Als die Kinder noch per US-Post verschickt wurden …

Vor einigen Tagen bin ich auf einen sehr skurrilen Sachverhalt gestoßen. In den USA, hieß es, hätten Eltern ihre Kleinkinder vor 100 Jahren mit der US-Post, zum Beispiel zu Großeltern, verschicken lassen. Als das ruchbar wurde, habe die Post einen Riegel durch entsprechende Vorschriften vorgeschoben. Ich habe dann mal etwas recherchiert.


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Foto: Kind in Posttasche

Die Geschichte taucht immer wieder in Medien und auch auf Social Media wie Facebook auf. Meist wird ein Foto gepostet, welches einen Briefträger mit Posttasche zeigt, aus der ein Kleinkind schaut. Die Botschaft: "Das ist ein Kind, welches per Post verschickt wurde".

Kind in Posttasche

Obiger Screenshot eines aktuellen Artikels zeigt dies – über diesen Artikel, der sich hinter einer Bezahlschranke befindet, bin ich über das Thema gestolpert. Ich bin der Geschichte dann nachgegangen, denn den Spiegel Online-Beitrag konnte ich nicht komplett lesen – und ich verlasse mich lieber auf eigene Recherchen.

Ja, es stimmt, es gab Fälle, wo Kinder "verschickt wurden" – und nein, die obige Szene hat es so nicht gegeben.

Januar 1913: Was kannst Du per Post verschicken?

In den Anfangszeiten der US-Post, als der Paketdienst eingeführt wurde, war noch nicht so ganz klar, was man eigentlich als Paket verschicken könnte. Als die Postämter ab dem 1. Januar 1913 begannen, Pakete mit einem Gewicht von mehr als vier Pfund anzunehmen, gab es nur vage Vorschriften darüber, was man mit der Post verschicken durfte und was nicht. Die Leute begannen sofort, die Grenzen auszutesten, indem sie Eier, Ziegelsteine, Schlangen und andere ungewöhnliche "Pakete" verschickten.

Die Seite history.com zitiert hier die Geschichte des Ehepaars Beague, die im Januar 1913 ihren kleinen Sohn mit dem Paketdienst in Ohio verschickten. Die Beagues zahlten 15 Cent für eine Briefmarke und einen unbekannten Betrag, um den Sohn für 50 Dollar zu versichern. Sie übergaben den Jungen dann dem Postboten, der den Jungen am Haus seiner Großmutter, etwa eine Meile entfernt, absetzte.

Das gilt inzwischen als gesichert. "In den ersten Jahren des Paketpostdienstes herrschte ein ziemliches Durcheinander", wird Nancy Pope, leitende Kuratorin für Geschichte am National Postal Museum, in obigem Artikel zitiert.


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Auch in diesem Artikel wird das aufgegriffen – und es gab wohl weitere Fälle von "per Post verschickten" Kindern (siehe auch nachfolgenden Text).

Nette Geschichte der Kinder-Postsendungen

Laut obigem Artikel berichteten am 14. Juni 1913 schließlich mehrere Zeitungen, darunter die Washington Post, die New York Times und die Los Angeles Times, dass die Post der offiziell verfügt habe, dass Kinder nicht mehr mit der Post verschickt werden durften.

Diese Ankündigung habe die Zahl der Kinder, die mit der Post verschickt wurden, wohl eingedämmt, aber wohl nicht beendet. Die Washington Post gibt in diesem Artikel weitere Fälle an. Obwohl die Geschichte "es war nicht bekannt, dass man keine Kinder verschicken darf" so nicht ganz korrekt war, wie Jenny Lynch vom US-Postmuseum zitiert wird.

Die Post hat zwar mit der Order "No humans" den Transport von Menschen als Paketsendung explizit gestoppt. Aber bereits bei Aufhebung des Gewichtslimits war klar, dass nur Tiere als Sendungen verschickt werden durften. "Nach den damaligen Vorschriften durften nur Bienen und Käfer mit der Post verschickt werden", sagt Lynch dem Smithsonian. "Es gibt einen Bericht über May Pierstorff, die mit dem Hühnertarif verschickt wurde, aber eigentlich waren Küken erst ab 1918 erlaubt." May Pierstorff wurde im Alter von 4 Jahren zu einem 79 Meilen entfernten Verwandten per Bahn als Postpaket verschickt und wohl in einem "Postsack transportiert".

Kommen wir noch zum obigem Foto (oder ähnlichen Aufnahmen) zurück. Wurden die Kinder wirklich in die Tasche des Briefträgers gesteckt und dann ausgeliefert? USA Today hat hier den Faktencheck gemacht. Ja, es gab einzelne Fälle, wo Kinder in die Obhut der Post gegeben und dann als eine Art "Paket" zum Empfänger transportiert wurden. Bei May Pierstorff war aber eine Verwandte bei der Post beschäftigt, die das Kind und ihre Kusine wohl beim Posttransport per Bahn begleitete. Mit dem Lösen der "Briefmarke" war der legalen Pflicht Genüge getan.

Und nein, es wurde kein Kind in eine Posttasche des Briefträgers gesteckt, um dann ausgeliefert zu werden. Nach den obigen Berichten haben Zeitgenossen sich den Spaß erlaubt, einen Briefträger mit Tasche zu greifen, ein Kind in die Tasche zu stecken und ein Foto zu schießen. Die Aufnahme war als Spaß gedacht und wurde dann humorvoll ausgeschmückt. Und diese Fotos kreisen noch heute mit der obigen Schichte durch die Medien. So, und nun muss niemand mehr dumm sterben.

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Eine Antwort zu Als die Kinder noch per US-Post verschickt wurden …

  1. Hobbyperte sagt:

    " Bei May Pierstorff war aber eine Verwandte bei der Post beschäftigt, die das Kind und ihre Kusine wohl beim Posttransport per Bahn begleitete."

    Das klingt so, dass das Porto für die Post halt billiger war, als eine Fahrkarte? Ob Kinder unter bestimmter Altersgrenze damals auch schon kostenlos "Mitfahren" konnten? Dann aber hätte sich ein Elternteil die Mühe des Hin- und Zurückfahrens machen müssen. Und diese bei der Post beschäftigte Verwandte fuhr die Strecke vermutlich dienstlich? Und konnte das Kind insofern kostenlos für diese Fahrten Begleiten.

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