Bereits in Babylon kannte man die Trigonometrie, und setzte diese zur Landvermessung ein. Das geht aus einer 3.700 Jahre alten Keilschrifttafel hervor, die Hinweise auf angewandte Geometrie liefert. Damit waren Methoden, die erst 1.000 Jahre später vom Griechen Pythagoras beschrieben wurden, länger bekannt als angenommen. Entdeckt wurde die Keilschrifttafel in einem Museum in Istanbul, wo sie fast 100 Jahre unerkannt schlummerte.
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Pythagoras als Urvater der Geometrie
In der Schule dürfte vielen von uns Pythagoras und seine Dreiecksberechnungen in der Geometrie begegnet sein. Der alte Grieche gilt als Begründer der Mathematik, aber vor allem der Geometrie – der Satz des Pythagoras, oder das Pythagoreisches Zahlentripel – dürfte daher vielen Schülern auch nach Jahrzehnten noch irgend etwas sagen. Im Wikipedia-Artikel zum Griechen Pythagoras wird diskutiert, ob dieser Zugang zum Wissen der alten Ägypter oder gar der Babylonier hatte und diese nur "zusammenfasste" oder vermittelte. Der Wissenschaftshistoriker Leonid Zhmud, geht aber davon aus, dass Pythagoras die Erkenntnisse selbst erarbeitet hat.
Aber die Babylonier waren früher
Von den Babyloniern ist inzwischen bekannt, dass dieses Volk Tausend Jahre früher bereits Kenntnisse der Astronomie und Mathematik besaß, die später von den Ägyptern und dann von den Griechen genutzt wurden. Nun ist der australische Mathematiker Daniel Mansfield auf eine Tontafel aus Babylon gestoßen, die belegt, dass man bereits vor 3.700 Jahren das Pythagoreische Tripel kannte und praktisch zur Landvermessung einsetzte.
Tontafel Si 427 aus Babylon, Quelle: University of New South Wales, Screenshot
In einer Mitteilung der University of New South Wales (UNSW) in Sydney, Australien, vom 5. August 2021, wurden die Erkenntnisse öffentlich. Die Tafel – bekannt als Si.427 – wurde im späten 19. Jahrhundert im heutigen Zentralirak entdeckt, aber ihre Bedeutung blieb lange unbekannt. Die Tontafel schlummert so 100 Jahre unbeachtet in einem Museum in Istanbul.
Dann stieß der australische Mathematiker Daniel Mansfield auf diese Tontafel und erkannte deren Bedeutung. Si.427 gilt als das älteste bekannte Beispiel für angewandte Geometrie. "Si.427 stammt aus der altbabylonischen (OB) Periode – 1900 bis 1600 v. Chr.", so Dr. Daniel Mansfield von der School of Mathematics and Statistics der UNSW Science.
"Es ist das einzige bekannte Beispiel eines Katasterdokuments aus der OB-Periode, also eines Plans, der von Vermessungsingenieuren zur Festlegung von Landgrenzen verwendet wird. In diesem Fall gibt er Aufschluss über rechtliche und geometrische Details eines Feldes, das nach dem Verkauf eines Teils davon aufgeteilt wurde."
Es handelt sich um ein bedeutendes Objekt, da der Landvermesser die heute als "pythagoreische Dreiergruppe" bezeichneten Zahlen verwendet, um genaue rechte Winkel zu bestimmen. "Die Entdeckung und Analyse der Tafel hat wichtige Auswirkungen auf die Geschichte der Mathematik", sagt Dr. Mansfield. "Sie wurde zum Beispiel über tausend Jahre vor der Geburt von Pythagoras gefunden."
Nicht der erste Fund
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Bereits 2017 vermutete Dr. Mansfield, dass es sich bei einem anderen faszinierenden Artefakt aus der gleichen Zeit, bekannt als Plimpton 322, um eine einzigartige Art von trigonometrischer Tabelle handelt. "Es wird allgemein angenommen, dass die Trigonometrie – der Zweig der Mathematik, der sich mit der Untersuchung von Dreiecken befasst – von den alten Griechen entwickelt wurde, die im zweiten Jahrhundert v. Chr. den Nachthimmel studierten", sagt Dr. Mansfield.
"Aber die Babylonier entwickelten ihre eigene 'Proto-Trigonometrie', um Probleme bei der Vermessung des Bodens, nicht des Himmels, zu lösen. Man geht davon aus, dass die oben erwähnte Tontafel schon vor Plimpton 322 existierte – tatsächlich haben Vermessungsprobleme Plimpton 322 wahrscheinlich inspiriert.
"Es gibt einen ganzen Zoo von rechtwinkligen Dreiecken mit verschiedenen Formen. Aber nur eine sehr kleine Handvoll kann von den babylonischen Vermessern verwendet werden. Plimpton 322 ist eine systematische Untersuchung dieses Zoos, um die nützlichen Formen zu entdecken", sagt Dr. Mansfield.
"Mit dieser neuen Tafel können wir zum ersten Mal sehen, warum sie sich für Geometrie interessierten: um präzise Landgrenzen festzulegen", sagt Dr. Mansfield.
"Sie stammt aus einer Zeit, in der Land allmählich privat wurde – die Menschen fingen an, über Land im Sinne von 'mein Land und dein Land' nachzudenken und wollten eine genaue Grenze festlegen, um gute nachbarschaftliche Beziehungen zu haben. Und das ist es, was diese Tafel sofort zeigt. Ein Feld wird geteilt, und es werden neue Grenzen gezogen.
Weitere Details dieser spannenden Entdeckung lassen sich in der Mitteilung der University of New South Wales (Englisch) nachlesen. Die Kollegen von heise haben zudem vor einiger Zeit einen deutschsprachigen Artikel zum Thema veröffentlicht.
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