Kurzer Nachtrag von gestern: Europol hat die Bilanz des Encrochat-Falls bekannt gegeben. Nachdem die Plattform 2020 geknackt wurde, konnten über 6500 Verhaftungen vorgenommen und über 900 Millionen Euro beschlagnahmt werden.
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Encrochat geknackt
Ermittlern im Bereich der Cyber-Kriminalität ist es 2020 gelungen, die Verschlüsselung der Chatplattform Encrochat auszuhebeln. Damit konnten die Ermittler in dem verschlüsselten Chatsystem mitlesen, wie sich Mitglieder der organisierten Kriminalität dort austauschen.
Ich hatte seinerzeit im Blog-Beitrag Encrochat geknackt, Kriminelle verhaftet berichtet. In Folge kam es zu zahlreichen Verhaftungen aus dem Kreis der organisierten Kriminalität.
Bilanz von Europol
Nun hat Europol eine Bilanz der gesamten Aktion vorgelegt. Die Zerschlagung des verschlüsselten Kommunikationstools EncroChat, das von Gruppen der organisierten Kriminalität (OCG) in großem Umfang genutzt wird, hat bisher zu 6 558 Verhaftungen weltweit geführt. Bei 197 der Festgenommenen handelte es sich um hochrangige Zielpersonen.
Dies geht aus dem ersten Bericht über EncroChat hervor, der von den französischen und niederländischen Justiz- und Strafverfolgungsbehörden in Lille vorgelegt wurde.
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Die erfolgreiche Zerschlagung von EncroChat war das Ergebnis der Bemühungen einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe (JIT), die von beiden Ländern im Jahr 2020 mit Unterstützung von Eurojust und Europol eingerichtet wurde. Seitdem wurden fast 900 Mio. EUR an kriminellen Geldern beschlagnahmt oder eingefroren.
Die Zerschlagung von EncroChat im Jahr 2020 hat die organisierte Kiminalität (OKG) in Europa und darüber hinaus erschüttert. Die Aktion trug dazu bei, gewalttätige Angriffe, Mordversuche, Korruption und groß angelegte Drogentransporte zu verhindern und umfangreiche Informationen über die organisierte Kriminalität zu erhalten.
Gruppen der organisierten Kriminalität (OCGs) nutzten weltweit das Verschlüsselungstool EncroChat illegal für kriminelle Zwecke. Seit der Zerschlagung gelang es den Ermittlern, über 115 Millionen kriminelle Unterhaltungen von schätzungsweise über 60 000 Nutzern abzufangen, auszutauschen und zu analysieren.
Die Nutzer-Hotspots befanden sich vor allem in den Herkunfts- und Zielländern des illegalen Drogenhandels sowie in den Zentren der Geldwäsche.
Die von den französischen und niederländischen Behörden erlangten Informationen wurden auf deren Ersuchen hin mit ihren Kollegen in den EU-Mitgliedstaaten und Drittländern ausgetauscht. Auf der Grundlage der kumulierten Zahlen aller beteiligten Behörden führte dies drei Jahre nach dem Aufbrechen der Verschlüsselung durch die Strafverfolgungsbehörden zu den folgenden Ergebnissen:
- 6 558 Verdächtige verhaftet, darunter 197 hochrangige Zielpersonen
- 7 134 Jahre Freiheitsstrafe für verurteilte Straftäter bis jetzt
- 739,7 Mio. EUR an Bargeld beschlagnahmt
- 154,1 Mio. EUR in Form von eingefrorenen Vermögenswerten oder Bankkonten
- 30,5 Millionen Pillen mit chemischen Drogen beschlagnahmt
- 103,5 Tonnen Kokain beschlagnahmt
- 163,4 Tonnen Cannabis beschlagnahmt
- 3,3 Tonnen Heroin beschlagnahmt
- 971 beschlagnahmte Fahrzeuge
- 271 beschlagnahmte Grundstücke oder Wohnungen
- 923 Waffen sowie 21 750 Schuss Munition und 68 Sprengstoffe beschlagnahmt
- 83 Boote und 40 Flugzeuge beschlagnahmt
Die Ermittlungen gegen das mutmaßlich kriminelle Verhalten des Unternehmens, das EncroChat betreibt, wurden 2017 von der französischen Gendarmerie Nationale wieder aufgenommen, nachdem festgestellt worden war, dass die Telefone regelmäßig bei Einsätzen gegen OKGs gefunden wurden. Die anschließenden Ermittlungen ergaben, dass das Unternehmen hinter dem Tool über Server in Frankreich operierte. Schließlich war es möglich, eine technische Vorrichtung zu platzieren, um die Verschlüsselungstechnik zu umgehen und Zugang zur Korrespondenz der Nutzer zu erhalten.
2019 wurde von den französischen Behörden ein Verfahren bei Eurojust eingeleitet. Zunächst wurden Daten mit den Niederlanden ausgetauscht, was zur Einrichtung der GEG im April 2020 führte. Seitdem wurden Informationen über kriminelle Aktivitäten mit nationalen Behörden innerhalb und außerhalb der EU auf deren Ersuchen hin ausgetauscht. Angesichts der laufenden Ermittlungen können Eurojust und Europol keine vollständige Liste der beteiligten Behörden offenlegen.
Eurojust half nicht nur bei der Einrichtung und Unterstützung der GEG, sondern koordinierte auch die Zusammenarbeit zwischen allen beteiligten Behörden. Hunderte von Rechtshilfeersuchen an andere Behörden wurden über die Agentur abgewickelt.
Europol hat den Fall seit 2018 unterstützt. Ein großes, engagiertes Expertenteam bei Europol analysierte über 115 Millionen Nachrichten und Daten, die es von den GEG-Partnern erhielt. Europol überprüfte und analysierte die Daten und kombinierte sie mit den in seinen Informationssystemen verfügbaren Informationen und stellte den Ländern weltweit fast 700 verwertbare Intelligence-Pakete zur Verfügung.
Um diese umfassende Unterstützung zu leisten, wurde in der Europol-Zentrale eine operative Taskforce mit der Bezeichnung "OTF EMMA" eingerichtet. Diese OTF brachte Ermittler und Experten von Europol, den Mitgliedstaaten und Drittländern unter einem Dach zusammen, um gemeinsam an den Encrochat-Daten zu arbeiten und gegen die gefährlichsten Verbrecher der Welt zu ermitteln. Seitdem unterstützt Europol die in der ganzen Welt eingeleiteten Nebenermittlungen.
Hintergrund zu EncroChat und verschlüsselter Kommunikation
Die EncroChat-Telefone wurden so präsentiert, dass sie perfekte Anonymität, Diskretion und keine Rückverfolgbarkeit der Nutzer garantieren. Außerdem verfügte es über Funktionen, die das automatische Löschen von Nachrichten gewährleisten sollten, sowie über einen speziellen PIN-Code, mit dem alle Daten auf dem Gerät gelöscht werden konnten. Dies würde es den Nutzern ermöglichen, kompromittierende Nachrichten schnell zu löschen, z. B. bei einer Verhaftung durch die Polizei.
Außerdem könnte das Gerät aus der Ferne durch den Wiederverkäufer/ Helpdesk gelöscht werden. EncroChat verkaufte Kryptotelefone für rund 1.000 EUR pro Stück auf internationaler Ebene. Das Unternehmen bot auch Abonnements mit weltweiter Abdeckung an, die 1.500 EUR für einen Zeitraum von sechs Monaten kosteten und einen 24/7-Support beinhalteten.
Die illegale Nutzung verschlüsselter Kommunikation wird von den Justiz- und Strafverfolgungsbehörden in der gesamten EU weiterhin mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Die OCG, die verschlüsselt kommunizieren, mussten im März 2021 einen weiteren Schlag einstecken, nachdem das SkyECC-Tool abgeschafft worden war. Sowohl Eurojust als auch Europol stehen den nationalen Behörden weiterhin zur Verfügung, falls weitere Unterstützung in Bezug auf die verschlüsselte Kommunikation von Kriminellen erforderlich ist.
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