Bei einem Außenbordeinsatz haben Astronautinnen eine Werkzeugtasche "verloren", die dann sofort entschwebte und nun ein Stück von der internationalen Raumstation entfernt schwebt. Die Tasche soll, wegen ihrer weißen Oberfläche, sogar mit einem Fernglas von der Erde aus zu sehen sein, wird aber zwischen März und Juni 2024 vermutlich in der Erdatmosphäre verglühen.
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Ich kenne es aus meiner Lehrlingszeit, Ende der sechziger Jahre, als Elektriker musste man seine Gedanken beisammen halten, um sein Werkzeug nicht auf Baustellen liegen zu lassen – wurde uns bei der Ersatzbeschaffung vom Lehrlingsgehalt abgezogen. Und auch heute finde ich immer noch Werkzeug wie vergessene Schraubenzieher, wenn Handwerker im Haus waren. Auch ganz doof: Du standst auf einer hohen Leiter oder einem Gerüst, und dann fällt dir ein Schraubenzieher aus der Hand. Also absteigen und das Ding suchen, und meine Frau behauptet noch heute "Dein Werkzeug fliegt einfach überall herum" – ist natürlich schamlos übertrieben, das liegt alles in der Werkzeugkiste im Keller – nur was noch gebraucht wird, bleibt "ein paar Tage vor Ort".
Aber die Aussage "Werkzeug fliegt einfach überall herum" ist nun wahr geworden, weil zwei Astronautinnen eine Werkzeugtasche im Weltall verloren ging.
Verloren im Weltraum
Diese obigen Erinnerungen kamen spontan hoch, als ich über das Missgeschick der US-Astronautinnen Jasmin Moghbeli und Loral O'Hara las. Die absolvierten am 1. November 2023 einen Außenbordeinsatz an der Internationalen Raumstation (ISS). Diese Einsätze sind anspruchsvoll und die Astronauten müssen in ihren klobigen Raumanzügen ständig mit Halteleinen an der ISS gesichert sein. Das Gleiche gilt für Gegenstände, die die Astronauten dort an- oder abmontieren.
Die kleinste Unaufmerksamkeit und schon entschweben die Gegenstände ins All – erste Berichte über solche Fälle gab es bereits von den Gemini-Missionen der Amerikaner in den 60er Jahren. Ed White 1965 verlor während der Mission Gemini 4 beim ersten Außenbordeinsatz der Menschheit im Weltraum einen Ersatzhandschuh. 2006 ging dem US-Astronauten Joe Tanner ein Bolzen bei einem Außeneinsatz verloren.
Als die NASA-Astronautin Heide Stefanyshyn-Piper 2008 versuchte, ein verklemmtes Zahnrad an einem Solarpanel der ISS zu reparieren, verlor sie ebenfalls eine Werkzeugtasche, die dann unseren Planeten umkreiste. Dort war es ein Malheur, eine Fettkartusche war in der Tasche explodiert und die Astronautin versuchte den Handschuh sowie den Innenraum der Tasche von Fett zu befreien.
Ganze Werkzeugtasche weg
Was genau am 1. November 2023 beim Außenbordeinsatz der US-Astronautinnen Jasmin Moghbeli und Loral O'Hara passiert ist, hat die NASA nicht mitgeteilt. Moghbeli und O'Hara waren bei dem Außeneinsatz in der Lage, eines der beiden Hauptziele des Weltraumspaziergangs zu erreichen: Den Tausch eines der 12 Drehlager an der Backbord-Drehverbindung des Solargenerators Alpha. Mit der Verbindung werden die Solarzellen der Sonne nachgeführt, um Strom für die ISS zu erzeugen. Die Mission Control teilte der Stationsbesatzung mit, dass die Solaranlage nach dem Austausch des Lagers gut funktioniert.
Die Astronauten entfernten auch eine Halterung für eine Handhabungsstange, um die künftige Installation eines ausrollbaren Solarfelds vorzubereiten, und konfigurierten ein Kabel, das zuvor eine externe Kamera behindert hatte, richtig. Es war auch geplant, einen Kasten für die Kommunikationselektronik, die so genannte Radio Frequency Group, auszubauen und zu verstauen. Doch die Zeit während des Weltraumspaziergangs reichte nicht aus, um diese Arbeit abzuschließen. Das Duo hob einige mehrlagige Isolierungen ab, um besser einschätzen zu können, wie die Arbeit angegangen werden sollte, bevor die Isolierung ersetzt und die Aufgabe auf einen späteren Weltraumspaziergang verschoben wurde.
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Während der Arbeiten ging eine Werkzeugtasche versehentlich verloren. Wie das genau am 1. November 2023 beim Außenbordeinsatz der US-Astronautinnen Jasmin Moghbeli und Loral O'Hara passiert ist, hat die NASA nicht mitgeteilt. Es gibt eine kurze Videosequenz auf Twitter, die zeigt, wie die Tasche mit ihren Haltebändern – die sich vielleicht vom Raumanzug gelöst hatten – entschwebt.
Jedenfalls schwebt die 100.000 Dollar Werkzeugtasche jetzt in einiger Entfernung zur ISS durch den Weltraum. In obigem Tweet ist die weiß verkleidete Tasche im linken Foto zu sehen. Die Flugkontrolleure entdeckten die Werkzeugtasche mithilfe der Kameras der Außenstation.
Die Werkzeuge in der Tasche wurden für den Rest des Weltraumspaziergangs nicht mehr benötigt, so die gute Nachricht der NASA. Was in der Tasche drin war, ist unbekannt.
Die Missionskontrolle analysierte die Flugbahn des Beutels und stellte fest, dass das Risiko eines erneuten Kontakts mit der Station gering ist und dass die Besatzung und die Raumstation sicher sind, so dass keine Maßnahmen erforderlich sind. Also noch eine gute Nachricht.
Die Tasche wird durch die Reibung mit den Restmolekülen der Erdatmosphäre an Höhe verlieren und immer tiefer in Richtung Erde sinken. In ca. 120 km Höhe wird der Beutel zerrissen und mit seinem Inhalt beim Absturz verglühen. Das dürfte im März bis Juli 2024 der Fall sein. RDN hat hier noch einige Informationen.
Ein "Satellit", von der Erde aus zu sehen
Was die Leute auf der Erde nun fasziniert: Durch die weiße Umhüllung soll die Tasche von der Erde aus mit einem Teleskop oder Fernglas zu sehen sein. Auf earthsky.org gibt es diese Seite, die sich mit dem Thema befasst. Dort gibt es ein Video, welches die verlorene Werkzeugtasche als "sich bewegender Stern" zeigt. Die Aufnahme muss mit einem kleinen Teleskop angefertigt worden sein.
Wer weiß, wo sich die mit bloßem Auge sichtbare ISS am Himmel bewegt, sollte die Tasche mit einem starken Fernglas auch sehen können, heißt es. Das Objekt bewegt sich "wenige Minuten" vor der Raumstation in etwa 400 Kilometer Höhe in einer Umlaufbahn.
Der Werkzeugsack ändert seine Helligkeit leicht, was darauf hindeutet, dass das Objekt auf seiner Umlaufbahn um unseren Planeten taumelt, heißt es hier. Am 11. November 2023 (dem Aufnahmedatum des Videos) flog die Tasche bereits etwa fünf Minuten vor der ISS. Bis Mitte November dürfte der Werkzeugkoffer etwa zehn Minuten voraus sein. Die Beobachtungen deuten auch darauf hin, dass die Werkzeugtasche mit dem Höhenverlust leicht nach Osten oder links von der Flugbahn der ISS abdriftet.
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