BGH beendet Wildwest-Ära der Online-Coaches

Zwei Grundsatzurteile des Bundesgerichtshofs erweitern den Schutz des Fernunterrichtsschutzgesetzes auf Geschäftskunden und machen zahlreiche Verträge unwirksam.

Das Fernunterrichtsschutzgesetz gilt jetzt auch für Unternehmer – und macht Tausende Verträge unwirksam. Zwei Grundsatzurteile des Bundesgerichtshofs haben 2025 den deutschen Markt für digitale Weiterbildung umgekrempelt. Ab 2026 herrscht ein neues, strenges Regelwerk.

Die Ära des unregulierten „Wilden Westens“ in der digitalen Coaching-Branche ist zu Ende. Das bestätigen neue juristische Analysen zum Jahreswechsel 2025/26. Der Bundesgerichtshof hat in diesem Jahr die Spielregeln für den rund 500 Millionen Euro schweren Online-Coaching-Markt in Deutschland, Österreich und der Schweiz grundlegend neu geschrieben. Die entscheidende Wende: Der Schutz des Fernunterrichtsschutzgesetzes gilt nun uneingeschränkt auch für Geschäftskunden.

Das Aus für unzertifizierte Hochpreis-Programme

Jahrelang boomte das Geschäft mit teuren „Mentoring“-Programmen. Fünfstellige Summen für vorab aufgezeichnete Videos und sporadische Gruppen-Calls waren keine Seltenheit. Anbieter agierten oft ohne behördliche Aufsicht. Sie gingen davon aus, dass Verbraucherschutzgesetze für Verträge mit anderen Unternehmen oder Solo-Selbstständigen nicht gelten.

Diese Annahme ist nach den BGH-Urteilen vom Juni und Oktober 2025 hinfällig. Die Rechtslage der Teilnehmer habe sich „erheblich gestärkt“, heißt es in einer heute veröffentlichten Analyse der internationalen Anwaltskanzlei DLA Piper. Start-up-Gründer, Freiberufler und Kreative genießen beim Kauf von Fernlehrgängen nun denselben strengen Schutz wie Privatpersonen. Eine der bedeutendsten regulatorischen Erweiterungen in der Geschichte der europäischen Digitalwirtschaft.

Der Doppelschlag des Bundesgerichtshofs

Zwei Grundsatzentscheidungen trieben den Wandel voran. Sie sorgen weiterhin für Erschütterungen in der gesamten Branche.

Das Juni-Präzedenz
Am 12. Juni 2025 urteilte der BGH im Fall eines „9-Monats-Business-Mentoring-Programms“. Das Urteil gilt vielen als „nukleare Option“ für den Coaching-Markt. Der Anbieter verfügte über keine Zulassung der Staatlichen Zentralstelle für Fernunterricht. Der Vertrag sei daher nichtig, so das Gericht. Entscheidend: Der Schutz des FernUSG gelte nicht nur für Verbraucher, sondern auch für Unternehmer. Kleine Gewerbetreibende seien ebenso anfällig für überhöhte Preise und mangelhafte Bildungsprodukte. Der klagende Geschäftskunde erhielt knapp 24.000 Euro zurück.

Die Oktober-Bestätigung
Im Herbst machte der BGH alle Hoffnungen auf eine Einzelfallentscheidung zunichte. Am 2. Oktober 2025 bestätigte das Gericht seine Linie und erweiterte die Definition von „Fernunterricht“. Selbst Programme mit Live-Elementen unterlägen den strengen Lizenzpflichten, wenn der Kerninhalt räumlich getrennt vom Lehrenden vermittelt wird. Juristische Experten folgern diese Woche: „Zahlreiche bisher geschlossene Coaching-Verträge“ seien damit unwirksam. Teilnehmer unzertifizierter Programme können theoretisch volle Rückerstattung fordern – selbst Jahre nach Vertragsende.

„Wertersatz“: Der neue Streitpunkt

Die Urteile begünstigen zwar die Nutzer, doch in den letzten Monaten 2025 etablierte sich eine Nuance, die einen kompletten Marktzusammenbruch verhindert. Der Fokus liegt auf dem Wertersatz. Dieses Konzept ist zur primären Verteidigungslinie der Coaching-Anbieter geworden.

Ein wegweisendes Urteil des Amtsgerichts Paderborn vom 26. September 2025 setzte Rückforderungsansprüchen eine Grenze. Zwar sei der Vertrag wegen fehlender ZFU-Zulassung nichtig, räumte das Gericht ein. Der Nutzer hatte jedoch über 70 Stunden Videomaterial konsumiert und an zahlreichen Live-Calls teilgenommen. Er müsse daher eine Vergütung in Höhe des Marktwerts der in Anspruch genommenen Leistungen zahlen – in diesem Fall den vollen Vertragspreis.

„Hat ein Teilnehmer die Lernmaterialien umfassend genutzt, kann das Recht der ungerechtfertigten Bereicherung eine Entschädigung des Anbieters verlangen“, kommentieren Rechtsexperten. Für unzufriedene Kunden entsteht eine komplexe Risikoabwägung: Eine Klage auf Rückzahlung könnte den Vertrag zwar aufheben, aber sie könnten dennoch Tausende Euro für die konsumierten Inhalte schulden.

Die ZFU wird zur zentralen Instanz

Die praktische Folge ist ein massiver Ansturm auf die Zulassungsstelle. Die Staatliche Zentralstelle für Fernunterricht in Köln verzeichnet seit Herbst 2025 einen sprunghaften Anstieg der Anträge.

Für Anbieter digitaler Bildung sind die Anforderungen ab 2026 klar und nicht verhandelbar:
* Pflichtzertifizierung: Jeder bezahlte Kurs, bei dem Lernender und Lehrer räumlich getrennt sind und der Lernerfolg überwacht wird (etwa durch Q&A), benötigt eine ZFU-Lizenz.
* Vertragstransparenz: Verträge müssen spezifische Kündigungsrechte und Widerrufsfristen enthalten – auch für B2B-Kunden.
* Qualitätskontrolle: Das Zertifizierungsverfahren zwingt Anbieter, die didaktische Qualität ihres Curriculums nachzuweisen. Das könnte „Geld-schnell-schemen“ aussieben.

Marktanalysten sagen für das erste Quartal 2026 eine Konsolidierung der Branche voraus. „Die Ära des ‚Instagram-Coaches‘, der über ein Wochenende ein Hochpreis-Programm launchen kann, ist vorbei“, sagt Dr. Elena Kraft, eine auf Digitalrecht spezialisierte Rechtsberaterin aus München. „Die Eintrittsbarriere wurde erheblich erhöht. Nur professionelle Anbieter mit überprüfbaren Bildungsstandards werden diese regulatorische Säuberung überstehen.“

Ausblick 2026: Von der Klage zur Compliance

Die Aufmerksamkeit verschiebt sich nun von der Rechtsstreitigkeit zur Einhaltung der Vorschriften. Auch die Europäische Union beobachtet die deutschen Entwicklungen aufmerksam. Angesichts des digitalen Binnenmarkts, der grenzüberschreitendes Coaching erleichtert, erwägen EU-Regulierer harmonisierte Standards für digitale Bildungsverträge. Ziel ist es, „Forum Shopping“ zu verhindern – die Verlagerung von Anbietern in Rechtsgebiete mit lascheren Gesetzen.

Für Nutzer ist die Botschaft bestärkend, aber mit Vorsicht zu genießen. Der rechtliche Schutz bei Online-Coaching ist stärker denn je und bietet ein Sicherheitsnetz gegen Betrug und mangelhafte Leistungen. Doch der Grundsatz von Treu und Glauben bleibt wirksam. Der Schutz soll Opfer räuberischer Praktiken schützen, nicht strategische Rückerstattungen für zufriedene Kunden ermöglichen.

Zum 26. Dezember 2025 ist der digitale Coaching-Markt kein gesetzloser Raum mehr. Er hat sich zu einer regulierten Branche entwickelt, in der Verbraucherrechte – unabhängig vom B2B- oder B2C-Status – oberste Priorität haben.