Spannende Sache: Krankheitserreger wie Viren, Bakterien und Pilze haben massiv die Geschichte der Menschheit beeinflusst. Das ist die Theorie von Jonathan Kennedy, der meint, neue Krankheitserreger haben das Aussterben der Neandertaler bewirkt. Oder das römische Reich ging durch Patogene (krank machende Keime) zu Grunde.
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Die Pest entvölkert Europa
Die Pest ist eine schwere, hochansteckende Infektionskrankheit, die von dem Bakterium Yersinia pestis ausgelöst wird. Wir wissen, dass die Pest-Epidemien die Geschichte Europas stark beeinfluss hat – der in Europa im 14. Jahrhundert wütenden Pest-Epidemie fielen große Teile der Bevölkerung zum Opfer (es werden 50 Millionen Tote geschätzt, London verlor 50 der Bevölkerung). Das hat gesellschaftliche Einflüsse gehabt.
Die Epidemie im Mittelalter hat ihren Ursprung im Herbst 1347, als Genuesen, die ihre Festung auf der Halbinsel Krim aufgeben mussten, im Hafen von Messina anlegten. Die Passagiere waren mit der Pest infiziert, die sie von der Krim mitbrachten.
In diesem Artikel erfährt man, dass die Mongolen die Pest als Biowaffe einsetzten. Sie katapultierten bei der Belagerung der Stadt Caffa auf der Krim-Halbinsel Tote über die Stadtmauern. Von der Hafenstadt Caffa aus hat sich die Pest dann in ganz Europa ausgebreitet. Bereits 1349 griff die Pest aus mehreren Richtungen auf den deutschen Raum über. Ich hatte einiges zur Pest im Blog-Beitrag Identifiziert: Wo die Pest ihren Ursprung nahm zusammen getragen.
Krankheiten Europas entvölkern Amerika
Bekannt ist auch, dass die Spanier und andere Europäer nach der Entdeckung Amerikas und durch Übersiedlung auf den neuen Kontinent Krankheiten wie Pocken etc. in die neue Welt mitbrachten. In Folge wurden ganze indianische Bevölkerungen durch diese Epidemien dezimiert. Die Reiche der Inkas, heißt es, wurden durch aus Europa eingeschleppte Krankheitserreger vernichtet.
Vor einiger Zeit habe ich das Buch Amerika vor Kolumbus von Charles C. Mann gelesen. Mann beschreibt die Geschichte des vorkolumbischen Amerikas, in dem indianische Kulturen oftmals weiter entwickelt waren als die europäische. Ihre Boote waren schneller und wendiger als die der Europäer, ihre Städte größer als das damalige Paris. Die Ankunft von Kolumbus und der folgenden Europäer in Amerika veränderte den Kontinent fundamental.
Zwei Zivilisationen trafen aufeinander, deren Historie und Kultur unterschiedlicher nicht hätten sein können, und für die Ureinwohner war die Begegnung folgenschwer: Die Masern-, Pocken- und die Grippeviren, welche die Europäer einschleppten, rafften einen Großteil von ihnen dahin, Kriege entmachteten sie. Das Buch zeichnet die Geschichte Nord- und Südamerikas an Hand neuer Forschungserkenntnisse nach und gewährt überraschende Einblicke in die Lebensweise der Ureinwohner. Das Buch zeigt, wie noch heute Mais-, Kürbis- und Kartoffelanbauflächen weite Teile Amerikas prägen.
Ein Pilz macht Kennedy zum Präsidenten
John F. Kennedy war der 35. Präsident der Vereinigten Staaten, wurde aber 1963 ermordet. Ohne den Pilz namens Phytophtora infestans, auch unter dem Namen Kartoffelfäule bekannt, wäre John F. Kennedy wohl nicht US-Präsident geworden und demnach wohl auch nicht ermordet worden. Es ist zwar ein Ereignis, welches lange vor der Geburt Kennedys passierte und die Geschichte braucht schon einige Brücken, hat aber eine gewisse Logik.
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Zwischen 1845 und 1849 gab es in Irland durch die damals neuartige Kartoffelfäule, ausgelöst durch den oben genannten Pilz, gravierende Missernten. Kartoffeln waren das damalige Hauptnahrungsmittel der Bevölkerung Irlands, und die Kartoffel wurde durch den Pilz vernichtet. Infolge der Hungersnot starben eine Million Menschen, etwa zwölf Prozent der irischen Bevölkerung. Weitere zwei Millionen wanderten nach Amerika aus. Von dem massiven Bevölkerungsverlust hat sich Irland bis in die Gegenwart nicht erholt, schreibt die Wikipedia.
Die Vorfahren Kennedys wanderten ebenfalls aus Irland nach Amerika aus – und man geht davon aus, dass eingewanderte Iren dem späteren US-Präsidenten Kennedy die Mehrheit bei den Präsidentschaftswahlen sicherten. Diese Geschichte ist auf Spektrum in diesem Artikel nachzulesen.
Aussterben der Neandertaler, Niedergang Roms
Die Theorie, dass Bakterien und Viren die Geschichte der Menschheit beeinflussten, vertritt auch der Soziologe Jonathan Kennedy in seinem Buch
So legten die Neandertaler vor rund 400 000 Jahren in Europa, starben aber vor ca. 39.000 Jahren aus. Vor ca. 45 000 Jahren wanderte der moderne Mensch in Europa ein, und laut Jonathan Kennedy brachte er Krankheitskeime mit, die zum Aussterben der Neandertaler beitrugen (diese hatten keine Abwehrkräfte dagegen).
Jonathan Kennedy hat das Römische Reich sich von zwei verheerenden Pandemien (165 nach Christus und dann 100 Jahre später) nicht mehr erholt. Welche Erreger jeweils grassierten (vermutlich zuerst Pocken aus Asien und dann ein hämorrhagisches Fieber aus Afrika), lässt sich heute nicht mit Sicherheit sagen.
Die Neue Züricher Zeitung (NZZ) hat Anfang August 2023 im Artikel Vom Aussterben der Neandertaler bis zum Untergang des Römischen Reichs: Bakterien und Viren bestimmen den Lauf der Geschichte eine Rezension dieses Buches von Jonathan Kennedy veröffentlicht. Ich fand den Artikel ganz kurzweilig und spannend, wenn auch Forscher manchen Thesen von Kennedy widersprechen (und das Aussterben der Neandertaler von weiteren Faktoren abhängig machen).
Bei der NZZ ist ohne Registrierung nur ein Artikel pro Tag lesbar. Der englischsprachige The Guardian hat dieses Review zum Buch vorgelegt, in dem die Schlüsse ebenfalls nachzulesen sind. Englischsprachige Videos mit Kennedy finden sich hier und hier.
Es gibt ein zweites Buch Germs, Genes and Civilization von David P. Clark aus dem Jahr 2009, welches ebenfalls nachzeichnet, wie Krankheitserreger und Gene die Entwicklung von Zivilisationen beeinflusst hat. Der Tagesspiegel zeichnet in diesem Artikel einige dieser Episoden nach.
Übrigens: Es gibt eine Reihe Untergangsszenarien der Menschheit, die in der Wikipedia beschrieben sind. Dazu gehören neben Atomkriegen, Einschlägen von Himmelskörpern auch Pandemien, die die Menschheit ausrotten. Die Geschichte der Zoonosen, also Krankheitserreger, die vom Tier auf den Menschen übersprangen, wird in diesem National Geographics-Artikel nachgezeichnet. Die Coronavirus-Pandemie war dagegen ein Zuckerschlecken.
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