Brexit-Wehen: Lasst mich durch, ich bin Arzt und brauche Benzin

Es ist eine sehr traurige Entwicklung, die sich momentan auf der britischen Insel abzeichnet. Seit dem vollzogenen Brexit wurden Hundertausende Arbeitnehmer aus dem europäischen Ausland aus Großbritannien vertrieben. Take back control lautete die Devise der Brexiteers. Nun werden die Folgen sichtbar. In den Supermärkten bleiben Regale leer, weil LKW-Fahrer fehlen, um die Waren vom Erzeuger zum Verbraucher zu bringen.


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Nachfolgender Tweet weist auf das Dilemma in allgemeiner Form hin. Unter dem Begriff (Hashtag) #BrexitChaos lassen sich weitere Einträge fehlen (siehe auch dieser Suchbegriff auf Twitter).

Insgesamt sollen wohl 100.000 LKW-Fahrer in Großbritannien fehlen – schneller Ersatz ist nicht wirklich in Sicht. Premier Boris Johnson plant zwar jetzt 5.000 Visa für LKW-Fahrer vom europäischen Kontinent einzuführen. Aber wer will schon für 3 Monate zu horrenden Kosten auf die Insel, um dort LKW zu fahren, wenn er dort in 2020 regelrecht rausgeekelt wurde? Zumal auch in Europa händeringend LKW-Fahrer gesucht werden.

Dramatische Ausmaße nimmt jetzt die Versorgung mit Treibstoffen an. Wegen fehlender Fahrer für die Tankwagen gelangen Benzin und Diesel nicht mehr von den Raffinerien zu den örtlichen Tankstellen. Ein kurzer Situationsbericht, wie z.B. in Zeit Online zu finden, zeigt die prekäre Lage Großbritanniens. Die Tankstellen haben keinen Treibstoff mehr in ihren Tanks, die Tanksäulen bleiben geschlossen. Laut diesem Artikel haben 90% der britischen Tankstellen keinen Treibstoff mehr.

Nun muss man sich bloß vorstellen, wie es bei uns dann ginge. Die Leute müssen zur Arbeit und können ihr Auto wegen Benzinmangels nicht mehr nutzen. Handwerker stehen ohne Sprit da. Die Nerven liegen blank, Angestellte von Tankstellen werden von wütenden Kunden beleidigt und bedrängt. Es gibt Berichte, nach denen Leute bis zu 8 Tankstellen angefahren haben, um nach 2 Stunden Wartezeit dann den Tank zu füllen. Eine wahnsinnige Zeitverschwendung, und einige Leute können dadurch ihrem Beruf nicht mehr nachgehen.

Speziell Ärzte und Angestellte des britischen Gesundheitssystems kommen nicht mehr zur Arbeit oder können mangels Sprit die Patienten nicht mehr versorgen. Es gibt bereits erste Rufe, dass Ärzte bevorzugt mit Treibstoff versorgt werden sollten, damit das Gesundheitssystem arbeitsfähig bleibt. Verkehrsminister Grant Shapps wird mit dem alten Witz zitiert "Was interessiert mich die Benzinpreiserhöhung, ich tanke immer für 20 Mark" – und Shapps meinte zu seinen Landsleuten "Deutsche Mark haben wir nicht, aber tankt einfach nur für 20 Pfund".

Man könnte als Europäer jetzt schadenfroh lächeln, denn die Briten haben den Brexit ja gewollt. Aber das ist zu kurz gesprungen: knapp 50 % der Briten haben für Remain (also in der EU bleiben) gestimmt, sind aber jetzt Geisel des Brexit. Die Benzin-Knappheit ist nur ein Tüpfelchen auf dem i, denn der Mangel an Arbeitskräften zieht sich durch alle Branchen. Import und Export ist zum Erliegen gekommen, in den Schlachthöfen, in der Landwirtschaft, im Dienstleistungsbereich, bei den Handwerkern, im Gesundheitswesen und in der Industrie fehlen überall die ausländischen Arbeitskräfte, die in die EU zurückgedrängt wurden und Großbritannien verlassen haben.

Die britische Regierung fährt das Land astrein gegen die Wand – es herrschen an den Tankstellen jetzt schon Zustände wie während des zweiten Weltkriegs. Und dass die fehlenden 100.000 LKW-Fahrer kurzfristig herangeschafft werden können, ist nicht möglich. Erstens sind viele ältere LKW-Fahrer während der COVID-19-Pandemie in Ruhestand gegangen. Die Behörden haben wegen COVID-19 und Lockdown gut 25.000 Fahrprüfungen weniger abgenommen. Zudem sind in dieser Zeit 50.000 Führerscheinanträge unbearbeitet liegen geblieben. Der Beitrag der Zeit enthält viele ernüchternde Beschreibungen des gegenwärtigen Zustands. Das ist alles nicht gut – und der Winter kommt erst noch – die Gas-Krise ist auch noch nicht ausgestanden.


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