne mich etwas ausruhen und frisch machen – und auf dem Blatt mit dem Stadtplan hätte er die Adresse des Hotels vermerkt.
Da saß ich nun, in einem anonymen Business-Hotel in einem kleinen Zimmer und hatte keine Ahnung, welche Abenteuer mich schon bald erwarten würden. Aber dazu mehr in den nächsten Beiträgen.
Great Detail. I love to read about the experiences of others especially if they have included the most minute detail which helps provide a sort of immersion in their experience. Thanks for providing that attention to detail that makes this a great read.