Da stand ich nun, mit durchnässten Schuhen vor dem Bahnhof, an dem die Züge nach Nara, der ersten Kaiserstadt Japans, abfuhren. Den Namen der Stadt hatte ich in Kanji-Zeichen auf einem Fahrplan und dem Ticket stehen. Was sollte also schief gehen?
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Ich betrat den Bahnsteig und sah mehrere Züge, die bald abfahren sollten. Auf einem Zug waren die japanischen Schriftzeichen für Nara zu sehen, aber es stand noch mehr drauf. Einen zweiten Zug, der nur die Schriftzeichen für Nara trug, konnte ich nicht entdecken. Da die Abfahrt nahte, fragte ich einen den Bahnsteig verlassenden jungen Japaner mit rot gefärbten Haaren, ob das der Zug nach Nara sei. Eine klare Antwort bekam ich nicht, meinte aber ein bestätigendes Nicken zu erkennen. Also schnell in den Zug eingestiegen, und schon schlossen sich die Türen und die Fahrt ging los …
Ich wartete eine Weile und betrachtete die Mitreisenden. Direkt neben mir stand ein junger Japaner, der ein Comic las. Die Sprechblasen waren in Englisch verfasst. Ich schloss daraus, dass dieser Englisch konnte. Da der Zug schon eine Weile fuhr, und ich keine der Bahnstationen, die auf der Strecke nach Nara (laut meinem Fahrplan) auftauchen sollten, im Vorbeifahren erkennen konnte, kamen erste Zweifel auf. War ich in den richtigen Zug eingestiegen?
Also sprach ich den jungen Japaner auf Englisch an, ‘Tschuldigung, ist dies der Zug nach Nara?’ Keine Reaktion, aber der Halsansatz nahm plötzlich eine starke Rötung an, und das Comic wurde noch intensiver studiert. Ich wartete eine Minute und fragte nochmals ‘Sorry, is this the train to Nara?’ Der Schock stand dem jungen Mann ins Gesicht geschrieben, und er presste ‘immediately out’ hervor. Also, sofort raus.
Der Zug hielt, ich sprang raus und der Zug fuhr aus dem Bahnhof. Zwischenzeitlich war es dunkel geworden und ich stand auf dem Bahnhof. Ein Rundblick ergab, dass der Bahnhof mitten in der Pampa stand, ich konnte keine Häuser erkennen. Der Bahnhof war auch leer. Ich stellte mich schon darauf ein, die Nacht auf einer Bank auf diesem Bahnhof zu verbringen und am Morgen nach Kyoto zurück zu fahren, um meinen Flieger nach Tokyo zu kriegen.
Da erspähte ich ca. 100 Meter entfernt eine einzelne Person auf dem Bahnsteig. Ich ging auf diese Person, einen ca. 35 bis 40 jährigen Mann, zu und fragte auf English ‘I need to go to Nora by train’. Zu meiner Verblüffung vernahm ich ein ‘Ich helfe Ihnen’ und eine Geste, mit zu kommen.
Der Mann stellte sich an die Bahnsteigkante und schon fuhr ein Zug ein. Er bedeutete mir einzusteigen und der Zug ratterte los. Er sprach die ganze Zeit nichts. Dann lief der Zug in den Bahnhof in Nara ein. Wir stiegen aus und der Mann fragte ‘Hotel’. Ich zeigte ihm den Namen des Hotels auf dem Prospekt und er brachte mich die 100 Meter vom Bahnhof zum Hotel, um dann ziemlich grußlos zu verschwinden. Ich bedankte mich, war mir aber nicht sicher, ob er mein Deutsch oder Englisch verstand.
Im Rückblick hatte ich wohl unheimlichen Dussel. Die einzige Station, wo ein Zug nach Nara abging, an der war ich wohl ausgestiegen. Und ich traf dort auf den einzigen Passagier, der am späten Samstag-Abend nach Nara wollte. Ob er wirklich Deutsch sprach, konnte ich nicht herausfinden. Aber ich war im Hotel angekommen, konnte die nassen Schuhe ausziehen und zum Trocknen auf die Heizung stellen. Ich verkroch mich im Bett, um endlich warme Füße zu bekommen und schlief bald ein. Am nächsten Tag wartete Nara auf mich. Ach ja, das folgende Foto zeigt den Blick aus meinem Hotelfenster – auf einen Friedhof, wie ich annehme.
PostScriptum: Im Nachgang zum Verfassen dieser Episode fiel mir diese Geschichte aus Spiegel Online ein, um die es um eine Busreise geht. Ein ängstlicher Reisender fragt Tausend Mal nach, wo er aussteigen müsse. Ein Mitreisender Ausländer schaut dem belustigt zu – was für ein Idiot – bei zwei Buslinien kann doch nichts schief gehen. Nur, um am Ende der Fahrt festzustellen, dass er im falschen Bus saß.