Laufe täglich 10.000 Schritte, um gesund zu bleiben und das Sterberisiko zu senken. Diese Mär hält sich seit langem, und Fitness-Apps oder -Tracker geben diese Grenze auch vor. Dabei gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse, dass es mit wesentlich weniger Schritten auch getan ist. Zudem ist mir das Thema "wie kann ich durch Spazieren gehen optimal abnehmen und was sich sonst verbessern ließe" untergekommen. Daher ein kleiner Beitrag rund um diese Themen.
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Die 10.000-Schritte Mär
Kommen wir zum ersten Märchen, dass man täglich 10.000 Schritte laufen muss, um sein Sterberisiko durch Bewegung zu senken. Klar, wer nichts tut, baut der Gesundheit nicht vor – ich hatte im Beitrag Zwei Wochen Faulenzen bauen den Körper ab auf diesen Sachverhalt hingewiesen.
Aber die Marke von 10.000 Schritten für bessere Gesundheit und ein reduziertes Sterberisiko hat keine wissenschaftliche Grundlage, sondern ist schlicht einem Werbe-Gag aus Japan geschuldet. Im Rahmen der olympischen Spiele 1964 in Tokyo nutzt die Firma Yamasa die Gunst der Stunde und veröffentlicht im Folgejahr den ersten Schrittzähler. Begleitet wird dies von einer Kampagne "Jeden Tag 10.000 Schritte gehen." – zufällig der die höchste Schrittzahl, die das Gerät anzeigen kann, wie man hier nachlesen kann.
Und trotzdem halten Krankenkassen wie die AOK (siehe hier) an dieser Regel fest. Auch bei der TKK habe ich mal an einer 60.000 Schritte pro Woche über 12 Wochen Challenge teilgenommen. 10.000 Schritte, das sind ca. 4-7 km, was zwischen einer und 1,5 Stunden Bewegung erfordert, wie man hier lesen kann – nicht jeder hat diese Zeit und diese Ausdauer.
Für die 10.000-Schritte-Regel pro Tag zur Steigerung der Fitness und zur Senkung des Sterberisikos gibt es keine wissenschaftlichen Belege (auch wenn es der Fitness nicht schadet). Es gibt verschiedene Studien, die belegen, dass man auch mit weniger Schritten auskommt uns seiner Gesundheit etwas gutes tut bzw. das Sterberisiko senkt.
Im August 2023 bin ich auf diesen RND-Artikel gestoßen, der auf eine kürzlich im Fachmagazin European Journal of Preventive Cardiology veröffentlichten Metaanalyse abstellt. Die Erkenntnis dieser Metaanalyse (also Auswertung verschiedener Studien zum Thema) lautet, dass bereits 2300 Schritte täglich ausreichen, um das Risiko zu verringern, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu versterben. Im Artikel wird auch die oft genannte Zahl von 4.000 Schritten zur Verringerung des Sterberisikos genannt – wissenschaftlich erwiesen ist das aber nicht wirklich, wenn ich richtig gelesen habe.
Das Kurzfazit: Moderates Gehen könnte positive Auswirkungen auf die Gesundheit haben – es braucht keine 10.000 Schritte täglich. Bereits 30 – 45 Minuten sollen ausreichen. Aber: Mehr Schritte senken das Sterberisiko weiter – ab 4.000 Schritten pro Tag profitiert man von "Bonusschritten". 500 Zusatzschritte senken das statistische Sterberisiko bei Herz-Kreislauf-Erkrankung um 7 %, und 1.000 Schritte senken das Risikio um 15 %. Und Menschen ab 60 Jahren verringerten bei 6000 bis 10.000 Schritten ihr Risiko aber ebenfalls deutlich, und zwar um 42 Prozent, heißt es im RND-Artikel.
Beim Spazieren gehen abnehmen …
Und dann bin ich doch durch Zufall noch auf diesen Fokus-Artikel gestoßen, der verspricht, wenn man drei Dinge beim Spazieren tut, dass man dann abnimmt. Das geht doch immer, oder?
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(Quelle: Pexels / Pixabay CC0 License)
Ich habe mir dann mal den Artikel angeschaut. Die drei Dinge sind recht einfach zusammengefasst:
- Beim Spaziergang die Geschwindigkeit variieren
- Öfters auf den Zehenspitzen beim Spazieren gehen laufen
- Gelegentlich mal rückwärts gehen.
Der Punkt, die Geschwindigkeit beim Spaziergang zu variieren, ist für mich nachvollziehbar. Kennt man aus dem Intervalltraining, wo kurze intensive Einheiten mit Ausdauertraining abwechseln. Ich selbst habe das Privileg, im Taunus Walking und Spaziergänge machen zu können. Da geht es bei Anstiegen auf die nächsten Höhen schon mal langsamer, aber intensiver zur Sache – und bergab steigert sich die Geschwindigkeit.
Das mit dem Laufen auf Zehenspitzen kann ich nicht so wirklich teilen. Man spürt das zwar in den Waden, aber niemand läuft einen Kilometer auf den Zehenspitzen. Laut Fokus-Artikel kann man dabei auch noch die Po-Muskulatur anspannen, um noch mehr Workout zu bekommen. Halte ich in der Praxis für nicht durchführbar, mag aber jeder selbst probieren.
Das Thema rückwärts gehen zum Abnehmen halte ich auch für gewagt. Aber einen Effekt hat es: Es steigert vor allem die Koordinationsfähigkeit und kann nach Schlaganfällen die Balance verbessern. Hier kann ich sogar praktisch etwas an Erfahrungen beisteuern. Nach einem schweren Sportunfall mit abgeknicktem Genick und temporärer Querschnittssymptomatik war es nach Klinik und Reha für mich viele Monate sehr schwierig mit dem Laufen.
Das Nervensystem signalisierte, die Beine wollen nicht mehr und ich war beim Gehen sehr unsicher – etwas ähnliches erleben Schlaganfall-Patienten. Mein Physiotherapeut, der mich mit PNF wieder fit fürs Leben machen sollte, gab mir den Rat, einfach mal für 15 bis 20 Meter rückwärts zu laufen, wenn ich beim Vorwärtslaufen schwächeln sollte. Habe ich auf meinen 3 – 4 km langen Walking-Runden probiert.
Der Effekt war enorm – machten meine Beine beim Vorwärtsgehen "was sie wollten", musste ich mich beim Rückwärts gehen arg konzentrieren. Wenn ich mich aber nach 15 bis 20 Meter umgedreht habe, war das wie "Handbremse beim Auto lösen" – es gab einen regelrechten Kick und ich konnte wieder mehrere hundert Meter sicherer laufen.
Ich habe dies über Wochen praktiziert, bis die Gangunsicherheit verschwunden war. Die Erklärung für mich lautet, dass das Gehirn so neue Synapsen und Nervenverbindungen aufbauen und Bewegungsmuster im Kleinhirn lernen muss. Das verbesserte die Balance des Körpers und fordert das Gehirn.
Fazit: Es gibt verdammt viel, was man mit Bewegung Positives bewirken kann. Aber wann fangen wir an? Nun ja, ich persönlich habe vor 30 Jahren damit angefangen (Schreibtischarbeit zwang mich zum Ausgleich) und bin letzte Woche auf 60 km Bewegung gekommen.
Das weiß ich, weil ich auf Walking-Touren und Spaziergängen immer ein Android-Smartphone mit der kostenlosen Google Fit-App dabei habe. Die App misst die täglichen Schritte und zeigt mir diese an.
Von der App habe ich vor allem in den ersten zwei Jahren nach dem Sportunfall in 2015 profitiert, weil ich an der Schrittzahl nach einer Woche ablesen konnte, wann es mir gut oder schlecht ging und was ggf. der Auslöser war. Denn zu viel Bewegung führte in dieser Phase dazu, dass es mir schlechter ging und ich Nervenschmerzen bekam. Zu wenig Bewegung hatte allerdings den gleichen Effekt, da dem Nervensystem das tägliche Training fehlte. Dummerweise habe ich dies aber immer erst mit 2-3 Tagen Verzögerung bemerken können.
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