Greenpeace hat einen Großteil der in Geheimverhandlungen zum transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP entstandenen Dokumente veröffentlicht. Die schlimmsten Befürchtungen scheinen sich zu bestätigen: Die USA machen Druck, um ihre Vorstellungen durchzusetzen.
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In Deutschland lag der Verhandlungstext für Abgeordnete in zwei Lesesälen aus – Kopien durften keine gemacht werden. Alles ist geheim – nur Merkel und Obama betonten auf der Hannover-Messe, dass das Ganze alternativlos sei und bis 2016 in trockenen Tüchern sein solle. Im Umfeld der Kommunikationskonferenz Re:Publica hat Greenpeace Niederlande jetzt einen Großteil der Verhandlungstexte veröffentlicht. So kann sich jeder ein Bild der Sachlage machen.
Bereits im Vorfeld berichteten Medien wie Süddeutsche Zeitung, Spiegel Online etc. von den Erkenntnissen: Es kommt noch schlimmer als befürchtet.
Absenkung der EU-Standards – auch rückwirkend
Die EU-Verhandlungsführer (und Angela Merkel) haben immer beteuert: Eine Absenkung bestehender Standards werde es durch das Handelsabkommen TTIP nicht geben. Die von Greenpeace veröffentlichten Dokumente belegen glasklar: TTIP ermöglicht, auch bestehende Umwelt- und Verbraucherstandards wie das strenge EU-Chemikalienrecht abzusenken. Das Kapitel über die regulatorische Kooperation macht, nach einer Analyse, die Absenkung auch rückwirkend möglich: Beide Vertragspartner sollen Mechanismen entwickeln, die rückwirkend eine Aufhebung von Standards und Gesetzen ermöglichen – wenn diese den Handel behindern. Zitat aus Greenpeace-Veröffentlichungen:
Die USA liefern auch Kriterien, nach denen eine Einstufung als Handelshemmnis erfolgen soll: hauptsächlich über das Risikoprinzip. Demnach können beispielsweise die Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel oder das EU-Chemikalienrecht REACH durch TTIP geschwächt werden. Die USA wollen, dass Stoffe nur dann verboten werden können, wenn vorher ihre Schädlichkeit belegt ist. REACH hingeben basiert auf dem Vorsorgeprinzip: Durch das Inkrafttreten 2007 müssen alle Chemikalien ab einer gewissen Menge in der EU registriert werden; ihre Unschädlichkeit muss nachgewiesen sein. Bislang sind mehrere Tausend Chemikalien in der EU nicht zugelassen worden, da eine schädliche Wirkung nicht auszuschließen ist. Dieses Prinzip sieht die USA als Handelshemmnis.
Freie Bahn für Gentechnik
Auch für die Gentechnik, in den USA auf breiter Front im Einsatz, sieht TTIP freie Fahrt vor. Das europäische Vorsorgeprinzip wird in TTIP nicht mehr erwähnt. Die amerikanische Agrarindustrie sieht das Vorsorgeprinzip zunehmend als Handelshemmnis und könnte über TTIP bisher in Europa verbotene Genpflanzen oder –produkte und Klonfleisch in Europa einführen. Ein Blick in den Giftschrank lässt sich hier bei Greenpeace in deutsch nachlesen.
EU von USA unter Druck gesetzt – Schiedsgerichte weiter geplant
Die Verhandlungsdokumente belegen, dass die US-Regierung Europa bei den Verhandlungen zum transatlantische Handelsabkommen TTIP unter Druck setzen. Man droht damit, Exporterleichterungen für Europas Autoindustrie zu blockieren, wie man in der Süddeutsche Zeitung lesen kann. Auch dieser Artikel in der Süddeutsche Zeitung belegt, wie sich die USA als Hegemoniemacht gegenüber Europa aufführt und ihre Produkte auf den europäischen Markt per TTIP-Regeln drücken will. Erklärt auch, warum die deutsche Industrie – vor allem die Automobilindustrie vehement für TTIP wirbt. Man will seine Exportchancen für ein "Linsengericht" an die Amis verkaufen – 800 Millionen Europäer müssten es dann ausbaden. Hier sind noch einige Artikel (die Süddeutsche Zeitung hatte die TTIP-Geheimdokumente vorab):
Realität der TTIP-Verhandlungen übertrifft die dunklen Ahnungen noch (Süddeutsche)
TTIP – Amerika macht Druck wie nie
TTIP-Papiere: Die wichtigsten Erkenntnisse im Überblick (Spiegel)
Überblick: Das müssen Sie zu den TTIP-Dokumenten wissen
Das geht auch mit meinen Befürchtungen, die ich vor einigen Tagen im Artikel TTIP: Infos und die Folgen skizziert hatte. Kleine Information am Rande: Momentan ist ja klar, dass ein Bienensterben stattfindet. Es stehen auch Pestizide als Ursache im Verdacht. Im englischsprachigen Beitrag European Scientists Discover Bee Resurgence After Banning These 3 Pesticides Still Used in The US (automatische Übersetzung) findet sich eine aufschlussreiche Erkenntnis: Werden drei, nur noch in den USA benutzte Pestizide, verboten, könnten sich auch die dortigen Bienenpopulationen erholen. Mit TTIP kämen diese in der EU verbotenen Pestizide vermutlich auch wieder nach Europa.
Nachträge zum Thema
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Zwischenzeitlich haben sich einige neue Informationen (abseits der Greenpeace-Enthüllungen und weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit) ergeben. Hier zwei Fundstücke.
Chlorhühnchen, Gen-Tomate und Gen-Fleisch aus den USA wurden ja von TTIP-Befürwortern als Horror-Szenario der Gegner bezeichnet. Zwischenzeitlich ist in Zeit Online ein aufschlussreiches Interview mit David Salmonsen, Cheflobbyist der US-Agrarindustrie, erschienen. Für die [US-] Landwirtschaft ist TTIP sehr wichtig, so Salmonsen. "Hormonfleisch und Chlorhühnchen müssen in der EU erlaubt sein." Nachzulesen im Artikel Unser Fleischabsatz wird deutlich steigen.
Im obigem Text sowie in den verlinkten Beiträgen geht hervor, dass bei genmanipulierten Organismen die Zulassung, nach dem Willen der Amerikaner, durch die "wissenschaftliche Basis" (und nicht durch Risikobewertungen, wie in der EU üblich) erfolgen soll. Gerade bin ich auf den englischsprachigen Artikel National Academy of Sciences finds GMOs to be 'safe' gestoßen. Also die amerikanische Wissenschaftsbehörde hält genmanipulierte Organismen für "sicher". Hieße im Umkehrschluss, dass TTIP den Hebel liefert, um dieses Zeugs (Pflanzen wie Gensoja, Fleisch, Pilze etc.) in die EU-Märkte zu drücken. Käme eine Regierung oder Europa zum Schluss, diese GMOs wegen ungünstiger Einflüsse auf die Umwelt zu verbieten, wären die US-Anbieter in der Lage, dieses Verbot auf dem Klageweg vor Schiedgerichten entweder auszuhebeln oder/und Schadensersatz zu erstreiten. Schöne Aussichten.
Und noch ein Nachtrag – so langsam kommen die Schlampereien ans Tageslicht, die die EU sich in den Verhandlungen erlaubt. Ganz lesenswert ist auch der Zeit Online-Artikel Gesundheit und Pflege sind keine Handelsware. Der Tenor: Auch die Pflege und die Gesundheit sind gefährdet, weil TTIP und CETA ausländischen Investoren jede Menge Handhabe für Klagen oder zum Unterlaufen der europäischen Sozialstandards wie Mindestlohn etc. bieten. Wird aber von der EU-Spitze negiert und schön gebetet. Zitat aus dem Artikel:
Die entsprechenden Klauseln lassen häufig viel Interpretationsspielraum, denn sie arbeiten mit schlecht definierten Begriffen. Das macht sie praktisch nutzlos. …
Die Konsequenz ist: TTIP und Ceta unterstützen nicht, wie es zu wünschen wäre, ein solidarisch finanziertes, allgemein zugängliches und qualitativ hochwertiges Gesundheits- und Sozialwesen, das die gute Versorgung aller Kranken und Pflegebedürftigen unabhängig von ihrem Einkommen in den Mittelpunkt stellt. Stattdessen sind die Handelsabkommen einseitig von Marktlogik und privatem Kapital geprägt. Das birgt Sprengstoff – für die Patienten, aber auch für die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten.
Da fehlen einem die Worte und unsere Politiker, wie der deutsche Wirtschaftsminister, wollen CETA und TTIP durchwinken (siehe z.B. diesen Foodwatch-Artikel oder den heise.de Artikel). Bundeskanzlerin Merkel will TTIP "so schnell wie möglich" – mehr braucht man wohl nicht zu sagen.
Daher: Stoppt CETA und TTIP!
Links:
Campact TTIP-Infos
Campact CETA-Infos
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