Bei meinen Arbeitsaufenthalten in Japan war ich nach einer Einarbeitungsphase weitgehend auf mich alleine gestellt bzw. wickelte die Fahrten zwischen Hotel (Ryokan) und dem Werk des Arbeitgebers per Bahn selbstständig ab. Die Verköstigung war eigentlich halbwegs gesichert: Morgens gab es ein japanisches Frühstück im Hotel und Mittags gab es japanisches Essen in der Kantine meines Arbeitgebers. Oft war es aber so, dass ich bis spät in der Nacht arbeitete, und dann auf der Rückfahrt mit dem Zug plötzlich Hunger verspürte. Was machst Du da?
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Im Gegensatz zum Deutschland der 90er Jahre gab es in Japan (selbst in der Provinzstadt Kawagoe) rund um die Uhr geöffnete Läden. Auf dem Weg vom Bahnhof zu meinem Hotel kam ich an solchen Läden vorbei. Die waren durchweg nur mit einem Angestellten an der Kasse besetzt – meist ein extrem junger Kerl, der kein Englisch sprach.
Also bin ich dann in einen solchen Laden und habe das Angebot durchstreift. Wenn man aber kein Japanisch lesen kann, wird es etwas schwierig mit den dort angebotenen Tüten. Manchmal gab es labberige Sandwiches mit Ei in Klarsichtfolie. War aber nicht immer vorhanden. Aber es gab Kühlregale, in denen neben dem allgegenwärtigen Bier meist auch Joghurt zu finden war. Recht teuer, aber ein Becher Yoghurt sollte für den kleinen Hunger reichen – und man ich konnte nicht viel verkehrt machen – oder doch?
Unvermittelt stand ich vor einem Problem: Bei den Joghurt-Bechern waren keine Löffel dabei – und im Laden konnte ich kein Plastikbesteck finden. Ich bin am betreffenden Abend mit knurrendem Magen unverrichteter Dinge aus dem Laden raus. Am nächsten Morgen nahm ich mir vor, einen Teelöffel zu besorgen.
Leicht gesagt, aber wie kriegst Du im Land der Stäbchen so was wie einen Teelöffel? Irgendwo kam ich jeden Morgen an einem Eisenwaren-/Haushaltwarenladen vorbei. Der Eingang war ein dunkles Loch, welches mich an die Schmiede im Dorf meiner Kindheit erinnerte. Am Eingang standen Weidenkörbe, in denen Ketten und andere Metallwaren enthalten waren. Ich habe also einen Abstecher in den Laden gemacht, die Körbe inspiziert und auch einen Blick in den Verkaufsraum geworfen, konnte aber keinen Löffel erspähen. Der junge Verkäufer sprach leider nur japanisch und konnte mit dem englischen Wort “Spoon” nichts anfangen.
Also zog ich unverrichteter Dinge ab. Mit guten Japanisch-Kenntnissen hätte ich wohl die Auskunft bekommen, wo es Löffel gäbe. Ob man im Büro oder in der Kantine des Arbeitgebers irgendwo einen Teelöffel hätte auftreiben können, weiß ich nicht. Tagsüber war ich immer so in Arbeit versunken, dass mir die Frage Löffel oder nicht gar nicht einfiel. Ich hatte mir lediglich für äußerste Notfälle einen Satz Holzstäbchen vom Mittagessen aus der Kantine mitgenommen.
Als ich wieder mit knurrendem Magen aus der Bahn stieg, wollte ich es wissen. Also einen Joghurt-Becher geschnappt – und dann sah ich einen kleinen Eisbecher, wo ein kleiner Plastikspatel zum “Löffeln” des Eises in Zellophan beigepackt war. Die Not war groß, der Hunger auch – also habe ich auch diesen Becher gekauft. So bewaffnet stiefelte ich das Eis aus dem Becher löffelnd aus dem Laden und machte mich auf den Weg zum Hotel. Das Joghurt wollte ich auf meinem Zimmer in Ruhe essen.
Guter Plan, funktionierte nur nicht so wirklich. Auf dem Zimmer angekommen, öffnete ich erwartungsvoll den Joghurt-Becher, griff zum Plastik-Spatel aus dem Eisbecher und musste schnell feststellen, dass das nicht funktionierte. Erstens war die Fläche des Spatels so kurz, dass man maximal kleine Joghurt-Pfützen aus dem Becher herauslöffeln konnte, die nicht mal einer Katze gereicht hätten.
Also mussten die Stäbchen ran. Vom Mittagessen wusste ich, das die Japaner damit alles handhaben. Notfalls wurde die Schüssel mit der Speise an den Mund angesetzt und man scharrte das Essen mit den Stäbchen in den Mund. Habe ich auch versucht – das erste Drittel des Joghurt-Bechers ließ sich auch mit etwas Mühe per Stäbchen in den Mund schaufeln. Ein Joghurt-Becher ist aber enger als eine Reisschale – und Joghurt hat auch eine andere Konsistenz als Reis.
Das Ende vom Lied? Ich habe in einer Kombination bestimmter Esstechniken, das Joghurt per Plastikspatel, per Stäbchen und mit Schütteln (Yoghurt-Becher über Kopf und den Inhalt irgendwie in den Mund fließen lassen) den größten Teil konsumiert. Der Rest wurde dann nach Altväter-Sitte per Finger aus dem Plastikbecher in den Mund bugsiert. Nicht wirklich erbauend – aber es hat ja keiner gesehen und verhungert bin ich auch nicht.
Postscriptum: Angesichts dieser Esstechnik beim ersten Arbeitsaufenthalt reifte bei mir der Entschluss “solltest Du jemals wieder in dieses Land zurück müssen, nimmst Du dir ein kleines Messer und einen Teelöffel von zu Hause mit”. Und es kam, wie es kommen musste: Alle Vereinbarungen, die ich beim ersten Arbeitsaufenthalt mit den japanischen Projektmitarbeitern getroffen hatte, wurden von diesen nach Belieben umgestoßen. Also fand ich mich urplötzlich wieder in 10.000 Meter Höhe in einem Flieger über Sibirien – und als mir über Wladiwostok ein japanisches Frühstück serviert wurde, fiel es mir siedend heiß ein “Scheibenkleister, jetzt hast Du beim Packen den Löffel vergessen”. Also habe ich mir bei JAL einen metallenen Teelöffel ausgeborgt und in die Hosentasche gesteckt. Half mir beim nächsten Arbeitsaufenhalt in Kawagoe beim Joghurt-Löffeln. Beim Rückflug habe ich den Löffel wieder mit dem Bordgeschirr zurückgegeben. Das “Löffelborgen” hat übrigens bei mehreren Arbeitsaufenthalten prima geklappt. Und damit wissen Sie nun, wie man Joghurt mit Stäbchen isst …
OMG was für eine Geschichte! Ich war gerade kurz vor dem Flieger und las diesen Artikel :O Schnell noch einen Löffel und ein Messer eingepackt! Jetzt kann es wohl endlich losgehen. Für alle Eventualitäten gewappnet! Vielen Dank.
Super Beitrag. Du bringst Nationen zusammen. Gerade in diese harten Zeiten sind Beiträge zur Völkerverständigung unersetzlich. Danke dass du uns den Abend versüßt hast.
Allerliebste Grüße
Ein Freund