Der Flug nach Osaka

Im Rahmen meines ersten Arbeitsaufenthalts in Japan hatte ich (an einem freien Wochenende)  einen Besuch der alten Kaiserstädte Kyoto und Nara geplant. Also stand eine Reise nach Osaka, der größten Stadt in der Nähe von Kyoto und Nara an.


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Als Reisemittel wäre ggf. der Shinkansen-Schnellzug in Frage gekommen. Aber ein Kollege hatte mir den Tipp gegeben, dass die Fluggesellschaften bei einem Ticket von Deutschland nach Japan und retoure meist einen gratis Anschlussflug, zum Beispiel von Tokyo nach Osaka gewähren. Ich hatte also im Reisebüro meines damaligen Arbeitgebers nachgefragt, ob so ein Bonus möglich wäre. Und in der Tat war es den Mitarbeitern wohl problemlos gelungen, mir ein Flugticket Frankfurt-Paris-Tokyo-Tokyo-Osaka und zurück zum gleichen Preis zu buchen.

Also war es klar, dass ich an einem freien Wochenende einen Flug von Tokyo nach Osaka nehmen und von dort nach Kyoto sowie Nara weiterreisen würde. Ohne japanische Sprach- und Schreibkenntnisse ein Abenteuer. Aber die japanischen Kollegen hatten es übernommen, mir jeweils ein Hotel in Kyoto und Nara für dieses Wochenende zu buchen. Außerdem hatte ich ein mit einem japanischem Text beschriftetes “Notfall-Kärtchen” dabei, falls ich auf der Reise “verloren gehen sollte” – einfach das Kärtchen einem Japaner zum Lesen in die Hand drücken, der könnte die japanischen Kollegen informieren und mir dann hoffentlich weiter helfen – dazu aber in einem späteren Beitrag mehr. Da ich mein Zimmer im japanischen Ryokan in Kawagoe für das betreffende Wochenende aufgeben konnte, fielen (bis auf die Kosten für lokale Bahnfahrten) keine zusätzlichen Aufwendungen an. Ich musste lediglich (auf eigene Kosten) von Kawagoe zum Flughafen Handeda und von Osaka nach Kyoto kommen. Die Reise konnte also beginnen …

Haneda, ich komme …

Und so saß ich an einem späten Freitag-Nachmittag, bewaffnet mit einem Flugticket und einem kleinen Rucksack mit den nötigsten Reiseutensilien, in der Regionalbahn der Seibu-Shinjuku-Line, die mich von Kawagoe nach Shinjuku bringen sollte.  Diese Strecke kannte ich von früheren Fahrten zwischenzeitlich ganz gut. In Shinjuku hatte ich dann vom Bahnhof Seibu-Shinjuku zur Shinjuku-Station zu laufen, um dort per Yamanote-Line (S-Bahn) bis Shibuya (siehe) oder bis Shinagawa zu fahren. Ab Shinagawa gibt es die Monorail-Verbindung zum (damaligen) Inlands-Flughafen Haneda, die ich dann nehmen musste.

(Videos: YouTubehier noch ein Video)

Das klappte alles ganz gut, zumal die japanischen Kollegen mir sowohl die zu nehmenden Zugverbindungen als auch die Uhrzeiten, zu denen die Züge abgingen, aufgeschrieben hatten. In Tokyo sind die S-Bahnzüge und Bahnhöfe zudem in Romanji (also westlichen Namen) beschriftet – so dass Reisen kein Problem darstellen. In meiner Erinnerung an die Fahrt ist eigentlich nur das Stück mit der Monorail-Bahn in Erinnerung geblieben. Beim Blick durch das Fenster des Zugabteils fiel mein Blick immer wieder auf Meeresarme, die von der Bahnlinie überbrückt wurden. Ich bewunderte die japanischen Ingenieurskollegen für ihre Baukunst, die solche Querungen von Meeresarmen ermöglichten – obwohl das, angesichts der Bauwerke wie die Golden Gate-Bridge in Kalifornien oder die Öresund-Brücke, wohl keine gigantische Leistung war.

Beobachtungen …

Der Flughafen Haneda nahe der gleichnamigen Stadt (羽田) war damals für Inlandsflüge zuständig (der internationale Flughafen Narita liegt  weit draußen vor den Toren Tokyos) – heute finden dort auch wieder internationale Flüge nach Asien statt. Die Orientierung auf Flughäfen stellte ebenfalls kein Problem dar, da alles auf japanisch und romanji (westlich) beschriftet war und die Angestellten gut Englisch sprachen.

Ich bekam zügig meine Bordkarte und fand mich zeitig am Abfluggate ein. Dann hatte ich bis zum Boarding (also dem Besteigen des Inlandsflugs) Zeit, die Leute und Mitreisenden zu beobachten. Etwas, was ich eh gerne mache und in Japan in meiner freien Zeit sowie während Bahnfahrten gerne und ausgiebig tat. Es war quasi vor dem Wochenende – und mir fiel auf, dass ungewöhnlich viele junge, und ausgesucht hübsche Japanerinnen, im Abfluggate warteten. Auf westliche Mode getrimmt, die obligatorische Gucci-Handtasche am Ellenbogen hängend und einen älteren Japaner im Schlepptau. Der “ältere Japaner” war unschwer als Ehemann zu erkennen und (aus meiner damaligen Sicht mit 35 Jahren) im Alter von vielleicht 45 Jahren, während ich die Damen so zwischen 25 und 35 Jahre taxierte. Offenbar hatten sich die “Pärchen” zu einem Wochenende-Trip nach Osaka und Umgebung aufgemacht.

Später begriff ist die Symbiose, die diese Paare eingegangen waren. Japan und speziell Tokyo und Umgebung ist ein sehr teures Pflaster – und junge Männer verdienen oft nicht sehr viel. Junge Frauen waren oft, trotz eines Universitätsabschlusses, als Sekretärin oder Büro-Hilfskraft tätig, verdienten also auch wenig. Gelang es einer jüngeren Frau, einen älteren Ehemann zu “angeln”, war sie zumindest finanziell besser gestellt. Und ein Wochenendtrip von Tokyo nach Osaka per Flugzeug war kein finanzielles Problem.

… und viele Gedanken

Für den Flug war erinnerungsmäßig ein Airbus A300 vorgesehen, der über 300 Passagiere aufnehmen konnte und gut besetzt war. Zu diesem Flugzeugtyp hatte ich eine besondere Beziehung, gehörte doch zwischen 1979 und 1981 zu meinen Aufgaben in meinem ersten Job als junger Ingenieur, die Überprüfung der Außenhaut dieses Flugzeugtyps (per Ultraschall und Bond-Test) auf Risse und Defekte in den Niet-Klebeverbindungen. Daher galt mein Blick vor dem Betreten eines Flugzeugs dem Typ und der Frage, ob dort, zur Reparatur von Strukturrissen, zusätzlich angebrachte Bleche zu sehen waren. Mir fiel damals nichts auf – aber ich wusste, dass man von den Wartungstechnikern der Fluggesellschaften diese Reparaturen im Bereich der Einstiegsluken zu vermeiden suchte (weil man die Passagiere nicht durch ein geflicktes Flugzeug beunruhigen wollte). Ein wenig spukte mir auch noch der JAL Flug 123 im Hinterkopf, bei dem ein Jumbo Jet (Boeing 747) im Jahr 1985 bei einem Inlandsflug von Tokyo-Haneda nach Osaka abstützte. Grund war ein Strukturversagen des Druckschotts im Flugzeugheck mit Verlust des Seitenleitwerks – welches auf einen unzulänglichen Reparaturversuch und Materialermüdung durch zahlreiche Starts im innerjapanische Reiseverkehr zurückzuführen war. Also genau ein Bauteilversagen, welches ich durch die Prüfungen der Flugzeugaußenhülle in meinem vorherigen Job zu verhindern hatte. Das ist wohl der Fluch, wenn man mal in der Luftfahrtindustrie im Bereich der zerstörungsfreien Werkstoffprüfung gearbeitet hat und sozusagen über Sachverstand verfügt. Selbst heute, mehr als 35 Jahre nach diesem Job im Flugzeugbau beschleichen mich noch immer die gleichen Gedanken beim Besteigen eines Flugzeugs.

Keine besonderen Vorkommnisse – so far …

Aber wie gesagt: Der Flug selbst verlief ergebnislos. In Osaka bestieg ich am Flughafen einen Bus, der mich direkt nach Kyoto, zum zentralen Busbahnhof brachte. War auch alles kein Problem, da die Busse dort die Reiseziele in Romanji (westliche Schrift) anzeigten und ich genaue Instruktionen dabei hatte. Mein Hotel in Koyoto war auch direkt neben dem zentralen Busbahnhof gelegen, so dass ich zügig mein Zimmer beziehen und mich für den nächsten Tag ausruhen konnte. Welche Abenteuer mich in Koyoto und Nara erwarteten, konnte ich da noch nicht ahnen. Und überhaupt, selbst ein eigentlich banaler Flug von Tokyo nach Osaka mündete zu dem hier beschriebenen, länglichen Artikel. Man muss nur die Überlegungen, Gedanken und Beobachtungen in eine Story kleiden – Eindrücke, die mir selbst mehr als ein viertel Jahrhundert noch im Gedächtnis hängen geblieben sind.



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