Es war eine Meldung aus der Forschung, die mir bereits im Februar unter die Augen gekommen ist. Primatenforscher haben bei Schimpansen beobachtet, dass diese zerriebene bzw. zerkaute Insekten auf offene Wunden von Artgenossen auftragen. Das zeigt, dass die Tiere möglicherweise ein "prosoziales", menschenähnliches Einfühlungsvermögen besitzen. Es wirft aber auch die Frage auf, ob die Schimpansen sich mit Heilmitteln auskennen.
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Im Loango Nationalpark in Gabun ist das Ozouga-Schimpansenprojekt (unter der Leitung des Primatologen Dr. Tobias Deschner und der Kognitionsbiologin Prof. Dr. Simone Pika von der Universität Osnabrück) angesiedelt. Das Forschungsteam untersucht das Verhalten einer Gemeinschaft von rund 45 Schimpansen mit besonderem Augenmerk auf ihren sozialen Beziehungen, Interaktionen und Streitigkeiten mit anderen Gruppen, ihrem Jagdverhalten, ihrem Werkzeuggebrauch sowie ihren kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten. Dabei wurden Schimpansen in freier Wildbahn erstmalig dabei beobachtet, wie sie fliegende Insekten fangen und in ihre eigenen und die Wunden von anderen Gruppenmitgliedern auftragen. Möglicherweise beinhalten die Insekten entzündungshemmende oder antiseptische Substanzen.
Über einen Zeitraum von 15 Monaten dokumentierten das Ozouga-Team dabei 76 Ereignisse mit offenen Wunden, von denen 22 Wunden mit Insekten „behandelt" wurden. Alessandra Mascaro, Mitarbeiterin bei der Ozouga-Station, beschreibt das von ihr beobachtete Verhalten: "Die Schimpansen fingen sich ein fliegendes Insekt aus der Luft oder von Blättern, und zerdrückten es mit ihren Lippen. Das flachgedrückte Insekt platzierten sie mit den Fingern oder dem Mund auf der offenen Wunde und bewegten es dort mit den Fingerspitzen hin und her. Mit dem Mund oder den Fingern lösten die Schimpansen das Insekt dann wieder aus der Wunde und wiederholten den Vorgang des zwischen die Lippen Pressens und auf die Wunde Applizierens mehrmals."
Bislang war bekannt, dass viele Tiere, genau wie der Mensch, Pflanzenteile oder andere Substanzen nutzen, um sich gegen Krankheitserreger zu schützen. "Unsere nächsten lebenden Verwandten, die Schimpansen und Bonobos, verzehren zum Beispiel bestimmte Blätter, um sich gegen Darmparasiten zu wehren. Die Verwendung von Insekten – mit nachgewiesenen schmerzlindernden und entzündungshemmenden Eigenschaften – war nur vom Menschen bekannt und ist noch nicht bei Schimpansen oder anderen Tieren beobachtet worden", so die Verhaltensbiologin Prof. Dr. Simone Pika.
Neben dem Gebrauch von Insekten für offene Wunden hatte das Forschungsteam aber vor allem erstaunt, dass die Schimpansen nicht nur ihre eigenen, sondern auch die Wunden von anderen Gruppenmitgliedern mithilfe der zerdrückten Insekten behandelten. „Solche prosozialen Verhaltensweisen, d.h. Verhaltensweisen zum Wohle anderer, sind bis jetzt nur sehr selten in nicht-menschlichen Tieren beobachtet worden", erklärt Pika.
Für den Direktor der Ozouga-Station in Gabun, den Primatologen Dr. Tobias Deschner, ist das ein Grund, die Forschung künftig zu intensivieren: "Es ist faszinierend, dass uns Schimpansen trotz jahrzehntelanger Forschung immer wieder mit neuen Verhaltensweisen und Fähigkeiten überraschen. Unsere Studie zeigt eindrücklich, dass es noch so vieles über unsere nächsten Verwandten zu entdecken gibt, und dass wir uns viel intensiver für ihren Schutz und den Schutz ihrer Lebensräume einsetzen müssen."
Die Beobachtungen hat ein Forscherteam aus Osnabrück und Leipzig im gemeinsamen „Ozouga"-Schimpansenprojekt im Loango Nationalpark in Gabun gemacht und nun in der Fachzeitschrift Current Biology veröffentlicht.
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Zur Publikation: doi.org/10.1016/j.cub.2021.12.045
Zur Projekthomepage: www.ozouga.org
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