An den Feiertagen lenken Gesundheitsbehörden Patientenströme gezielt per Smartphone – und entlasten so überfüllte Notaufnahmen. Während Deutschland den zweiten Weihnachtsfeiertag begeht, durchläuft das Gesundheitssystem seinen jährlichen Stresstest. Die Frontlinie verlagert sich dabei zunehmend vom Wartezimmer auf den Bildschirm.
Digitaler Lotse für Patienten
Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVs) in ganz Deutschland drängen die Bevölkerung in dieser Woche konsequent zur Nutzung der 116117-App mit integriertem Patienten-Navi. Dieses digitale Triage-System soll als Filter wirken und die Notaufnahmen entlasten. Patienten beantworten eine Reihe von Fragen und erhalten sofort eine Empfehlung: Hausarztpraxis aufsuchen, 116117 anrufen oder im lebensbedrohlichen Fall die 112 wählen.
„Die Faustregel lautet: Bei einer Erkrankung, für die man normalerweise den Hausarzt aufsuchen würde, die aber aus medizinischen Gründen nicht bis zum nächsten Tag warten kann, ist der ärztliche Bereitschaftsdienst zuständig“, erklärt die KV Berlin. In Nordrhein wurde die App am 23. Dezember ausdrücklich als erster Anlaufpunkt empfohlen.
Videosprechstunden als virtuelle Wartezimmer
Ein zentraler Baustein der Feiertagsstrategie 2025 sind ausgeweitete Videosprechstunden. Sie bieten einen „digitalen Arztbesuch“ und halten Patienten aus physischen Wartezimmern heraus.
Die KV Nordrhein bietet etwa einen speziellen Videoservice an. Für Eltern stand an den Feiertagen eine pädiatrische Videosprechstunde von 10 bis 22 Uhr bereit, Erwachsene konnten von 9 bis 21 Uhr eine Fernberatung nutzen. Bei Bedarf erhalten Patienten direkt ein E-Rezept aufs Smartphone – ein Beleg für den fortgeschrittenen Stand der digitalen Gesundheitsversorgung in Deutschland.
Kampf gegen die Überlastung der Notaufnahmen
Hinter dem digitalen Push steht ein altbekanntes Problem: die chronische Überlastung der Notaufnahmen, die sich in der Zeit „zwischen den Jahren“ traditionell verschärft.
„Für lebensbedrohliche Notfälle – wie Herzinfarkt oder Schlaganfall – gilt nach wie vor die 112“, betonte Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach am Heiligabend. Für akute, aber nicht lebensbedrohliche Beschwerden sei der über 116117 erreichbare Bereitschaftsdienst der richtige Ansprechpartner. Diese Unterscheidung will die App den Nutzern vermitteln.
Trotz der digitalen Angebote bleiben Wartezeiten eine Herausforderung. Die KV Berlin warnte vor Verzögerungen an den Telefonleitungen zu Stoßzeiten. Die App umgeht dieses Nadelöhr, indem sie Terminbuchungen oder die Suche nach geöffneten Praxen ermöglicht, ohne langes Warten in der Leitung.
Dauerhafte Verhaltensänderung als Ziel
Der starke Fokus auf die 116117-App ist mehr als eine vorübergehende Maßnahme. Er ist Teil der langfristigen Patientensteuerung, mit der das Gesundheitssystem Patientenströme lenken will. Jahrelang umgingen viele Patienten Hausärzte und gingen direkt in die Notaufnahme – zum Nachteil echter Notfälle.
Die Feiertage 2025 dienen als Live-Stresstest für diese digitalen Steuerungsmechanismen. Durch hochprofile Kampagnen prägen die Gesundheitsbehörden das Patienten-Navi im öffentlichen Bewusstsein ein. Die Möglichkeit, E-Rezepte remote auszustellen, beseitigt eine der letzten Hürden für die Digitalakzeptanz. So wird der „App-zuerst“-Ansatz auch bei typischen Feiertagsbeschwerden wie Grippe oder Magen-Darm-Infekten praktikabel.
Der nächste Test steht bevor: Silvester
Mit dem Blick auf Silvester wartet bereits die nächste Herausforderung auf die 116117-Infrastruktur. Die Tage vor dem 1. Januar bringen traditionell eine zweite Welle medizinischer Anfragen.
Die regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen signalisieren, dass die digitale Infrastruktur in vorderster Linie bleibt. In Westfalen-Lippe wird der Bereitschaftsdienst für das bevorstehende Neujahrswochenende erneut als „zentrale Wegweisung“ positioniert. Patienten werden aufgefordert, ihren Medikamentenvorrat vor dem Feiertag aufzufüllen, um unnötige Besuche zu vermeiden.
Die Botschaft der Gesundheitsbehörden für die verbleibenden Feiertage ist eindeutig: Für eine „stille Nacht“ sollte die 116117-App griffbereit sein. Sie ersetzt zwar nicht den Arzt, wird aber immer mehr zum Türsteher der Arztpraxis.




