Kläranlagen spiegeln die Belastung des Abwassers einzelner Regionen durch Medikamente oder eben auch Virus-Partikel wieder. Am 25. Januar 2021 stellte das französische Obépine-Netzwerk, das sich der Überwachung von SARS-CoV-2 im Abwasser widmet, Daten von rund 40 Kläranlagen online zur Verfügung. Basierend auf einem strengen Protokoll zur Messung der Viruskonzentration im Abwasser am Eingang von Kläranlagen könnte der Obépine-Indikator endlich einen genauen und unvoreingenommenen Blick auf die Verbreitung des Virus in der Bevölkerung ermöglichen.
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Ein Problem der Gesundheitsämter, Virologen und Politiker ist die Beurteilung, wo sich Covid-19-Erkrankungen häufen. Durch Testungen lassen sich Infektionen erkennen, und die Daten können zu sogenannten Heat-Maps zusammengeführt werden, um Häufungen sichtbar zu machen. Aber eine Messung der Viruskonzentration im Abwasser am Eingang von Kläranlagen könnte möglicherweise schneller zeigen, wo sich das Coronavirus in der Bevölkerung verbreitet.
Open Data für die Forschung
Da sich das Coronavirus auch im Verdauungstrakt vermehrt, scheiden infizierte Menschen das Virus mit ihren Fäkalien aus, die schließlich im Abwasser zu finden sind und mittels RT-PCR nachgewiesen werden können. Die vom Obépine-Netzwerk erhobenen Daten durch die Messung der Viruskonzentration im Abwasser am Eingang von Kläranlagen ermöglichen einen noch nie dagewesenen Einblick in die Virusverbreitung in Abwasserbecken.
Die zugänglichen Daten im "Open Data" beziehen sich zunächst auf etwa vierzig der 150 von „Obépine" überwachten Kläranlagen, bevor sie schrittweise auf das gesamte überwachte Netz ausgedehnt werden.
Regelmäßig aktualisierte Trendkurven mit zuverlässigen Daten
In einer mir vorliegenden Meldung erklärt Vincent Marechal, Virologe an der Universität Sorbonne und Mitbegründer des Netzwerks: "Wir werden Indikatoren für etwa 30 Gemeinden veröffentlichen, die in Form von Kurven dargestellt werden. Diese werden einen Überblick über die Mengen der beobachteten Virusspuren geben, und zwar in einer Größenordnung von bis zu 150. Diese Kurven, die nach und nach aktualisiert werden, werden wir auch an das Gesundheitsministerium weiterleiten."
Das Obépine-Netzwerk stellt "kritisierte", d.h. nach vielen Kriterien analysierte und gewichtete Zahlen zur Verfügung, da nach Ansicht seiner Entwickler die Rohdaten aus den Laboren leicht fehlinterpretiert werden können. Der wesentliche Beitrag von Obépine ist die Erstellung eines zuverlässigen und homogenen Protokolls zur Messung der Viruskonzentration in diesem komplexen und chemisch variablen Medium Abwasser.
Ein Indikator, der eine Reihe von Fehlern bei der Bewertung der Epidemie vermeidet
Der Obépine-Indikator soll ein genaues Bild von der Entwicklung der Viruszirkulation in den Bevölkerungen liefern. "Es ist ein sehr interessanter makroepidemiologischer Indikator, da er die gesamte Bevölkerung erfasst […]", so Vincent Maréchal, "Zudem liefert er ein ziemliches genaues Bild der aktuellen Situation, während die durch aktuelle Testergebnisse widergespiegelte Dynamik der Epidemie mehrere Tage hinter der Realität zurückliegen kann".
Denn die bisherige Methode basiert auf der Beobachtung der Symptome, einer Entscheidung für einen Test, der Durchführung des Tests, und Erhalt der Ergebnisse. Die Indikatoren, die auf PCR- oder Antigentests basieren, wie z. B. die Inzidenzrate von Covid-19, liegen zwangsweise hinter der Wirklichkeit zurück.
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Darüber hinaus, und das ist wahrscheinlich der kritischste Punkt, werden diese Indikatoren durch die implementierte Teststrategie verzerrt: Testumfang, Priorisierung oder nicht von Tests nach Personengruppen, Berücksichtigung von Antigentests, Schulferien, etc. Schließlich werden asymptomatische Menschen in der Regel nicht getestet, obwohl "50 bis 60 % der Fälle asymptomatisch sind", betont Vincent Maréchal.
Früherkennung für ein Instrument im Dienste der Gesundheitsstrategie
Mit seiner nahezu in Echtzeit erfolgenden Erfassung der Viruszirkulation ermöglicht dieser Indikator im Gegensatz zu Tests und Krankenhausaufenthalten eine frühzeitige Erkennung der Entwicklung der Epidemie.
Dies bestätigte sich im Sommer, als die zweite Welle, die im Oktober einen zweiten Lockdown nötig machte, bereits am 20. Juni nachgewiesen wurde. "Wir haben sehr früh Alarm geschlagen, ohne gehört zu werden", beklagt Vincent Maréchal. Und das aus gutem Grund: In diesem Sommer zirkulierte das Virus vor allem unter jungen Menschen, einer Bevölkerungsgruppe, die weitgehend asymptomatisch ist. Die Zahl der positiv getesteten Fälle blieb daher über viele Wochen hinweg niedrig, obwohl der Obépine-Indikator eine zunehmende Präsenz des Virus anzeigte.
"Wir haben damals bedauert, dass unser Indikator keine größere Beachtung fand. Wir hoffen, dass wir mit der heutigen Öffnung der Daten für die Öffentlichkeit ein Instrument haben, um effektive Gesundheitsstrategien umzusetzen", so Vincent Maréchal.
Obépine arbeitet nun an analytischen Methoden, um die Mengen der SARS-CoV-2-Varianten im Abwasser nachzuweisen. Die Tests wurden in der Region Ile-de-France durchgeführt. Die Ergebnisse werden in Kürze vorliegen.
Quelle: Fachblatt Industrie & Technologie (französisch)
Weitere Information: Epidemiologische Beobachtungsstelle für Abwasser https://www.reseau-obepine.fr/
Originalpublikation: Covid-19: „Obépine" stellt seine Abwasserdaten online für einen unverfälschten Blick auf die Epidemie in Frankreich
Weitere Informationen: https://www.reseau-obepine.fr/
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Wirklich eine sehr spannende Sache! – Gehört hatte ich von dieser Möglichkeit schon vor längerer Zeit einmal. Gut, dass so ein Projekt jetzt läuft: endlich valide Indikatoren in Echtzeit! Das braucht es ganz dringend …