Da hatte ich also den Wochenendausflug nach Kyoto und Nara, trotz einiger Widrigkeiten, gemeistert und den Flieger nach Tokyo erwischt. Nach längerer Bahnfahrt erreichte ich mein Hotel in Kawagoe, wo ich um einige Erlebnisse und Erfahrungen reicher eine Kleinigkeit aß und dann selig einschlief. Am nächsten Morgen genoss ich mein japanisches Frühstück und machte mich auf den Weg zur Arbeitsstelle.
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Nach kurzer Bahnfahrt kam ich an, stieg aus und lief die gut 500 Meter zum Werk. Am Werkstor brauchte ich keinen Ausweis, da ich als Gajin eh bekannt wie ein bunter Hund war. Als ich gut gelaunt und fröhlich pfeifend um die Ecke bog, und durch das Werkstor ging, nahm ich aus den Augenwinkeln wahr, dass der Pförtner schnell den Telefonhörer abnahm und ein Gespräch führte. Ich dachte mir nichts dabei, ich war ja nicht am Betreten des Werks gehindert worden.
Stutzig machte mich lediglich ein Umstand. Als ich über den Hof zum Technikgebäude ging, bemerkte ich, dass ich aus den Fenstern der Büros beobachtet wurde. Der Pförtner hatte also wohl Bescheid gesagt, dass ich im Werk angekommen sei. Auch das ließ bei mir nichts klingeln, hatte ich die sprichwörtliche, aber verschämte, Neugier der Japaner mehrfach kennen gelernt.
Also ich dann den Flur im Trakt der Ingenieursabteilung betrat, um zum Büro mit meinem Schreibtisch zu gehen, schauten mir die Angestellten aus verschiedenen Türrahmen lächelnd entgegen. Sollte das eine besonders freundliche Montag-Morgen-Begrüßung sein? Im Büro kam mir Kollege Nishi-Bajashi-San entgegen und sagte ‘But Born-san, you didn’t get lost’ (Mensch Born, Du bist ja nicht verloren gegangen), was ich nicht wirklich zu deuten wusste.
Da kam die Kollegin Frau Hashimoto auf mich zu. Da sie in Heidelberg studiert hatte, sprach sie sehr gut Deutsch. Sie fragte ‘Warst Du am Wochenende nicht weg, nach Kyoto?’ Ich entgegnete: ‘Doch, ich bin nach Osaka geflogen und habe Kyoto und Nara besichtigt.’ Darauf hin entgegnete sie ganz entgeistert: ‘Aber Du hast nicht angerufen und niemand sonst.’
Da dämmerte mir ganz langsam, was passiert war. Mir war vor der Abreise ein kleines Kärtchen überreicht worden. Dieses war in japanisch beschriftet. Wenn ich irgendwo gestrandet sei, solle ich die Karte dem nächsten Japaner zeigen. Dieser wurde auf der Karte gebeten, die angegebene Nummer anzurufen. Dann hätte ein japanischer Kollege oder eine Kollegin Instruktionen erteilt, wie mit mir zu verfahren sei. Aber ich hatte die Karte nicht gebraucht – für die japanischen Kollegen unvorstellbar. Die saßen wohl das ganze Wochenende auf heißen Kohlen und warteten vergeblich auf einen Anruf.
PostScript: Die Episode führte dazu, dass ich künftig alleine im Land reisen durfte und kein Kärtchen mehr mit bekam. Zudem stieg ich in der Achtung der japanischen Kollegen, da ich wohl recht selbständig war und erfolgreich reisen konnte.