Brexit: Wir rechnen wieder in Unze, Pfund und Stein …

Es gibt so Tage, da glaubst Du, in ein Irrenhaus geraten zu sein. Die Tage las ich, dass die britische Regierung wieder die ausschließliche Verwendung alter Gewichtseinheiten wie Pfund, Unzen  und Stein im Alltag der Briten erlaubt. Das wird als demonstrativer Schritt nach dem Brexit gefeiert, weil man die bisherigen Gewichtsangaben in Kilogramm auf die verhasste EU zurück führt.


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Zeitsprung 50 Jahre zurück

Irgendwo haben wir es im Kerneuropa schon einfacher: Da gibt es das Meter, das Kilogramm und weitere Maßeinheiten, die in diesen Ländern gelten und gebräuchlich sind. Schwieriger wird es in den angloamerikanischen Ländern wie Großbritannien, den USA oder Australien, wo Maßangaben wie Gallonen, Pounds etc. zu finden sind.

Machen wir mal eine Zeitsprung um ein halbes Jahrhundert zurück. Es muss so zwischen 1969 und 1970 gewesen sein, ich drückte als Elektrolehrling die (Berufsschulbank) und der Fachlehrer machte und damit vertraut, dass ab 1970 das SI-System (Internationale Einheitensystem) gelten würde. Dieses Einheitensystem legt die Basiseinheiten für die Zeit (Sekunde), Länge (Meter), Masse (Kilogramm), Stromstärke (Ampere), Temperatur (Kelvin), Stoffmenge (Mol) und Lichtstärke (Candela) fest.

Also arbeiten wir seit 50 Jahren mit diesen Einheiten, die international gelten – lediglich die USA lassen eigene Einheiten zu. Daher wird in der Luftfahrt bei Höhenangaben immer noch in Fuß operiert und in der Schifffahrt geht es um Seemeilen – die Geschwindigkeit gibt man bei beiden Verkehrsträger in Knoten an. Führte u.a. dazu, dass mal eine Marssonde verloren ging, weil die Umrechnung von Einheiten aus dem nationalen System in das SI-Einheitensystem fehlerhaft war.

Ach ja, Großbritannien trat erst im Januar 1973 dem europäischen Wirtschaftsraum bei, hat sich aber am 31. Januar 2020, nach 47 Jahren, aus dem EU-Wirtschaftsraum verabschiedet. Das heißt, dass selbst nach einer Übergangszeit viele Briten seit Jahrzehnten mit den SI-Einheiten im Alltag arbeiteten, und sich weniger für Maßeinheiten wie Unze, Pfund und Stein interessierten.

Brexit dreht das Rad zurück

Da man aber den harten Brexitiers was an die Hand geben musste, was zu feiern ist, hat man wieder die ausschließliche Verwendung alter Gewichtseinheiten wie Pfund, Unzen  und Stein im Alltag der Briten erlaubt. Die vorher durch die EU vorgeschriebene Angabe, was eine Ware im kg-Preis kostet, darf nun entfallen. Löst bei den Brexitiers Jubel aus – wie Spiegel Online hier berichtet. Motto: Take back control.

Im Spiegel-Artikel werden dann auch einige Stilblüten aufgegriffen, die die Engländer jubeln lassen. So war 2001 ein Händler zu einer Geldbuße verknackt worden, weil er Bananen im Wert von 34 Cent nicht in Kilogramm ausgepreist hätte – in jedem Supermarkt Deutschlands findet man diese Angaben klein auf den Preisetiketten und gut ist. Hintergrund der Vorgabe war, dass ein Verbraucher schnell Preise von einzelnen Packungsgrößen einer Ware vergleichen können soll,  eine sinnvolle Regelung, finde ich.

Weiterhin hatten die Briten weiterhin ihre Meilenangaben auf den Straßen, oder Bier wurde in Pints gemessen. Auch Größenangaben wie Fuß oder Inch (Zoll) sind dort gebräuchlich (bei uns nur im Rohrleitungsbau). Wo sich junge Briten aber schwer tun, sind Gewichtsangaben der Art 16 Unzen ergeben ein Pound, wobei man 2,2 englische Pfund braucht, um auf ein Kilogramm zu kommen. Und die Information, dass 14 Pfund einem Stein (Stone) entsprechen, dürfte auch in Britannien bei manchen Leuten Staunen hervorrufen.


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In Deutschland ist es nicht wesentlich anders – kürzlich erzählte mir meine Frau, dass sie auf einem Markt ein Pfund Ware orderte und das junge Mädel fragte "Wie viel Gramm sind das denn?", die unter 40 jährigen lernen mit Maßeinheiten mit Gramm und Kilogramm umzugehen. Entsprechend ist ein Chaos in Großbritannien vorprogrammiert, Engländer, die nach den 70er Jahren die Schule verlassen haben, könnten dann mit Preis/Mengenangaben in Unzen leicht übers Ohr gehauen werden.

Echt kompliziert wird es, wenn die britischen Firmen dann in den Export gehen wollen, da in der EU die betreffenden SI-Einheiten wie Kilogramm gelten. Im Artikel der Schweizer NZZ zum gleichen Thema  wird dann auch noch ein wunderschönes Beispiel gebracht, wie sich die Briten richtig in den Fuß schießen. Das europäischen CE-Sicherheitskennzeichen, welches auf vielen Waren prangt, wird in Großbritannien abgeschafft und durch das nationale UKCA-Siegel ersetzt.

Bürokratie ohne Ende

Europäische Hersteller werden sich gut überlegen, ob der britische Markt lukrativ genug ist, um das zusätzliche UKCA-Siegel für eine Ware zertifizieren zu lassen. Es könnte für die Briten teurer werden. Falls aber britische Händler Waren von der Insel exportieren möchten, wird es ebenfalls aufwändig. Für die EU muss ein CE-Kennzeichen beantragt und kostenpflichtig zertifiziert werden.

Aber selbst für Nordirland, was ja zu Großbritannien gehört, gibt es (wegen der Zollregeln) die Pflicht zur CD-Kennzeichnung von Geräten und Waren weiterhin. Dort soll ein eigenes UKNI-Zertifizierungssiegel für im Land hergestellte Waren eingeführt werden. Waren können aus Nordirland nach Großbritannien mit UKNI-Siegel ausgeführt werden. Ein Verkauf nach Irland oder in die EU scheitert aber am fehlenden CE-Kennzeichen.

Man kann das zwar alles irgendwie in den Griff bekommen. Aber ich erinnere mich an meinen Wehrdienst bei der Bundeswehr. Dort war ich als Bediener für die Stromversorgungseinheit (PowerStation) bei den in Deutschland stationierten Pershing-Raketen eingesetzt. Wenn dort Drücke in Hydraulik-Einheiten in PSI angegeben und angezeigt wurden, waren das spanische Dörfer – in Deutschland galten die Druckangaben in Bar.

Meine beruflichen Wurzeln als Ingenieur liegen nicht nur in der Luft- und Raumfahrtindustrie, sondern führten mich auch in die Großchemie und den Anlagenbau. Wenn internationale Projekte anstanden, hatte man nicht nur die Sprachbarriere, sondern auch Zulieferer aus vielen Teilen der Welt. da war es schon gut zu wissen, dass eine Einheit in ihren Abmessungen mit der Verrohrung oder mit Schrauben zum Rest der Anlage passte. Klar ließ sich alles irgendwie in Einheiten umrechnen. Aber wehe, irgendwo wurde das in der Lieferkette vergessen, dann passte das Gelieferte vor Ort hinten und vorne nicht zusammen. Damals habe ich den Wert nationaler oder internationaler Normen schätzen gelernt – eine M5-Schraube kannst Du in Europa überall kaufen und weißt, sie passt auf eine M5-Mutter. Links- oder Rechtsgewinde waren da Begriffe als finsterer Vergangenheit – und das geben die Briten gerade auf.

Leere Regale in Großbritannien

Das ist alles in allem kein gutes Zeichen – statt Bürokratieabbau, wie von der britischen Regierung den Brexitiers versprochen, wird die ganze Sache an den Bedürfnissen der Firmen und der normalen Menschen vorbei gehen (so jedenfalls mein Eindruck). Aber einige old boys können sich in ihren britischen Clubs der Illusion hingeben, endlich die Kontrolle bekommen zu haben. Bleibt nur zu hoffen, dass noch irischer Whisky offiziell über die Grenze importiert werden kann und dass es Fahrer gibt, die dann die Ladung zu den Briten transportieren. Aktuell sind einige Supermarkt-Regale in Großbritannien irgendwie arg leer.

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7 Antworten zu Brexit: Wir rechnen wieder in Unze, Pfund und Stein …

  1. Mance sagt:

    Ich hab' mir mal einen Spaß daraus gemacht und in meinem Metzgerladen gesagt ich hätte gern "an Vierleng Schengawuscht". Die Verkäuferin, die garnicht mal so jung war, hat fast panisch reagiert und gestammelt sie könne mit den alten Maßeinheiten nichts anfangen :-)))

    Aber mal ganz allgemein; scheinbar war das eine gewaltige Fehleinschätzung man könnte, indem man ein vereintes Europa ausruft, die kulturellen Unterschiede einfach einebnen. Wenn man mal als "Gutmensch", der ich nicht bin, sich eigentlich eine globale Menschengemeinschaft ohne lästige Ländergrenzen vorstellen würde zeigt die Praxis, daß wir immer noch in der Steinzeit sind.

  2. StefanP sagt:

    Als Du beim Bund warst, da wurde Druck doch noch in atü angegeben, oder? ;-)
    Nicht, dass das am Zahlenwert was ändert…

      • StefanP sagt:

        Naja, knapp 2% Abweichung (plus eine Atmosphäre, weil das ü ja Überdruck gegenüber Umgebung meint).
        Interessant finde ich, das die Angaben der Reifendruckmessgeräte – was die Zahlenwerte betrifft – damals beim Übergang gefühlt gleich blieben. Die 2% Unterschied hat keiner gesehen.
        Bedeutet aber, dass die jetzige Einheit "Bar Überdruck gegenüber Umgebung" sein müsste, nicht nur Bar. Steht das so auf den Dingern drauf? Ist mir nie aufgefallen

    • guenni sagt:

      Ich habe erinnerungsmäßig 1975 schon in Bar gedacht – vielleicht ist es aber Verklärung und ich bin erst im Studium der Physikalischen Technik ab 1976 mit den SI-Einheiten komplett auf DU gestanden und ein ordentlicher Mensch geworden.

      Spontan zuckte bei ATÜ bei mir so "hat man doch im 2. Weltkrieg beim Aufpumpen von Autoreifen mit gerechnet" durch den Kopf.

  3. Mance sagt:

    Ja klar, ich nehm' das auch nicht so genau. Für mich ist bspw. immer noch einer 70 kilo schwer was ja auch stimmt, wenn die Masse gemeint ist. Die Gewichtskraft wäre ja eigentlich das 9,81fache und N. Und ich rechne heute noch immer alles in DM um ;-)))

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