Nach zahlreichen Experimenten haben Forscher in einer Studie herausgefunden, dass Hirnwasser von jungen Mäusen das Gedächtnis alter Tiere wieder verbessern kann. Die Hoffnung der Forscher: Hirnwasser könnte künftig die Behandlung neurodegenerativer Krankheiten unterstützen – aber es ist fraglich, ob die Experimente auf den Menschen übertragbar sind.
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Die Gedächtnisleistung von alten Mäusen verbessert sich, wenn ihnen Gehirnwasser von jüngeren Mäusen injiziert wurde. Das beschreibt eine Gruppe von Forschenden um den Alternsforscher Tony Wyss-Coray in einer in Nature veröffentlichten Studie. Die Arbeit baut auf früheren Studien auf, in denen die Forschenden unter anderem zeigten, dass Blut von jungen Mäusen einige Auswirkungen von Hirnalterung bei alten Mäusen umkehren kann. Da das Gehirn aber mit Barrieren wie etwa der Blut-Hirn-Schranke geschützt ist, testeten die Forschenden in diesem Fall, was passiert, wenn Gehirnwasser direkt in die Hirnventrikel gegeben wird.
Experimente an Mäusen
Dafür injizierten die Forschenden alten Mäusen (18 Monate alt) über sieben Tage hinweg Gehirnwasser von jüngeren erwachsenen Mäusen (zehn Wochen alt). In einem Test zeigten die alten Mäuse nach etwa zwei Wochen eine verbesserte Gedächtnisleistung. Die Forschenden testeten auch, was passierte, wenn sie den Mäusen Gehirnwasser von jungen Menschen (im Mittel 24,6 Jahre alt) und von älteren Menschen (im Mittel 69 Jahre alt) injizierten und stellten ähnliche Effekte fest.
Wachstumsfaktor Fgf17
Aus dem jungen Gehirnwasser identifizierten sie den Wachstumsfaktor Fgf17, der, wenn er ins Gehirnwasser der alten Mäuse injiziert wurde, teilweise den gleichen Effekt zeigte wie die Gabe von jungem Gehirnwasser. Dieser Faktor findet sich auch in Menschen und nimmt mit zunehmenden Alter ab. Fgf17 regt gewisse Vorläufergehirnzellen dazu an, zu reifen und Nervenzellen wieder mit Myelin zu umwickeln. Myelin stellt eine Art Isolation für die Nervenzellen her und sorgt dafür, dass die Übermittlung von elektrischen Signalen im Gehirn besser funktioniert.
Hoffnung auf Behandlung von Demenz
Wyss-Coray und Kolleginnen und Kollegen stellen mit ihrer Arbeit die These auf, dass junge Nervenzellen das Gehirnwasser mit Faktoren anreichern, die als Signalmoleküle die Funktionalität der Gehirnzellen aufrechterhalten, schreiben zwei Forscherinnen in einem parallel erscheinenden News&Views-Artikel. Sie weisen auch darauf hin, dass die Studie die Möglichkeit aufzeigt, unter anderem Demenz direkt über Gehirnwasser therapeutisch zu behandeln.
Das sagen Fachleute
Inwiefern die Erkenntnisse der Studie auf eine „Verjüngung der Gehirnleistung" bei Mäusen schließen lassen, ob diese auf den Menschen übertragbar sind und inwieweit daraus Therapieoptionen gegen altersassoziierte Krankheiten wie Demenz erwachsen, ordnen Fachleute in den nachstehenden Statements ein.
Prof. Dr. Gerd Kempermann
Sprecher des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen, Standort Dresden, und Leiter der Arbeitsgruppe Genomische Grundlagen der Regeneration, Forschungszentrum für Regenerative Therapien (CRTD), Dresden, Deutsches Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE), Bonn
Auf die Frage, wie die Methodik der Studie einzuschätzen ist und ob die verwendeten Messungen zur kognitiven Funktion den Schluss erlauben, dass die Gehirnleistung verjüngt ist:
Dies sind sehr spannende Befunde, weil sie zeigen, dass auch ältere Gehirne noch ein Potenzial haben, sich wieder etwas zu verjüngen, wenn sie denn die richtigen Signale bekommen. In dieser Arbeit wurden solche Signalmoleküle in der Hirnflüssigkeit junger Mäuse gefunden. Wissenschaftlich gesehen ist besonders spannend, dass eine besondere Gruppe von Hirnzellen, denen schon länger ein großes Potenzial zur Plastizität zugeschrieben wird, auf die Signale reagiert. Das ist eine interessante Wendung.
Verjüngt' ist eine bildhafte Beschreibung: die Leistung der älteren Tiere war der von jüngeren Mäusen ähnlicher. Selbst eine so umfangreiche Arbeit wie diese kann davon nur wenige Aspekte beleuchten.`
Die Gradlinigkeit des Ansatzes ist seine Stärke; dadurch tritt der Kernbefund deutlich hervor. Die Realität ist immer unübersichtlicher. Etwas junge Hirnflüssigkeit macht noch kein junges Gehirn, aber unterstützt offensichtlich immerhin die Regeneration bestimmter altersabhängiger Verluste.
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Auf die Frage, inwiefern sich die hier vorgestellte Methode von dem Bluttransfer von jungen zu alten Mäusen unterscheidet oder ob es sich hierbei um den gleichen Mechanismus handelt:
An die Hirnflüssigkeit kommt man viel schlechter heran, da es mit einem Pieks in die Vene nicht getan ist. Aber weil die Hirnflüssigkeit das Gehirn eng umspült und in alle Spalten und Hohlräume vordringt, ist sie dem Gehirn auch viel näher. Der Blutkreislauf dagegen ist durch die Blut-Hirn-Schranke vom Gehirn und der Gehirnflüssigkeit weitgehend abgekoppelt.
Auch wenn weitgehend unklar ist, wie sich dieser Befund im Detail auf den Menschen übertragen lässt – nicht zuletzt, weil auch ein sehr alte Mausgehirn noch viele Jahrzehnte jünger ist als ein altes Menschengehirn –, so ist das beschriebene Prinzip doch sehr wichtig. Wir lernen durch solche Arbeiten immer besser zu verstehen, was Altern im Gehirn wirklich bedeutet und welche Prozesse dabei vielleicht doch nicht so zwangsläufig ablaufen, wie wir oft denken.
Es handelt sich um Grundlagenforschung, die Relevanz für die kliniknähere Forschung hat, weil sie wichtige Prinzipien aufzeigt. Eine direkte Therapie ergibt sich daraus noch nicht. Aber unser Wissen über die Potenziale zur Anpassungsfähigkeit und ‚Verjüngung' des Gehirns im Alter wächst.
Prof. Dr. Matteo Bergami
Leiter der Arbeitsgruppe Neuronale Regeneration am Exzellenzclusters für Alternsforschung CECAD, Uniklinik Köln
Dies ist eine wichtige Studie, die zeigt, dass das Gehirnwasser (Zerebrospinalflüssigkeit, CSF), das von jungen Probanden (Mäusen oder Menschen) gewonnen und in gealterte Mäuse über eine Infusion gegeben wird, ausreicht, um Aspekte zu verbessern, die für die Kognition des Gehirns relevant sind – wie die Gedächtnisbildung und -erhaltung. Oligodendrozyten-Vorläuferzellen (OPC) scheinen hier eine der Hauptzellpopulationen zu sein, auf die junge CSF-Infusionen abzielen – insbesondere OPCs, die sich im Hippocampus befinden, einer bekannten Struktur, die für das Erlernen einer Erinnerung wichtig ist. Aus ihnen entwickeln sich später reife Oligodendrozyten, die wiederum Zellen im Gehirn mit Myelin ummanteln.
Durch die Anwendung modernster Methoden identifizieren die Autoren den Wachstumsfaktor Fgf17 und den Serum Response Factor (SRF), die im jungen Gehirnwasser enthalten sind und eine entscheidende Rolle bei der beobachteten Wirkung in gealterten Gehirnen spielen. Die Manipulation dieser beiden Komponenten reichte aus, um die beobachteten Effekte des jungen Gehirnwassers zu beseitigen. Auf der anderen Seite konnten die beiden Komponenten die meisten dieser Effekte auch ohne Gehirnwasser reproduzieren.
Die angewandte Methodik ist eindeutig auf dem neuesten Stand der Technik, und die Gruppe von Dr. Wyss-Coray leistete Pionierarbeit bei mehreren der angewandten experimentellen Strategien zur Bewertung der Auswirkungen des Gehirnwassertransfers zwischen jungen und alten Probanden. Die Schlussfolgerungen deuten stark darauf hin, dass das junge Gehirnwasser mehrere zelluläre und kognitive Funktionen in alten Mäusen verbessert. Die Ergebnisse legen die Vermutung nahe, dass diese verbesserten Funktionen eine tatsächliche ‚Verjüngung' des Systems widerspiegeln könnten.
Ob dies auf zellulärer Ebene schlüssig bewiesen werden kann, bleibt abzuwarten, doch die gezeigten Experimente liefern eindeutige Nachweise für eine verbesserte Plastizität der OPCs und der Hippocampus-Gehirnschaltkreise durch die Supplementierung mit jungem Gehirnwasser beziehungsweise den spezifischen darin enthaltenen Faktoren. Dies ist recht bemerkenswert. Die Tatsache, dass die Supplementierung auch nur eines solchen Faktors, nämlich Fgf17, für signifikante Veränderungen in diesen Funktionen verantwortlich sein könnte, ist ebenfalls sehr aufregend. Wenn diese Ergebnisse in weiteren Arbeiten bestätigt werden, gehen sie über den altersbedingten kognitiven Verfall hinaus, da sie auch eine wichtige therapeutische Anwendbarkeit bei Entmarkungskrankheiten wie der Multiplen Sklerose haben könnten.
Prof. Dr. Frank Edenhofer
Leiter des Instituts für Molekularbiologie, Lehrstuhl für Genomik, Stammzellbiologie und Regenerative Medizin, Universität Innsbruck, Österreich
Die vorliegende Studie markiert einen wichtigen Schritt für das Verständnis altersabhängiger Prozesse im Gehirn und mögliche Interventionen zur Abmilderung eines kognitiven Verfalls. Dabei ist die grundlegende Hypothese der Studie, dass die Cerebronalflüssigkeit (CSF, auch als Liquor beziehungsweise Gehirnwasser bezeichnet) eine wesentliche Determinante bei der Gehirnalterung darstellt, nicht neu. Frühere Studien haben gezeigt, dass sich die Proteinzusammensetzung des CSF mit dem Alter verändert: so sind zum Beispiel entzündungsfördernde Stoffe erhöht und Nerven-spezifische Wachstumsfaktoren erniedrigt. Die kausale Verbindung zwischen der im Alter veränderten biochemischen Zusammensetzung des CSF und der Veränderung kognitiver Leistungen ist bislang unklar. Die Studie der Labore von Wyss-Coray und Zuchero wendet eine elegante Kombination von aussagekräftigen und leistungsfähigen molekular- und zellbiologischen Methoden sowie Verhaltensstudien mit Mäusen an, um Fgf17 als eine solche Komponente zu identifizieren und den Weg für eine mögliche therapeutische Intervention zu ebnen.
Die in der Studie untersuchten zellulären Prozesse, die daraus resultierenden physiologischen Wirkungen und deren extrazelluläre Instruktoren im CSF sind außerordentlich komplex und dynamisch. Ebenso vielfältig sind die Methoden, welche das Team um Wyss-Coray einsetzt: neben modernen zellbiologischen, molekulargenetischen und verhaltensbiologischen Verfahren wird auch die moderne ‚SLAMseq' Sequenzierungsmethode angewendet, die es ermöglicht, festzustellen, welche Gene wann und wie lange in einer Zelle aktiv sind. Auf diesem Weg entdeckten die Autoren das Zielgen SRF, welches schon nach einer Stunde CSF-Behandlung in Oligodendrozytenvorläufer (OPCs) stark hochreguliert wird und von extrazellulärem Fgf17 kontrolliert wird. Die Autoren zeigen schließlich, dass eine Fgf17-Applikation allein einen Verjüngungseffekt aufweist.
So elegant die Studie von Wiss-Coray und Kollegen zwar angelegt ist, enthält sie jedoch auch methodische Schwächen. So wird bei einigen Experimenten der verjüngende Effekt von CSF-Präparationen aus jungen Tieren (young mouse CSF, YM-CSF) mit künstlichem CSF (artificial CSF, aCSF) kontrolliert, anstelle eines Vergleichs mit CSF-Präparation aus alten Tieren. Dadurch könnte der verjüngende Effekt überbewertet werden. Zur neurobiologischen Verhaltensanalyse wurde fast ausschließlich eine Variante der sogenannten ‚fear conditioning' Analyse verwendet. Diese ist eine gängige Methode, doch wie alle Verhaltensanalysen biologisch stark variabel. So ist zwar das statistische Mittel des kognitiven Gewinns des vermeintlich verjüngenden YM-CSF höher als das der Kontrolle (aCSF) (circa 38 Prozent gegenüber 18 Prozent), allerdings streuen die Werte stark zwischen 10 und 80 Prozent – sprich: es hängt sehr vom Einzeltier ab. Tageszeit, Geschlecht, Gesundheitsszustand und andere Parameter haben ebenfalls einen Einfluss auf das Ergebnis. Deswegen wären weitere, alternative Verhaltensanalysen wie zum Beispiel das Morris Wasserlabyrinth hilfreich, um ein breiteres Verhaltensspektrum experimentell abzubilden.
Eine interessante Frage, welche die Studie erstaunlicherweise unbeantwortet lässt, ist auf die Identität der Zielzellen gerichtet, welche auf die CSF-Behandlung beziehungsweise Fgf17 ansprechen. Sind es bereits vorhandene residente Oligodendrozytenvorläufer (OPCs) oder werden diese durch Fgf17 möglicherweise aus naiven Gehirnstammzellen differenziert oder gar reprogrammiert? Die verwendeten Sequenziermethoden im ‚bulk' – das heißt in heterogener Mischung aller vorhandenen Zelltypen – lässt darüber nur indirekte Aussagen zu. Eine künftige Einzelzell-Sequenzierungs-Analyse (‚scRNAseq') wird hier tiefgehende Einblicke geben können, um ein derzeit intensiv diskutiertes zentrales Paradigma der neuralen Regeneration zu beleuchten.
Auf die Frage, inwiefern sich die hier vorgestellte Methode von dem Bluttransfer von jungen zu alten Mäusen unterscheidet oder es sich hierbei um den gleichen Mechanismus handelt:
Gehirnwasser ist eine normalerweise klare und farblose Körperflüssigkeit, die mit der Gewebsflüssigkeit des zentralen Nervensystems im Kontakt steht. Die Zusammensetzung des Gehirnwassers ist deutlich weniger komplex als die des Blutserums. Deswegen ist die Identifikation funktioneller Komponenten zwar einfacher, allerdings sind Gewinnung und Transfer von Gehirnwasserproben experimentell aufwändig und mit hohem Infektionsrisiko verbunden.
Aussagen zur Übertragbarkeit derartiger Studien auf den Menschen sind naturgemäß heikel und mit Vorsicht zu betrachten. Die in dieser Studie identifizierten molekularen und genetischen Komponenten sind zwischen Mensch und Maus konserviert. Und tatsächlich demonstriert die Studie eine neurobiologische Wirksamkeit von menschlichem Spendermaterial in Mäusen, was darauf hindeutet, dass auch die biologischen Funktionen konserviert sein könnten. Es ist allerdings davon auszugehen – und die Studie macht daraus auch keinen Hehl – dass über Fgf17 hinaus, weitere Komponenten eine Rolle spielen, die neu identifiziert werden müssten. Leider beinhaltet die Studie keine vergleichende Analyse zur Konzentration von Fgf17 in CSF-Proben von jungen und alten menschlichen Individuen. Ein vermeintlich auftretender höherer Gehalt an Fgf17 in den jungen CSF-Proben hätte die Aussagekraft zur Übertragbarkeit auf den Menschen verstärken können.
Auf die Frage, inwiefern es realistisch ist, dass man eine Supplementierung des Wachstumsfaktors in die Zerebrospinalflüssigkeit als Therapie umsetzt und welchen Patienten und Patientinnen man damit eventuell helfen könnte:
Eine intracerebroventrikuläre Infusion, wie sie in der Studie bei Tieren angewendet wurde, ist sehr aufwändig und mit hohem Infektionsrisiko verbunden. Generell ist die Gabe über Lumbalpunktion möglich, aber in der klinischen Praxis nur besonderen Situationen vorbehalten und stellt keinesfalls eine Standardprozedur dar. Neben der Dosis wäre auch die Zeitdauer der Behandlung zu definieren. Die Versuche an Mäuse weisen darauf hin, dass eine einmalige Anwendung nicht ausreichend ist.
Quintessens: Interessante Studie, aber eher nicht für die Behandlung von Menschen durchführbar.
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Da ist im allgemeinen mit Sicherheit etwas dran…
Ich kann als fortgeschritten MS Erkrankter aus eigener Erfahrung nur erwähnen.
Wenn ich nicht in der Lage bin ausreichende Tiefschlafphasen zu haben sich die allgemeine Verfassung, bezogen auf die motorischen Fähigkeiten, erheblich verschlechtert. Meines Wissens regeneriert sich die Hirnflüssigkeit während der Tiefschlafphasen des Menschen, somit verbringe ich einen Großteil des Tages damit, trotz vorkommender Schmerzen, diesbezüglich ausreichende Schlafphasen zu finden. Es ist nötig, sonst geht es motorisch, fortschreitend, schnell bergab.
Demyelinisierende Erkrankungen(z.B. MS)
https://de.wikipedia.org/wiki/Demyelinisation
https://de.wikipedia.org/wiki/Myelinscheide
Autoimmunerkrankung
https://de.wikipedia.org/wiki/Autoimmunerkrankung
(Die Intoleranz des Immunsystems gegenüber bestimmten körpereigenen Stoffen führt dabei zur Bildung von Antikörpern und autoreaktiven T-Zellen.)
Multiple Sklerose
https://de.wikipedia.org/wiki/Multiple_Sklerose
…
T-Lymphozyten oder kurz T-Zellen
https://de.wikipedia.org/wiki/T-Lymphozyt
(Der weitverbreiteten Theorie zur Multiplen Sklerose zufolge wird auch diese Erkrankung durch aktivierte T-Zellen eingeleitet, die die Myelinscheiden der Nervenzellen zerstören.)