Die Energiekrise beim Gas, die Preissteigerungen beim Strom, das alles führt zu starker Verunsicherung der Menschen. Nun wird auch noch bekannt, dass dubiose Anbieter den Leuten Energieverträge für Strom und Gas unterschieben – die Zahl der Beschwerden hat jedenfalls stark zugenommen.
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Report Mainz von der ARD berichtet in dieser Mitteilung vom 13. September 2022 davon, dass Zahl der Beschwerden über untergeschobene Verträge in Deutschland seit Beginn der Energiekrise stark gestiegen sei. Deren Zahl hat sich bei der Verbraucherzentrale Bundesverband seit Jahresbeginn mit 2.700 Beschwerden fast verdreifacht. Außerdem kam es bereits zu 10.000 Beschwerden über unerlaubte Werbeanrufe zu Energieversorgungsprodukten bei der Bundesnetzagentur.
Fingierte Anrufe dubioser Unternehmen
Dubiose Strom- und Gasanbieter nutzen offenbar die Angst vieler Menschen vor höheren Preisen aus, um ihnen am Telefon Energielieferverträge unterzuschieben. Personen geben zum Beispiel vor, Mitarbeiter des Energieunternehmens zu sein, bei dem der Betroffene Kunde ist. Ihr Ziel: an Zählerstände und Zählernummern zu kommen. Damit melden sie den Betroffenen ohne sein Einverständnis beim alten Versorger ab und schieben ihm teurere Verträge bei einem völlig anderen Unternehmen unter. Eigentlich sollte das seit einem Jahr durch die Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes nicht mehr möglich sein.
Ich selbst hatte im Büro einen Anruf, wo sich jemand meldete, ich habe ja zugestimmt, dass ich in 3 Monaten zum Wechsel des Vertrags angerufen werden wolle. Der Vertrag würde jetzt x Euro mehr pro Monat kosten, aber man könne ja verlängern. Da ich über meine Strom- und Gasbezugsverträge informiert bin, habe ich am Telefon weder Ja (ist gefährlich, könnte aufgezeichnet und als Zustimmung gewertet werden) noch Nein gesagt, sondern das Gespräch abgebrochen und mit einer Beschwerde bei der Bundesnetzagentur gedroht.
In solchen Gesprächen sollte man keinesfalls die Zählernummer weiter geben – und falls doch, den gegenwärtigen Versorger informieren, dass Dritte die Zählernummer haben und man nicht wechseln wolle. Kündigungen von Drittseite seien Betrugsversuche – vielleicht hilft es.
Werbeanrufe ohne ausdrückliche Zustimmung des Angerufenen, sogenannte "Cold Calls", sind seit Jahren verboten. Weil sie trotzdem stattfinden und Betroffenen im Rahmen des Gesprächs häufig unwissentlich Energielieferverträge untergeschoben wurden, hat der Gesetzgeber vergangenes Jahr nachgebessert. Seitdem dürfen Energielieferverträge (laut Energiewirtschaftsgesetz) am Telefon nur noch in "Textform" abgeschlossen werden, heißt es bei Report Mainz.
Bestätigung per SMS
Recherchen von REPORT MAINZ zeigen nun, wie dubiose Vermittler von Energielieferverträgen sich diese Regelung zunutze machen. Reporterinnen des ARD-Politikmagazins sprachen mit zahlreichen Betroffenen aus ganz Deutschland, die trotz der neuen Gesetzeslage unwissentlich Energieverträge abschlossen. Den Schilderungen der Betroffenen zufolge erweckten die Anrufer zu Beginn des Telefonats häufig den Anschein, im Auftrag der örtlichen Stadtwerke oder eines Vergleichsportals anzurufen. Im Laufe des Gesprächs wurden die Angerufenen aufgefordert, eine während des Telefonats erhaltene SMS unmittelbar mit "Ja" und dem eigenen Namen zu beantworten. Während viele von ihnen davon ausgingen, hierbei lediglich dem Zusenden eines Angebots zuzustimmen, schlossen sie auf diese Weise einen Vertrag bei einem neuen Energieanbieter ab.
Dreistes Vorgehen dokumentiert per zugespieltem Mitschnitt
In einem fast halbstündigen Mitschnitt eines solchen Telefonats, der REPORT MAINZ zugespielt wurde, ist zu hören, wie gravierend ein Verbraucher von der Vermittlerin eines Energieliefervertrags getäuscht wird. So sagt die Frau in dem Telefonat: "Sie bekommen die Unterlagen erstmal nach Hause geschickt, damit Sie das erstmal prüfen. Das ist nur alles die Vorbereitung." Der Angerufene betont mehrfach, er wolle auf keinen Fall einen Vertrag am Telefon abschließen. Unwissentlich hat der Angerufene während dieses Telefonats per SMS zwei Energielieferverträge für Gas und Strom abgeschlossen.
Experten fordern Nachbesserung des Energiewirtschaftsgesetzes
Rechtsanwalt Marc Nörig kritisiert das Gesetz gegenüber dem ARD-Politikmagazin. Er verhandelt mehrere solcher Fälle vor Gericht. "Ich finde es dreist, wie diese Energieunternehmen vorgehen. Es soll verhindert werden, dass der Kunde während des Telefonats da in irgendeiner Weise überrumpelt wird, sondern sich Gedanken machen kann, ob er tatsächlich diesen Vertrag so schließen möchte", sagt Nörig.
Ähnlich sieht es auch Felix Methmann von der Verbraucherzentrale Bundesverband: "Wichtig ist, dass jetzt da nachgeschärft wird, wo die Probleme bestehen. Und die bestehen eben darin, dass viele Verbraucherinnen und Verbraucher einen Vertrag haben, den sie nicht haben wollen. Es darf nicht möglich sein, Verträge per SMS zu schließen."
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REPORT MAINZ sprach zudem mit Betroffenen von untergeschobenen Energielieferverträgen, die während des Anrufs keine Bestätigung per SMS oder Mail zurückschickten und trotzdem neue Energielieferverträge erhielten. In einem Fall stellte sich heraus, dass die Unterschrift der Betroffenen unter einem vermeintlichen Vertrag nachweislich gefälscht wurde. Das Unternehmen fordert dennoch weiter Geld von der 86-Jährigen. In einem anderen Fall erhielt die Verbraucherin kurze Zeit nach Abschluss des Vertrags eine deutliche Preiserhöhung. Ihr Widerspruch wurde ignoriert.
Bundesnetzagentur ist an gesetzliche Rahmenbedingungen gebunden
Die Bundesverbraucherzentrale bemängelt, dass seit Jahren eine Handvoll Unternehmen durch derart dubiose Geschäftspraktiken auffalle. Der Bundesnetzagentur seien diese auch bekannt. Doch es passiere viel zu wenig. Die Unternehmen müssten viel schneller geahndet werden. "Da müssen schon ein paar 100 Beschwerden reichen über die gleiche Firma und über das gleiche Problem, dass dann schon reagiert wird", so Methmann.
Die Bundesnetzagentur entgegnet REPORT MAINZ gegenüber, sie sei an gesetzliche Rahmenbedingungen gebunden. Aus einer Stellungnahme von 2019 geht hervor, dass auch sie schärfer gegen die Unternehmen vorgehen möchte. Damals hatte sie vorgeschlagen, sich bei der Festsetzung von Bußgeldern "an den wirtschaftlichen Verhältnissen" der Unternehmen orientieren zu dürfen. Der aktuelle Höchstsatz von 300.000 Euro stelle "gerade bei leistungsfähigen Unternehmen keine spürbare Sanktion dar."
Allerdings sei "im Gesetz etwas anderes verankert worden. Wir arbeiten mit den rechtlichen Möglichkeiten, die wir zur Verfügung haben. Das tun wir. Und alles Weitere habe ich heute an dieser Stelle nicht zu kommentieren", so der Pressesprecher der Bundesnetzagentur, Fiete Wulff. Das Bundesjustizministerium, welches für die Novellierung des Gesetzes zuständig war, hat bislang auf Fragen des ARD-Politikmagazins nicht geantwortet. Hier dürfen wir uns bei der vorherigen, CDU-geführten Bundesregierung bedanken, die die Schriftform für Verträge blockiert hat – weil den Firmen ja Umsätze entgehen können.
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