Atomkraftwerke in Frankreich, neue Risse, neues Desaster

Die Atomkraft-Strategie, auf die in Frankreich gesetzt wird, erweist sich für das Land immer mehr als Desaster. Standen 2022 zahlreiche Reaktoren wegen Kühlwassermangel und technischer Probleme still, deutet sich ein neues Desaster an – es wurden größere Risse in zwei AKWs entdeckt.


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Ich hatte es Ende voriger Woche schon in einem Tweet mit Verweis auf einen Artikel im französischen Medium Le Figaro gesehen.

Desaster in französischen Atomkraftwerken

Der Titel sagt schon alles: "Schwarze Serie geht weiter: EDF muss den gesamten Atompark inspizieren. Ein neuer Fehlertyp wurde entdeckt. Die schwarze Serie für den Energieversorger geht weiter."

Der Artikel befindet sich hinter einer Paywall – aber ein Kurzausriss zeigt schon das Desaster. Der französische Atomkonzern EDF entdeckte bei Inspektionen in seinem Kraftwerk Penly (Normandie) einen 23 mm tiefen Riss. Die Brisanz: Dieser 23 mm tiefe Riss trat in 27 mm dicken Rohrleitungen auf – es waren also nur noch 4 mm Material-Reststärke, die radioaktives Kühlmittel vor dem Austreten hinderten.

Le Figaro schreibt, dass dies eine Welle der Besorgnis auslöste. Denn das Thema ist für den Konzern umso besorgniserregender, als es achtzehn Monate nach der Entdeckung von Rissen auf Grund von Spannungsrisskorrosion im Kraftwerk Civaux auftritt. Dieser Defekt hatte den Konzern dazu gezwungen, im Jahr 2022 insgesamt 25 seiner 56 Reaktoren vom Netz zu nehmen. Zusammen mit Kühlmittelmanagel im Sommer 2022 gelang es Frankreich im Sommer 2022 nicht, genügend Strom mit seiner Atomflotte zu produzieren – es musste (Wind-)Strom aus Deutschland gekauft werden.

Die 2022 abgeschaltete Reaktoren sind nach und nach wieder in Betrieb genommen worden. Damals waren Risse von 5 bis 6 mm Tiefe festgestellt worden. EDF hoffte,  dass das Desaster aus 2022, das rund 32 Milliarden Euro gekostet hat,  mit der Revision abgeschlossen sei. Jetzt ist alles zurück auf Start, die Überprüfungen gehen von neuem los.

An dieser Stelle setzen so einige Erinnerungen bei mir ein: 1976 – 1979 – Studium Physikalische Technik in Jülich – ich hatte mich gegen den Studiengang Kerntechnik, den die FH auch anbot, entschieden, weil ich von den mangelnden Berufsaussichten abgeschreckt wurde. Aber wir hatten als Physiker viele Vorlesungen aus der Kerntechnik und aus der Materialkunde. Ich erinnere mich an die Vorlesungen im Fach Metallurgie, wo es auch um Diffusion von Wasserstoff in Stähle ging, wo an den Korngrenzen Spannungsrisskorrosion auftritt. Ein Problem, welches damals bereits für Stähle in AKWs diskutiert wurde. Und wenn ich heute über die "hochfliegenden Pläne von Politikern und Wirtschaftslenkern zur Wasserstoff-Wirtschaft" lese, fällt mir sofort "Wasserstoff-Diffusion in Stahl mit Schwächung der Konrngrenzen" ein – dann sehe ich wieder die Mikroskop-Bilder von angeschliffenen Stahlproben aus der Vorlesung vor mir.

Es hat sich also seit 40 Jahren nichts geändert – kein Wunder, ist ja Metallurgie und Werkstofftechnik, und die EDF-Reaktoren in Frankreich sind alt, basieren also auf den Kenntnissen, die wir vor über 40 Jahren als "Stand der Technik" hatten.


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Wie zitiert Le Figaro Julien Collet, stellvertretender Generaldirektor der französischen Atomaufsichtsbehörde ASN (Autorité de sûreté nucléaire): "Diesmal handelt es sich um das gleiche physikalische Phänomen, aber nicht um die gleiche Ursache". Beruhigend zu wissen – es ist eine andere Ursache – aber das Wissen ist gleich geblieben, und die Auswirkungen auch. Die Reaktoren müssen einer Revision unterzogen werden – dabei werden die Reaktorkomponenten (Druckbehälter, sofern zugänglich, was ein Problem ist, Rohrleitungen, Ventile etc.) des Primärkreislaufs einer Materialprüfung auf Risse unterzogen werden.

Auch das weckt bei mir ungute Erinnerungen – denn mein Studium als Ingenieur Physikalische Technik hätte mich befähigt, mit Zusatzausbildungen genau in diesem Bereich in Atomkraftwerken tätig zu werden. Stattdessen hatte ich im Flugzeugbau angeheuert (ich wollte eigentlich Raumfahrtzeuge bauen), und bin in einer Entwicklungsabteilung gelandet, die zerstörungsfreie Werkstoffprüfungsverfahren entwickelte. Also habe ich mit Ultraschall und anderen Techniken genau solche Rissprüfungen an Airbussen durchführen müssen.

Manche Dinge ändern sich halt nie … aber ich habe es gehasst, in zugigen Wartungshallen auf europäischen Flughäfen Airbusse auf Risse und abgelöste Klebeverbindungen zu prüfen. Diese Themen interessierten mich nicht die Bohne und Ultraschallprüfung von Bauteilen war nicht meine Welt.

Da ich im Studium viel mit Programmierung zu tun hatte (atypisch zu dieser Zeit, interessierte mich aber brennend, so dass ich da von meinem Professor freien Zugang zu Rechnern erhalten hatte), habe ich mich im ersten Job als Ingenieur in diesen Bereich rein gekniet, dann den Abflug aus der Luftfahrt gemacht, um in der Großchemie Mikrocomputer-Speziallösungen zum Steuern und Überwachen von Anlagen zu programmieren. Hab mich dann nach 12 Jahren aber als IT-Autor in die Freiberuflichkeit verabschiedet – und bin am 1. Oktober 2023 insgesamt 30 Jahre in diesem Bereich – aktuell auch als Blogger – unterweg. Und so schaue ich, wie mir die Erinnerungen immer wieder auf die Füße fallen – und sei es als Studienerfahrungen, die ich im Einklag mit neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet französischer Atomkraftwerke bringe.

Ist jetzt ein großer Schlenker geworden – interessierte Leserinnen und Leser finden eine deutschsprachige Zusammenfassung der Rissthematik an Frankreichs Atomreaktoren in nachfolgendem RND-Artikel.

Risse in französischen Atomkraftwerken
An den schadhaften Komponenten sind die Rohrleitungen zwar bereits ausgetauscht worden. Aber ich frage mich "sind alle Stellen mit Rissen entdeckt worden?" – wer entsprechende Anlagen kennt, weiß, dass es viele Stellen gibt, wo die Prüfung schwierig bis unmöglich ist. Aus meiner Zeit im Flugzeugbau mit Ultraschall-Rissprüfung ist mir auch noch die Schwierigkeit geläufig, einen Riss zuverlässig zu entdecken und von anderen "Materialfehlern" zu entscheiden. Es erfordert große Erfahrung sowie Aufmerksamkeit, um nichts zu übersehen.

Nun sind wphl weitere Reaktoren zu prüfen – es gilt also "nach dem Spiel ist vor dem Spiel", Überraschungen nicht ausgeschlossen. Einer der Gründe, warum ich nach vielen Jahren zum Schluss gelangt bin, dass Atomkraftwerke und Atomtechnik nicht wirklich beherrschbar sind und der deutsche Ausstieg sinnvoll ist.

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