Amerikanische Wissenschaftler wollten wissen, ob und wie oft Patienten ihrem Arzt medizinisch relevante Informationen verschweigen und diesem so Informationen zur Behandlung vorenthalten. Dazu wurden zwei Online-Umfragen unter Patienten durchgeführt. Ergebnis: Die eigene Meinung zur ärztlichen Entscheidung oder Verständnisfragen führten dazu, dass Informationen verheimlicht wurden, um Belehrungen und Vorhaltungen zu vermeiden. Offenbar besteht also Verbesserungsbedarf bei der Kommunikation zwischen Arzt und Patienten, die als ‚Team Gesundheit' für beste Behandlungsergebnisse eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten sollten.
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Wir müssen mal dringend reden! Ja genau Sie sind gemeint. Was verschweigen sie ihrem Arzt bei ihren Besuchen und wie oft flunkern Sie auf die Nachfragen des Docs? Saufen wie ein Loch und die Frage 'trinken Sie' mit 'nicht einen Tropfen, ich schwör' beantworten? Erinnert mich an meinen längst verstorbenen Vater, der zum Kummer meiner Mutter auf die Frage des Arztes 'wie geht es Ihnen' immer 'gut, alles bestens' zu antworten pflegte, auch wenn es ihm medizinisch gesehen schlecht ging.
Der Arzt muss das nicht wissen
Und damit sind wir beim Kernthema, welches die Studie Prevalence of and Factors Associated With Patient Nondisclosure of Medically Relevant Information to Clinicians beleuchtete. Der Aufhänger: Patienten erzählen ihrem Arzt nicht immer alles – selbst wenn ihnen klar ist, dass diese Information medizinisch bedeutsam sein müsste.
(Quelle: Pexels/Pixabay CC0 Lizenz)
Die spannende Frage: Wie häufig kommt dieses vor, und was und warum genau verschweigen Patienten etwas? Dies genauer zu verstehen, wäre wichtig für eine bessere Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten – und könnte verhindern, dass beispielsweise Dinge untersucht werden, die gar nicht relevant sind, oder Behandlungen begonnen werden, die eigentlich für den Heilungsprozess nicht nötig und daher eventuell sogar eher schädlich sind.
Online-Umfragen bringen Licht ins Dunkel
Um die verschwiegenen Themen und die Häufigkeit solcher Verheimlichungen zu ermitteln, analysierten amerikanische Wissenschaftler zwei nationale (USA-weite) online durchgeführte Umfragen. Eine wurde mit dem Service MTurk (Amazon's Mechanical Turk) im März 2015 über zwei Wochen durchgeführt (2096 Teilnehmer), die zweite Umfrage fand im November 2015 mithilfe einer auf Umfragen spezialisierten Firma (Survey Sampling International) statt (3011 Teilnehmer). Die anschließende Analyse der Daten erfolgte mit einem Teil der Teilnehmerinformationen nach vorher definierten Ausschlusskriterien.
Sieben Fragen zu möglichen Themen
Die Umfrage bestand aus sieben Fragen zu möglichen Themen, die ein Patient verschweigen könnte.
- Dazu gehörte, dass die Instruktionen des Arztes (oder Arzthelfer) nicht verstanden wurden oder der Patient nicht mit den Empfehlungen des Arztes einverstanden war.
- Auch Lebensstilthemen (kein regelmäßiger Sport, ungesunde Ernährung) oder gezieltes Verschweigen eines eingenommenen Mittels konnten genannt werden.
- Schließlich stand auch die Nichtbefolgung der Anweisungen oder sogar die Einnahme von Medikamenten anderer Patienten zur Auswahl.
Wurde eine Frage bejaht, wurde der Teilnehmer anschließend dazu befragt, welche möglichen Gründe es für das Verschweigen gab. Bei Themen wie ungesundem Lebensstil beispielsweise stand unter anderem zur Auswahl, dass man keine belehrenden Vorträge hören wollte. Andere mögliche Gründe waren, dass man nicht wusste, dass das verschwiegene Thema wichtig war, dass man keinen schlechten Eindruck hinterlassen wollte, dachte, dass der Arzt dabei sowieso nicht helfen konnte, oder dass man kein ‚schwieriger' Patient sein wollte. Ebenso standen Argumente wie Datenschutz (niemand aus der Familie sollte es erfahren) und Scham (es war peinlich) zur Auswahl.
Was und wie häufig verschweigen Menschen ihrem Arzt etwas?
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Insgesamt wurden die Daten von 4510 Teilnehmern aufgenommen. Von 2096 Teilnehmern der MTurk-Umfrage beantworteten 96 % alle Fragen und 2011 Datensätze konnten analysiert werden. Von 3011 Teilnehmern der SSI-Umfrage beantworteten 89,2 % alle Fragen, 2499 Datensätze konnten schließlich analysiert werden. Im Mittel waren die Teilnehmer der MTurk-Umfrage 36 Jahre alt, die der SSI-Umfrage waren durchschnittlich 61 Jahre alt. Ein großer Teil der Befragten gab an, schon einmal dem Arzt eine Information vorenthalten zu haben: 1630 der jüngeren MTurk-Teilnehmer (81,1 %) und 1535 der älteren SSI-Teilnehmer (61,4 %) gaben an, wenigstens einmal etwas verschwiegen zu haben.
61 %–81 % der Befragten hatten dem Arzt bereits etwas verschwiegen
Besonders verschwiegen die Teilnehmer ihrem Arzt, wenn sie anderer Meinung waren: 45,7 % der jüngeren Befragten (MTurk-Umfrage, 918 von 2010 Teilnehmern) und 31,4 % der älteren Befragten (SSI-Umfrage, 785 von 2497 Teilnehmern) gaben dies zu. Ebenfalls häufig verschwiegen die Befragten, wenn sie die Anweisungen des Arztes nicht verstanden hatten: etwa jeder dritte jüngere Teilnehmer (MTurk-Umfrage, 638 von 2009 Menschen) und jeder vierte ältere Teilnehmer (SSI-Umfrage, 607 von 2497 Menschen) gaben an, dass sie schon dem Arzt nicht mitgeteilt hatten, dass sie dessen Instruktionen nicht verstanden hatten. Ein beachtlicher Teil der Patienten könnte also aus der Praxis gehen, ohne zu wissen, was sie genau tun sollen.
Häufig verschwiegen Patienten, wenn sie Anweisungen nicht verstanden
Aber weshalb wollten die Patienten Verständnislücken oder ihre abweichende Meinung nicht mitteilen? Die häufigsten Gründe waren ehe schulmeisterlicher Art: die Teilnehmer wollten häufig nicht geringgeschätzt oder belehrt werden (64,1 %–81,8 %). Auch wollten die Befragten keine Vorträge über ungesundes Verhalten hören (61,1 %– 75,7 %). Manche der verschwiegenen Themen waren den Befragten auch schlicht peinlich oder unangenehm (49,9 %–60,9 %). In beiden Umfragen verheimlichten besonders Frauen, jüngere Menschen und solche Befragten, die ihre Gesundheit im Gesamtvergleich als eher schlechter einschätzten, etwas ihrem Arzt.
Furcht vor Belehrung und peinlichen Situationen
Zusammengefasst hatten also sehr viele Befragte ihrem Arzt schon einmal etwas verheimlicht. Meistens ging es dabei um ihre Meinung zu einer ärztlichen Entscheidung, oder um nichtverstandene Instruktionen. Typischerweise ging es den Menschen dabei vor allem um das Gefühl, geringgeschätzt zu werden – eine schulmeisterliche Reaktion des Arztes, Belehrungen und Vorhaltungen, sollten also vermieden werden.
Mögliche Konsequenzen solcher Verheimlichungen sind allerdings Fehlbehandlungen (weil dem Arzt wichtige Information fehlt) und schlechte Adhärenz, also beispielsweise, dass Medikamente nicht wie angewiesen eingenommen werden. Dies kann z. B. die Wirksamkeit der Mittel stark reduzieren (seltenere Einnahme), zu stärkeren Nebenwirkungen führen (zu häufige Einnahme) und so den Heilungsprozess deutlich erschweren. Schwerwiegend: das Problem betraf in den Umfragen besonders kränkere Patienten. Offenbar besteht also Verbesserungsbedarf bei der Kommunikation zwischen Arzt und Patienten, die schließlich als ‚Team Gesundheit' für beste Behandlungsergebnisse eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten sollten.
Quelle: © Alle Rechte: DeutschesGesundheitsPortal.de
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Sehr interessant dürfte auch der umgekehrte Fall sein: Was verschweigen Ärzte ihren Patienten!
Das wird wohl gar nicht so selten sein, denn ich habe es selbst erlebt: Verdacht auf eine lebensgefährliche Erkrankung lässt sich nach der Standardmethode nur durch operativen Eingriff bestätigen oder ausräumen. Er ist jedoch mit einer Todesrate von 1 % behaftet, die bei mir aufgrund einer Allergie sehr viel höher wäre. Mir war bekannt, dass es seit ca. 10 Jahren sicherere und bessere Diagnosealternativen gibt, über die der Facharzt auch auf Nachfrage nicht informiert und mich nicht dahin überweist. Es wäre seine Pflicht gewesen, von sich aus über alle infrage kommenden Methoden aufzuklären.
Ich beantrage also die Kostenübernahme für die neue Diagnosemethode selbst bei der Kasse, diese schaltet den MDK ein, der MDK nimmt Rücksprache mit dem Arzt und über den MDK-Bericht erfahre ich beiläufig, dass ich nicht mehr Patient bei diesem Arzt sei. Ich verlange vom Arzt eine Stellungnahme – keine Reaktion. Ich fordere eine Kopie der Patientenakte an und lese darin, dass ich ein unerwünschter Patient sei. Dabei hatte es nie ein Streitgespräch gegeben, nur dass ich eben eine andere Diagnosemethode bevorzuge. Aber die Kasse übernahm größtenteils die Kosten per Einzelfallentscheidung.
Die Diagnose ergibt tatsächlich eine lebensgefährliche Erkrankung und nun geht das Spiel von vorn los. Der neue Facharzt will nur weiterbehandeln, wenn ich in eine der Standardtherapien einwillige, die aber alle mit erheblichen Risiken, Nebenwirkungen und Dauerschäden verbunden sind. Auch er informiert nicht über andere Therapiemöglichkeiten, die es aber zweifelsfrei gibt.
Daraufhin trete ich in eine Selbsthilfegruppe ein, informiere mich dort und begleitend auch über das Internet. Schließlich stoße ich auf eine neue Behandlungsart, die ab 2006 zugelassen und bei der in Deutschland seit 2011 eine Privatklinik weltweit führend ist. Zu dieser Behandlungsart laufen zwar noch an anderen Kliniken offizielle Studien, aber das Studiendesign ist so eng ausgelegt, dass ich dort durchs Raster falle. Also entschließe ich mich nach einem einstündigen Gespräch mit dem Professor der Privatklinik zu dieser neuen Therapiemethode, zu der bereits ein umfassender retrospektiver Forschungsbericht vorliegt. Während man bei der offiziellen Studie nur Niedrigrisikopatienten aufnimmt, hat man in der Privatklinik auch Mittel- und Hochrisikopatienten erfolgreich behandelt und somit erheblich mehr Erfahrungen gesammelt.
Kurzum – ich habe diese neue Therapie nun hinter mir und bin froh, mein Schicksal selbst in die Hand genommen zu haben, anstatt mich der Facharztmeinung zu unterwerfen. Diese neue Therapieform hat das Zeug, irgendwann künftiger Standard zu werden (solange konnte ich aber nicht warten), der Heilungserfolg ist den etablierten Methoden gleichwertig, die Risiken, Nebenwirkungen und Dauerschäden sind bei der neuen Methode ganz erheblich geringer als bei den etablierten Methoden. Für mich ist damit die Lebensqualität in keiner Weise eingeschränkt, was sie allerdings bei der Standard-OP gewesen wäre. Und vor allen Dingen: Sämtliche anderen Therapieformen bleiben mir uneingeschränkt erhalten. Das wäre bei den Standard-OPs nicht so gewesen.
Über die Gründe dieses ärztlichen Verhaltens darf sich jeder selbst seine Gedanken machen. Ich tippe mal auf Zeitmangel, Angst vor Regressansprüchen und Einkunftseinbußen (OP-Nachsorge fällt weg).
Was muss erst passieren, bis Wissenschaftler mal untersuchen, was Ärzte den Patienten verschweigen?