Nachdem wir die in Teil 1 beschriebene Anfahrt hinter uns gebracht hatten, standen wir also auf einem Parkplatz, am Fuße des Fujiyama. Unser Chefingenieur instruierte uns, zusammen zu bleiben, denn die beiden “Bergführer” hätten die Tour bereits öfters gemacht und würden die Geschwindigkeit bestimmen. Meine “Erstbesteigung” drohte – also Rucksack geschultert und losgetrabt.
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Man brauchte ja nur bergauf zu gehen und dem Pfad zu folgen, der Gipfel war kaum zu verfehlen. Wenn ich beim Schreiben dieses Blog-Beitrags die Hinweise hier und hier so lese, waren wir extrem “naiv” aufgestellt. Wir hatten mit An- und Abfahrt gerade einmal einen Tag, während die Reiseführer 2 – 3 Tage veranschlagen. Der Bericht hier ist sehr ausführlich und mit vielen Fotos versehen. Dort sind auch die nachfolgend erwähnten Berghütten zu sehen – obwohl ich mich nicht an Vegetation auf der Höhe der Hütten erinnere. Vermutlich haben wir eine andere Route genommen oder waren zu früh im Jahr unterwegs.
Auf zum Gipfel und in die Wolken
Doch zurück zu meinem Bericht. Zuerst war noch ein wenig Vegetation vorhanden, aber dann ging es nur noch auf “Schlacke” den ausgetretenen Pfad entlang. Wanderer zum Fuji waren eigentlich zu Beginn kaum zu sehen – dachte schon “ob wir den falschen Berg erwischt haben – oder nur wir Verrückte kraxelten da so früh am Morgen hoch”. Später trafen wir dann doch viele Japaner – die waren lediglich Stunden früher aufgebrochen und viel höher am Berg unterwegs.
Irgendwann, so meine Erinnerung, wurde es furchtbar nebelig – wir waren in Höhe der Wolkendecke angelangt. Ich fluchte schon innerlich “da kraxelst Du auf den Fuji und dann siehst Du vor Nebel nix”. Wie auch immer, plötzlich kam die Sonne aus dem Nebel hervor, wir hatten offenbar eine Höhe oberhalb der Wolken erreicht. Und dann gab ein Loch einen Blick auf die Fuji-Seen frei.
Ich habe das obige Foto seinerzeit mit einer Analogkamera auf Dia-Film geschossen und jetzt vom Dia abfotografiert. Die Qualität ist nicht so berauschend (ein besseres Foto mit Panoramablick gibt es hier). Aber dieser Blick hat einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen – in Managementkursen meines damaligen Arbeitgebers wurde ich auch in autogenes Training eingeführt. In den Sitzungen stellte ich mir dieses Bild vor und wurde sofort von einer großen Ruhe erfasst – binnen Minuten war ich dann in der Lage, die Übungen umzusetzen. Auch jetzt, über ein Vierteljahrhundert später funktioniert das noch.
Kraxeln auf der “Schlackehalde”
Der Aufstieg dauerte, meiner Erinnerung nach, viele Stunden, in denen es auf Pfaden auf der Schlacke immer aufwärts ging. Aber als junger Mensch hatte ich genügend Kraft, um das problemlos zu bewältigen. Irgendwann überholten wir Gruppen von Japanern, die ebenfalls mit dem Aufstieg befasst waren. Und auf ca. 3.000 bis 3.400 Meter Höhe gab es kleine Hütten, in denen Japaner pausierten. Dort sah ich ältere Japaner, meiner Erinnerung nach vielleicht 55 bis 60 Jahre alt – mag mich aber täuschen, die sich, mit Sauerstoffmasken versehen, ausruhten. Insgeheim habe ich diese Leute bewundert, die diese Strapaze auf sich nahmen. Aber eine Fuji-Besteigung hat für Japaner wohl eine besondere Bedeutung.
Höhenkrank …
Ich selbst hatte zwar die Ermahnung des japanische Kollegen und Chefingenieurs im Ohr, in der Gruppe zusammen zu bleiben, weil die “Bergführer” das Tempo bestimmen würden. Aber ich bin so gestrickt, dass ich in meiner eigenen Taktfrequenz gehen und wandern muss. Beim langsameren Gehen werde ich irgendwann extrem müde. Ähnlich schien es meinem deutschen Kollegen zu gehen. Der Ältere sagte irgendwann “das halte ich nicht mehr aus, gleich schlafe ich ein, wenn ich nicht meinen eigenen Tritt gehe” – und verschwand auf dem Pfad nach oben. Ich teilte dem Chefingenieur mit, dass wir auf dem letzten Kilometer unsere eigene Geschwindigkeit gehen wollten – wir würden uns auf dem Gipfel treffen.
Das mit der eigenen Geschwindigkeit klappte auch eine Zeit lang ganz gut – obwohl der ältere deutsche Kollege, der häufig Bergwandern ging, uneinholbar vorne lag. Der zweite deutsche Kollege, wohl noch jünger, blieb dagegen in der Gruppe der Japaner. Und ich irgendwo dazwischen. Irgendwann bekam ich leichte Kopfschmerzen. Heute war mir klar, dass ich zu schnell aufstieg und die Anweisung der Japaner, dass die Bergführer die Geschwindigkeit bestimmten, schon sinnvoll war. Ich litt unter ersten Anzeichen von Höhenkrankheit. Da das Ganze aber auf “zivilen Höhen” unter 4.000 Meter und nur über wenige Stunden ging, war es mit der Höhenkrankheit nicht gravierend. Ich erinnere mich, dass ich einfach ein paar Schritte langsamer ging, bis die Kopfschmerzen verschwanden. Das passierte so zwei bis drei Mal, dann hatte ich meine Aufstiegsgeschwindigkeit im Griff.
Japans Ehre gerettet
Irgendwann überholte mich einer unserer japanischen “Bergführer” und “schoss” quasi nur so nach oben. Ich wunderte mich, wie viel Energie der Mann doch habe. Später erzählte mir der bereits vorangegangene deutsche Kollege, dass der japanische Bergführer ihn so ca. 50 Meter vor dem Gipfel noch überholt habe und dann wankend auf eine auf dem Gipfelplateau stehende Pritsche gesunken sei. Die Ehre Japans war also gerettet. Hätten wir das gewusst, hätten wir den Aufstieg langsamer angehen lassen.
Auf dem Gipfel – was macht der Feuerlöscher dort?
Ich selbst kam vielleicht fünf Minuten nach dem Japaner und dem deutschen Kollegen auf dem Gipfelplateau an. Im Krater des Fuji waren noch Reste von Schnee zu sehen (siehe folgendes Foto).
Skurrilität am Rande: Ein Japaner hatte wohl mal einen Feuerlöscher auf den Gipfel geschleppt und dieser stand nun dort herum (das folgende Foto ist etwas dunkel und von einem Dia abfotografiert).
Ich erinnere mich, dass ich da so dachte: “Was soll der Mist, wollte einer für den nächsten Ausbruch vorsorgen?” – und irgendwie war ich doch etwas ernüchtert. Keine Ahnung, was ich mir damals vorgestellt hatte, was ich auf dem Gipfel zu erwarten hätte. Es war ein Gefühl, wie im Ruhrpott auf einer Halde aus Schlacke zu stehen. Da ich extrem verschwitzt war, zog ich das Shirt und das Unterhemd aus, um diese zum Trocknen auf eine Holzplattform auszulegen. Allerdings war es zugig und kalt, so dass ich schnell eine Jacke überziehen musste. Die japanischen Kollegen saßen teilweise kurzärmelig herum und der ältere deutsche Kollege hatte sein Hemd aufgeknöpft, um seinen Bauch von der Sonne wärmen zu lassen. Dieser ältere deutsche Kollege erinnerte mich später daran, dass ich wohl im ersten Frust maulte “ob die Japaner, wenn sie mal hier oben waren, auch noch Fuji-San sagen?”. Heute weiß ich, dass die Silbe “San” Berg meint.
Wir haben dann ca. 30 bis 45 Minuten Rast auf den auf dem Gipfelplateau aufgestellten Holzpritschen gemacht. Das obige Foto zeig die beiden japanischen “Bergführer” mit “me in the middle” – rechts liegt ein Shirt zum Trocknen und auf der Pritsche sind die Reste des Essens zu sehen. Und auf dem Foto unten ist unser “Organisator” (und Chefingenieur in Personalunion) zu sehen, der wohl auf der Karte die Strecke für die Rückfahrt anschaut. Ich mochte ihn wirklich sehr, aber an diesem Tag habe ich seine “Schlitzohrigkeit” und “Schludrigkeit” verflucht. Da er (nach meiner Erinnerung) nur ein paar Kekse dabei hatte, wurde das von den anderen Teilnehmern mitgebrachte Essen mit ihm geteilt.
Ich erinnere mich, dass ich ihm noch ein Onigiri aus meinem Vorrat rüber schob. Aber immerhin hatte er einen Rucksack dabei, der in Japan auch so heißt und die Anmutung eines deutschen Exemplars aus dem 50er Jahren des vorherigen Jahrhunderts hatte. Wer sich für Bilder vom Gipfelplateau des Fuji-Kraters interessiert, die Technik hat sich weiter entwickelt. Bei Google Maps gibt es hier, hier und hier bessere Fotos als 360 Grad Panoramablick.
Abstieg und Ausklang …
Und dann kam die Zeit zum Abstieg. In meinem Reiseführer hatte ich gelesen, dass sich die Japaner Reisstroh-Schlappen bzw. –matten kauften, um den Abhang des Vulkankegels ins Tal zu rutschen. Ich habe niemanden mit so was gesehen – und zu kaufen gab es auf dem Gipfel auch nix. Also den Berghang wieder herunterkraxeln. Ich erinnere mich, dass mir irgendwann die Knie weh taten – aber dann waren wir am Parkplatz, bei den Autos angekommen. Mir war schlecht – ich dachte erst, wegen Überanstrengung. Aber nachher dämmerte mir, dass ich möglicherweise einen leichten Sonnenstich gehabt haben könnte. In der Höhe und wegen der dünnen Luft ist die UV-Strahlung recht hoch. Natürlich hatten wir keine Kopfbedeckung dabei (wenn Du zum Arbeiten nach Japan fliegst, steckst Du nicht unbedingt Wanderstiefel, Sonnencreme und Hut für eine Fuji-Besteigung ein). Glücklicherweise hatte ich eine “Matte” aus dichten Haaren auf dem Kopf (die sind mittlerweile grau, aber immer noch so dicht), die mich irgendwie schützten. Aber das Gesicht war unbedeckt und noch recht bleich, während die Japaner einen dunklen Teint von der Sonne hatten.
Der Chefingenieur schlug vor, noch Essen zu gehen, was aber vor Ort kollektiv abgelehnt wurde. Also wurde beschlossen, nach Kawagoe zurück zu fahren und dort essen zu gehen. Ich dachte bei mir noch so: “Du wirst keinen Bissen herunter bekommen, so schlecht wie dir ist”. Auf der Fahrt gegen Norden döste ich etwas und in Kawagoe war ich wieder fit – und konnte das japanische Essen mit rohem Fisch, Tempura etc. wirklich genießen. An dieser Stelle ziehe ich meinen Hut vor den japanischen Kollegen, die doch mindestens ein Jahrzehnt älter waren. Sie haben uns nicht nur die Fuji-Besteigung ermöglicht, sondern auch die An- und Abfahrt sowie die Besteigung gemeistert – wir Deutsche brauchten ja nur mitzufahren und etwas am Berg zu kraxeln.
Insgesamt war die Exkursion zum Mount Fuji schon ein Abenteuer, welches jetzt zwei etwas längere Blog-Beiträge ergab, ohne dass ich auf die Spezifika der Berghütten etc. eingehen musste (das lässt sich in den oben verlinkten Beiträgen nachlesen). Aber hier geht es ja um meine “speziellen Reiseerlebnisse” in Nihon, dem Land der aufgehenden Sonne. Und die hatte ich zur Genüge.
Postskriptum: Ich hatte erwähnt, dass mir nach dem Abstieg übel war und ich einen leichten Sonnenstich, ob der UV-Strahlung vermutete. Beim Rückflug nach Deutschland schälte sich die Haut auf meiner Nase leicht (minimaler Sonnenbrand). Vermutlich war die Übelkeit auch nur eine Folge der Anstrengungen. Meine beiden deutschen Kollegen hatten es nicht so gut getroffen. Der jüngere Kollege litt unter einer ausgeprägten Tonsur der Haare. Beim Rückflug, so erzählte der zweite deutsche Kollege, konnte er sich quasi die Kopfhaut auf der Glatze abziehen. Mangels Kopfbedeckung hatte er einen veritablen Sonnenbrand erlitten. Der ältere Kollege konnte sich die Haut im Bauchbereich quasi abziehen – hatte er doch beim Gipfelaufenthalt den Bauch mit aufgeknöpftem Hemd zu lange der UV-Strahlung ausgesetzt. Ja, die Gaijins, wenn sie einmal losgelassen. Aber wer fährt auch mit Bergwanderausrüstung nach Japan, wenn arbeiten angesagt ist. Jedenfalls habe ich auch nach über einem Vierteljahrhundert eine Menge Erinnerungen an den “Ausflug zum Fuji”.