Desaster Atomkraftwerke: Frankreich vor dem Blackout, horrend Kosten für den Rückbau

Zur Diskussion, ob deutsche Atomkraftwerke länger laufen sollen, hatte ich ja bereits einige Blog-Beiträge veröffentlicht. In kompakt: Es macht wenig Sinn und wird wohl teuer. Die letzten Tage sind mir zwei Artikel in die Hände gefallen, die nochmals ein Schlaglicht auf das Thema Atomstrom werfen. Frankreich stellt ja nicht die AKW-Frage, sondern reitet sich mit maroden Meilern und weiteren Neubauten immer weiter in die Misere. Und es gibt einen Artikel, der einen Blick auf die Rückbaukosten stillgelegter deutscher Atommeiler wirft.


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Für Entscheidungen für oder gegen Atomkraftwerke ist es immer gut, weniger auf Bauchgefühl oder Politikergeschwätz zu hören, sondern auf nackte Zahlen. Ich hatte ja bereits im Beitrag IFO-Institut Berechnung: AKW-Laufzeitverlängerung reduziert Strompreis 2023 nur um 4% auf den wirtschaftlichen Aspekt der Atomkraft hingewiesen. Selbst wenn die verbliebenen drei Atomkraftwerke für einige Jahre in Betrieb blieben, würde dies den deutschen Strompreis im Jahr 2022 um 4 Prozent senken. Die Atomkraftwerke würden rund 4 Prozent des Stroms in Deutschland erzeugen. Beim Gas reduziert sich der Verbrauch nur von 8,3% auf 7,6% .

Wirtschaftlich sinnvoll ist das nicht – denn es müssen Kosten, Aufwand und Sicherheitsfragen gegenüber gestellt werden. Und da wird es wohl teuer. Aber man sollte den Blick über den Tellerrand wagen – denn von politischer Seite wird ja sogar der Neubau von Atomkraftwerken ins Spiel gebracht – vor allem der CSU (O-Ton Scheuer: 3 + 3 + 3).

Scheuers Quatsch-Forderung zur AKW-Verlängerung

Im Beitrag IFO-Institut Berechnung: AKW-Laufzeitverlängerung reduziert Strompreis 2023 nur um 4% hatte ich bereits auf das Desaster beim Neubau von EPR-Reaktoren der neuestens Generation des französischen Herstellers EDF hingewiesen. Den Bauvorhaben laufen die Zeit und die Kosten weg – in China steht ein EPR-Reaktor seit einem Jahr wegen technischer Probleme still – und das trotz "neuester Generation an Reaktortechnik".

Frankreich im Schlamassel

Frankreich wird ja gerne als "Schlaraffenland für Atomkraftwerke" gepriesen – die Franzosen hinterfrage die Technologie nicht, sondern bauen fleißig neu. Nur gelegentlich vernimmt man, dass die französischen Atomreaktoren wegen Kühlwassermangel oder technischen Problemen stehen. Das Frankreich sich immer tiefer ins eigene Schlamassel reitet, ist im Bewusstsein der Öffentlichkeit noch nicht angekommen.

Zeit Online hat einen Artikel über Atomkraft in Frankreich veröffentlicht (leider hinter einer Paywall), der in Volltextform auf der Seite MSN abrufbar ist. Der Tenor: Der französische Atomkonzern EDF hat früher für einen großzügigen Stromverbrauch – auch zum Heizen – geworben. Hier ein Werbefilm dazu aus dem Jahr 2001. Die Franzosen haben daher Wandheizungen, als "Wandtoaster" bezeichnet, in ihren Häusern und Wohnungen eingebaut. Frankreich gehört heute zu den Ländern in Europa mit dem höchsten Energieverbrauch. Rund 50 Prozent der Gebäude werden mit Radiatoren an den Wänden beheizt.

Was deutschen Politikern das "Russengas" war, steht in Frankreich für Atomstrom – billig und wir sind unabhängig. Hier (beim Russengas) und dort (beim Atomstrom) geht der Schuss jetzt nach hinten los. Die Regierung in Paris steht nun vor der Aufgabe, den Bürgern zu erklären, dass sie diesen Winter Strom sparen müssen, weil ein Blackout droht. Denn ein Teil der Reaktoren steht wegen bisher ungeklärter Korrosionsprobleme still.


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Wird der Winter 2022/2023 besonders kalt, droht in Deutschland Gasmangel und in Frankreich ein Blackout beim Strom. Bisher hat Frankreich Strom (u.a. Wind- und Solarstrom) aus Deutschland importiert. Wenn dieser aber ausbleibt, weil Deutschland keinen Strom für den Export mehr hat, wird es schwierig. Der französische Stromnetzbetreiber RTE könnte dann gezwungen sein, einigen Haushalten den Strom vorübergehend abzustellen. "Das Stromnetz steht unter einem nie dagewesenen Druck", gab RTE kürzlich bekannt und fordert zum Energie sparen auf. Der Beitrag ist sehr lesenswert, wenn man sich vom "Fetisch Atomstrom" mal freimacht – und dabei geht es nicht einmal um das Thema Sicherheit bei AKWs.

Teurer AKW-Rückbau und ungeklärte Endlagerung

Wer Atomkraftwerke baut und betreibt, muss sich auch mit der Frage beschäftigen, was mit den radioaktiven Abfällen, die ja über Jahrtausende gelagert werden müssen, passiert. Das Thema Endlager für Atomabfälle ist für Deutschland nach wie vor ungeklärt – und in bisherigen Lagerstellen fallen künftig horrende Kosten für die Bergung der Atommüllfässer an (Stichwort Salzbergwerk Asse, wo Atomabfälle verbracht wurden).

AKW-Rückbau

Aber auch der Rückbau eines zum Betriebsende stillgelegten Atomkraftwerks ist ein "Groschengrab", wie man inzwischen an einzelnen Projekten festgestellt hat. Die Kollegen von heise haben dies in diesem Artikel (siehe obiger Tweet) am Beispiel von AKWs beleuchtet.  Von 36 Reaktorblöcken für kommerzielle AKWs sind erst drei komplette zurück gebaut. Bei 27 Atomkraftwerken laufe der Rückbau, heißt es. Das AKW in Lubmin (stammt aus DDR-Beständen) wird seit 1995 zurückgebaut. Fertig will man in "der zweiten Hälfte der 2030er Jahre" sein – aktuell sind 850 Menschen dort mit dem Rückbau beschäftig. Die durch den Steuerzahler zu tragenden Kosten wurden 2014 auf 4,2 Milliarden Euro geschätzt (siehe) – inzwischen ist man eher bei 6,6 Milliarden Euro.

Für westdeutsche Reaktoren sollen die Betreiber Rückstellungen für den Rückbau gebildet haben – dort wird pro Reaktorblock mit einer Milliarde für den Abriss kalkuliert. Spannende Frage: Reichen diese Rückstellungen? Die Atomkonzerne Eon, RWE, EnBW und Vattenfall hatten 2017 insgesamt rund 24 Milliarden Euro an einen Staatsfonds übertragen, um aus der Haftung für den Rückbau raus zu kommen. Anlageexperten sollten das Geld langfristig deutlich vermehren, um die Kosten für Zwischen- und Endlagerung zu finanzieren.

Nach Einschätzung von Kerntechnik Deutschland (ein Lobby-Verband der Atom-Industrie) reichen die Mittel voraussichtlich aus. Kritiker hatten in der Vergangenheit Zweifel daran geäußert, schreibt heise – ich hege auch weiterhin meine Zweifel. Im Bergbau gibt es die Ewigkeitslasten – beim Atomabfall wird das genau so sein. Das Atomabenteurer wird den deutschen Steuerzahler weitere Milliarden kosten – und im Zweifelsfall zahlen wir über die EU auch noch für das französische Atomkraftswerksschlamassel mit. Das ist leider die bittere Wahrheit, die nicht wirklich in den Sonntagsreden der Atomstrom-Befürworter oder in der Presse auftaucht.

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