Elektro-Tretroller spalten die Gesellschaft: Vom Ansatz zur Verkehrswende bis hin zu 'größte Dummheit der Politik, das Zeugs zuzulassen' ist die Rede. Möglicherweise ist der Hype um diese Elektrokleinstleinfahrzeuge bereits Ende 2019 vorbei.
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Kleiner Rückblick in eigener Sache
Ich gestehe, ich habe die Fahrzeuge Anfang des Jahres als 'Spielzeuge' wahrgenommen. Kurz vor der Debatte um die Verabschiedung der Elektrokleinstfahrzeugeverordnung sind mir dann diverse Lobbyisten-Beiträge in deutschen Pressemedien aufgefallen. Ich hatte das drüben in meinem IT-Blog im Artikel (e)Scooter: Chance oder einfach nur Bullshit? aufgegriffen. Der Artikel entstand einerseits, weil mir ein spezieller Lobby-Artikel in einem deutschen Medium sauer aufgestoßen war. Dort wurden von einem US-Unternehmensbereater die Chancen des eScooter-Verleihs in den überschwänglichsten Tönen gepriesen.
Nach dem Motto 'I smell Dollars' fiel mir mein Artikel Aufstieg und Fall der asiatischen Fahrradverleiher ein, den ich einige Tage vorher im Blog thematisiert hatte. Deutsche Städte musste sich ja mit herumstehenden und –liegenden (kaputten) Leihfahrrädern asiatischer Anbieter (die teilweise insolvent waren), die die Straßen und Bürgersteige verstopften, herumschlagen. Etwas ähnliches sah ich für eScooter kommen, falls die Verordnung den Bundestag passieren würde.
Und mir waren gerade Zahlen über die Kosten und die Lebensdauer von eScootern der Firmen Bird und Lime aus der US-Stadt Louisville in die Finger gekommen. Diese Daten wollten so gar nicht zur schönen rosa Welt passen, die der Lobbyist in dem deutschen Medium skizziert hatte.
eScooter seit Juni 2019 legal in Deutschland
Nun, ich bin nur ein kleiner Techblogger, der zwar von seinen IT-Blogs zwar leben kann, aber nicht das Maß aller Dinge darstellt. Und so kam es, wie es kommen musste. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) legte seine Elektrokleinstfahrzeugeverordnung dem Bundestag vor und diese wurde von diesem Gremium sowie vom Bundesrat verabschiedet. Ab Mitte Juni 2019 war es soweit: Elektro-Tretroller mit Zulassung durften offiziell auf deutsche Straßen.
Mir klingen noch die markigen Worte von Verkehrsminister Scheuer in den Ohren, wie toll das alles werde (genau wie bei Maut und Dieselfahrzeug-Nachrüstung). Die Alternative zum Auto sollte es werden und die Verkehrswende einleiten. Das ist inzwischen durch erste Gutachten längst widerlegt (wer Sinn und Verstand hat, konnte das im Vorfeld schon erkennen).
Inzwischen schlagen sich die deutschen Städte, die Sharing-Anbieter zugelassen haben, mit den Folgen des eScooter-Hypes herum. Man sagt: Geschichte wiederholt sich nicht, und wenn, dann nur als Farce. Vieles erinnert mich an die Leihfahrräder – überhastet und ohne Plan eingeführt und die Kommunen müssen sich mit den Folgen plagen. Die Allgemeinheit, sprich 'der Bürger' trägt dann die Kosten für die Beseitigung der Folgen. Auch Polizei und Rettungskräfte bzw. die Notfallaufnahmen von Klinken schlagen sich mit den Folgen des ministeriellen Schnellschusses herum und müssen die Scherben aufkehren.
Es hat einen eigenen Blog …
Ach ja, etwas hat sich noch geändert. Ich habe einen Blog zum Thema eScooter – irgendwann als Schnapsidee geboren und an einem Samstag-Morgen schnell aufgesetzt. Idee war 'du bloggst gelegentlich über all die neuen tollen E-Tretroller mit Straßenzulassung, damit die Leute sich informieren können'. Mit der Straßenzulassung der E-Tretroller ist das so eine Sache – momentan werden im Handel faktisch nicht zulassungsfähige Fahrzeuge an die 'beliebig blonde' Kundschaft vertickt.
Und so arbeite ich mich im Blog an Verstößen auf eScootern, Unfällen und Unfallfolgen sowie den Problemen der Kommunen ab. Aber es ist Hype, und die Themen liegen auf der Straße – du brauchst die nur aufzugreifen und ein wenig Text herum zu stricken. Durch den Blog fühle ich mich ganz gut informiert, was gerade in Sachen Elektro-Tretroller abgeht.
Aber tief im Hinterkopf schlummert die eigene Erfahrung aus der Jugend (Ok, da gab es noch keine eScooter): Wenn es im Herbst regnete und stürmte, oder wenn es im Winter schneite und glatt wurde, war es gar nicht mehr so sexy, mit dem Fahrrad unterwegs sein zu müssen. Auch später mit Moped war es doof, du brauchtest anständige Kleidung und es war häufig kalt und nass. Daher war der Gedanke 'Im Oktober/November wird es mit dem Hype vorbei sein' im Hinterkopf.
Werden wir 2020 noch über eScooter diskutieren?
Aktuell gehen Unternehmensberater zwar noch von einem gigantischen Sharing-Potential aus – ich hatte das im Artikel Micromobilität: 150 Milliarden Umsatzpotential in Europa? thematisiert. Aber zumindest für eScooter sollte man ein Fragezeichen an diese Zahlen dran machen. Bisher ist das Thema eScooter eigentlich nur ein touristisch genutztes Vehikel und rangiert unter der Rubrik 'Freizeitspaß für junge Erwachsene', die mal etwas ausprobieren wollen (siehe Sind E-Roller umweltfreundlich–oder eher Hipster-Ding?).
Wo die gigantischen Wachstumszahlen bezüglich der Nutzung herkommen sollen, die Unternehmensberatungen und Sharing-Anbieter auf tollen Charts an die Wand werfen, hat mir noch keiner schlüssig erklärt. Das ganze Geschäftsmodell ist vom Prinzip Hoffnung getragen, bei dem gigantische Summen, bereitgestellt von Investoren, verbrannt werden. Auch wenn Nico Rossberg da in Tier investiert, muss das nichts heißen – und aus Investorensicht kann es einem egal sein.
Die Redaktion des Handelsblatts hat sich die Tage ebenfalls am Thema in Form dieses Artikels abgearbeitet. Nachdem die oben aufgegriffenen Aussagen Scheuers und die Werbeaussagen der Verleiher abgearbeitet wurden, kommt man auf den Kern zu sprechen. Hinterfragt einfach die wirtschaftlichen Kerndaten. Trägt sich das Geschäftsmodell der Verleiher?
Bird-Deutschlandmanager Christian Gessner wird vom Handelsblatt folgendermaßen zitiert: 'Eine Konsolidierung wird schneller erfolgen, als viele denken. Die Investments sind sehr hoch, und Ende des Jahres wird die Kasse bei vielen schon erschöpft sein.'
Interessant ist es jetzt, unter diesem Kontext die Bewegungsdaten der eScooter deutscher Sharing-Anbieter zu kennen. Im Artikel Civity-Studie Juli 2019: Bringen E-Roller die Verkehrswende? hatte ich einige Informationen genannt. Auch wenn es noch sehr früh ist und man ggf. die Daten (die ich auch aus anderen Quellen kenne) sowie die Motivation von Civity hinterfragen kann, der Kern bleibt. Elektro-Tretroller stellen keine Alternative zum Auto, zu öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Fahrrad dar. Die Strecken liegen bei max. 1,9 Kilometer pro Tag und eScooter pro Nutzer. Entfernungen, die man in der Vor-eScooter-Zeit zu Fuß zurückgelegt hat. Die E-Tretroller sind vor allem Hipster-Ding und Freizeitvergnügen von Leuten, die sich das leisten können und wollen. Im Sommer, und vor allem am Wochenende, gerne genutzt, aber im Herbst und Winter eher nicht so der Brüller.
Mir klingeln da die Ohren, spiegelt das doch die Botschaft wieder, die ich im Artikel (e)Scooter: Chance oder einfach nur Bullshit? zumindest angerissen habe. Auch die 'eScooter sind umweltfreundlich'-Versprechen wurden inzwischen widerlegt (siehe auch meine Links am Artikelende auf weitere Beiträge hier im Blog).
Das Handelsblatt geht in seinem Artikel davon aus, dass die Kosten der Anbieter, um die wachsende Flotte an Fahrzeugen in deutschen Städten zu unterhalten, explodiert. Da wird einigen schnell die Luft ausgehen, wenn die Leihfrequenz ab Oktober in den Keller geht. Es dürfte Konsolidierungen in der Branche geben. Bleibt nur zu hoffen, dass die Kommunen nicht auf einem Berg von Elektroschrott in Form von eScootern sitzen bleiben. Na ja, nächstes Frühjahr wissen wir vielleicht mehr. Und wenn das Thema stirbt, friere ich den Blog hier einfach ein oder blogge in geringerer Frequenz. Mache ich beim Japan-Blog (die Reiseerinnerungen sind thematisch abgeschlossen) oder dem Bücher– und Reise-Blog auch so. Ein spannendes Thema ist die eScooter-Geschichte aber so oder so schon.
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