Noch ein Blick über den Schüsselrand – es geht um chinesische Anbieter, die schrittweise international expandieren. Heute im Programm: Der chinesische Anbieter Meitu, der 'Schönheits-App' bereitstellt und den Sprung in die USA sowie auf das internationale Parkett angetreten hat. Jetzt werden erste 'Blessuren' sichtbar, weil die Firmenkultur so gar nicht zu dem, was man außerhalb Chinas kennt, passen will. Bei den US-Mitarbeitern scheint es 'zu knirschen'.
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Einige Vorüberlegungen
Facebook, Snapshat, Ebay, Google, Microsoft, Apple etc. erscheinen uns wie IT-Giganten, und mancher reibt sich an deren Geschäftsgebaren. Wenn ich dann den heise.de-Artikel Walmart erhält Patent für Lauschangriff auf Mitarbeiter und Kunden lese, empfinde ich dies als deutscher Verbraucher nur noch verstörend. Aber Walmart ist mit seiner Firmenkultur in Europa ja krachend gescheitert. Bei den oben genannten Firmen muss man noch anführen, dass diese nach wie vor im Gedankengut des Westens verhaftet sind.
Aber es gibt noch die kulturellen Besonderheiten Asiens und speziell Chinas. Und die oben genannten Firmen sind teilweise Zwerge gegen chinesische Unternehmen wie Alibaba, die Suchmaschine Weibu etc. Mit Milliarden potentieller Nutzer in China und fehlendem Datenschutz gibt es da scheinbar enorme Wachstumschancen. Diese Firmen sind aber eng an die Überwachungspläne der chinesischen Regierung angebunden und deren Erfüllungsgehilfen. Hier verweise ich auf den heise.de-Artikel Missing Link: Nothing to Hide, oder: Wie mit "Social Scoring" die Privatsphäre abgeschafft wird, der das ganze Dilemma sehr gut aufbereitet.
Da ist es dann spannend, zu verfolgen, wie chinesische Firmen mit diesem Background sich im internationalen Geschäft behaupten. Die Smartphone-Hersteller haben es ganz gut geschafft und auch andere Zulieferer waren/sind gut im Geschäft, wenn auch der ZTE-Bann in den USA ein schlechtes Licht auf das Ganze wirft und zeigt, wie wackelig vieles ist.
An dieser Stelle der Hinweis: Es soll kein China-Bashing werden. In einer Reihe deutscher Firmen gibt es inzwischen chinesische Eigentümer oder Mehrheitsgesellschafter. Bei manchen Beteiligungen funktioniert das sehr gut, in anderen Fällen kracht es, weil zwei Kulturen aufeinander prallen, die nicht kompatibel sind. Als Achillesferse sehe ich bei chinesischen Unternehmen u.a. die fehlende Datenschutzkultur im eigenen Lande. Da wird es dann schwierig, in Europa (oder international) wirklich Fuß zu fassen.
Und so manches Geschäftsmodell aus China funktioniert außerhalb erst recht nicht. Vor einigen Tagen hatte ich drüben im 50+-Blog über den aus Singapur operierenden (aber vom chinesischen IT-Riesen Alibaba finanzierten) Fahrradvermittler Obike berichtet (siehe Obike: Konkurs und die Fahrräder liegen herum), der dort Insolvenz anmelden musste. In Deutschland stehen Kommunen jetzt vor dem Problem, wie die Fahrräder, die zu Tausenden in den Städten herumliegen, langfristig entfernt werden. Formal gehören die Räder noch der Firma, das Insolvenzverfahren läuft nur in Singapur, aber die Räder verstopfen die Wege und Parks in deutschen Städten. heise.de hat z.B. einige Beiträge zum Thema veröffentlicht. Wobei ich diesen Beitrag nicht wirklich stimmig erachte, da dort nur Berlin als Standort thematisiert wird. Das nur als Einstimmung, es soll im Beitrag hier um den chinesischen Anbieter Meitu gehen.
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Meitu, wer?
Und die Bäume wachsen auch für chinesische Anbieter nicht in den Himmel. Das dürfte der Anbieter Meitu wohl gerade feststellen, wo die internationale Expansion irgendwie 'Dellen' hinterlässt. Meitu ist eine ca. 4,4 Milliarden $ schwere chinesische Firma, die 2008 gegründet wurde. Produkte sind Selfie- und Foto-Apps für Smartphones, mit denen Nutzer ihre Selfies manipulieren und in soziale Netzwerke einstellen können.
Aktuell hat der Anbieter, laut Wikipedia, 13 Apps, die auf mehr als 1,1 Milliarden Mobilgeräten installiert sind. Von MakeupPlus (inklusive Gesichtserkennung und Augmented Reality), AirBrush (zur Fotobearbeitung) bis hin zu BeautyPlus (um Selfies auf zu hübschen).
Im iTunes-Store sind die mit ihrer App ebenso vertreten wie unter Android. Und deutsche Nutzer werden bei Chip.de fündig und glücklich …
Meitu, da war doch was … ?
Als ich mit dem Text für den Artikel begann, kam plötzlich im Hinterkopf der Gedanke: 'Moment, hattest Du da nicht was zu im Blog?' und ich habe nachgeschaut. Ja, im Januar 2017 ist der Beitrag Finger weg von der Android Meitu-Selfie-App erschienen. Die Android-App war mit einem "Beifang" versehen, der eine Menge Tracking-Code enthält.
Die App ruft das Modell des Geräts, die Android-Version, die MAC-Adresse etc. ab und fordert wohl über 20 Berechtigungen bei der Installation an. Bei Cnet.com finden sich in diesem Artikel noch einige weitere Details. Dort gibt es den Hinweis, dass auch die IMEI des Geräts an Server in China übertragen wird (bei Zeit Online gibt es hier was zum Thema). Auch wenn aktuell nichts über "Missbrauch" bekannt ist, war meine Empfehlung, von der App Abstand zu nehmen.
Meitu: Chaotische internationale Expansion
Seit einiger Zeit hat der Anbieter wohl den Sprung in den globalen Markt gestartet und nun werden hässliche Dellen sichtbar. Ich bin hier auf einen Artikel gestoßen, der wohl auf diesen Business Insider-Beitrag zurück geht. Meitu wird zwar als 'heißer' chinesischer Selfie-App-Hersteller mit Hunderten von Millionen von Benutzern gehandelt. Aber es gibt Leute, die glauben, dass das Unternehmen durch seine globale Expansion in unruhiges Fahrwasser geraten ist.
Das Unternehmen führt zwar in einer Erklärung an, dass seine "kulturellen Werte Integrität, Verantwortung, Ehrgeiz und Einfühlungsvermögen umfassen". Aber Mitarbeiter erleben wohl ein anderes Bild. Die Redaktion von Business Insider hat mit mehr als einem Dutzend ehemaliger Mitarbeiter (wohl in den USA) gesprochen. Dabei kristallisiert sich ein Bild heraus, dass das Unternehmensklima von Sexismus, Geschichten über Betrügereien und scharfer Kritik an Mitarbeitern geprägt sei, alles in allem wohl ein Umfeld mit nicht wirklich 'kuscheliger' Arbeitsplatzkultur. Ein Ex-Mitarbeiter drückt es so aus: "Meitu is a shitshow" und fasst es so zusammen: "Es ist mir peinlich, dass Meitu jetzt in meinem Lebenslauf steht."
Im Business Insider-Artikel wird eine verstörende Episode aus dem November 2017 zitiert. Etwa eine Stunde nachdem die Mitarbeiter des internationalen Teams von Meitu eine fröhliche Abschiedsbotschaft von einem ihrer Kollegen in einem Firmen-Chatroom gelesen hatten, kam eine Nachricht vom Leiter des globalen Unternehmens.
Manager, Fox Lui, teilte wohl ziemlich unverblümt mit, dass jeder im Unternehmen wissen solle, dass der/die Angestellte gegangen ist, weil er sie gefeuert habe. Dabei führte er 'schlechte Leistungen des/der Mitarbeiter/in' als Grund an. In Deutschland würde man dies als unnötiges 'nachtreten' bezeichnen. Außerdem bestand Fox Lui im Chatraum darauf, dass er kein "verdammtes Monster" sei, weil er sie gefeuert hatte.
"Vielleicht ist meine Art, damit umzugehen, nicht die beste, aber ich hoffe, Sie alle verstehen, dass wir, um erfolgreich zu sein, den Wert des Unternehmens annehmen müssen", schrieb er. "Das ist noch wichtiger als Können." Erinnert mich an den morgendlichen Flaggen-Appell vor vielen asiatischen Firmen, wo die Mitarbeiter auf 'Unternehmensziele' eingeschworen werden. Business Insider schreibt, dass diese bizarre Episode für Meitus geschockte US-Mitarbeiter nur ein weiterer Tag im Büro an einem der vielleicht dysfunktionalsten Arbeitsplätze im Silicon Valley gewesen sei. Normalerweise sind die Amerikaner im Silicon Valley von Tech-Firmen anderes gewohnt. Es wird zwar hart gearbeitet, aber es gibt gewisse Regeln, an denen man sich orientiert.
Ein ehemaliger Angestellter von Meitu schätzt, dass mehr als 80% der Mitarbeiter des globalen Expansionsteams in etwas mehr als einem Jahr entlassen oder gekündigt wurden. Viele sind schon nach zwei oder drei Monaten gegangen. "Jeder Tag fühlte sich an, als wäre es dein letzter Tag dort", erinnerte sich eine Person (die Quellen baten wohl um Anonymität).
In einer ausführlichen Erklärung des Chefs, Fox Lui, die im Namen von Meitu erfolgte, wurde ausgeführt, dass man sich nicht zu "einigen persönlichen Ansichten aus den [Business Insider] Quellen äußern werde, da sie möglicherweise nicht das gesamte Bild der Kultur und der Werte unseres Unternehmens widerspiegeln" – was legitim ist. Das Unternehmen ist an Vertraulichkeitsvereinbarungen mit Mitarbeitern und Partnern gebunden.
In Bezug auf den oben zitierten Kommentare über den ausscheidenden Mitarbeiter heißt es in der Erklärung: "Bei bestimmten Gelegenheiten informierte Fox das Team über die Gründe, warum das Unternehmen einige Leute entlassen musste, und ermutigte das Team, offener zu sein, um ein transparenteres Arbeitsumfeld zu schaffen. Fox ist der Meinung, dass dies mit den kulturellen Werten des Unternehmens übereinstimmt." Offenbar muss man aber noch an der Übersetzung der 'kulturellen Werte' für die USA (und andere westliche Länder) arbeiten.
Es gibt auch US-Mitarbeiter, die wohl zufrieden in der Firma waren. Aber der Sprung in die USA scheint nicht wirklich von Erfolg gekrönt zu sein und es zeigen sich wohl deutliche Bremsspuren. Details lassen sich bei Interesse im Business Insider-Artikel nachlesen. Die Episoden Meitus verdeutlichen aber die Herausforderungen bei der Führung eines globalen Unternehmens und zeigen, dass es weit mehr erfordert, als nur eine erfolgreiche App zu haben. Auch für chinesische Anbieter wachsen die Bäume nicht in den Himmel, und für mich wird es spannend zu verfolgen, wie sich die Unternehmen im Hinblick auf die interne Firmenkultur und die chinesische Kultur in Richtung Totalüberwachung auf dem internationalen und vor allem europäischen Markt behaupten werden.
PS: Möglicherweise wird gefragt, was dieser Artikel nun für einen Mehrwert für Blog-Leser bringt. Mir ist klar, dass die wenigsten Blog-Leser/innen mit Meitus Selfie-Apps hantieren. Aber nicht jeder Beitrag muss ad-hoc Mehrwert bringen. Manches ist strategisch angelegt. Wenn es das nächste Mal bei Meitu oder einem anderen Unternehmen aus diesem Genre kracht, kann ich auf diesen Beitrag verweisen.
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Zum Thema nicht funktionierende Geschäftsmodelle aus China:
https://www.theatlantic.com/photo/2018/03/bike-share-oversupply-in-china-huge-piles-of-abandoned-and-broken-bicycles/556268/
Was für eine Ressourcen-Verschwendung…
vg
Christian
Danke für den Beitrag!
Sehr interessant.