Arbeitsunfall: Tödlicher Leichtsinn

Traurige Geschichte, die mir gerade unter die Augen gekommen ist. Ein Video von einem tödlichen Arbeitsunfall, bei der ein Arbeiter beim Einsturz eines Sportstadions ums Leben kam. Der Grund: Tödlicher Leichtsinn russischer Arbeiter, die einfach mal so Stützträger mit einem Schweißbrenner abbrennen. Ergänzung: Einige Informationen hinzugefügt.


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Das (mit einer Drohne aufgenommene) Video ist in nachfolgendem Tweet eingebettet. Zuerst konnte ich wenig mit dem Text 'Arbeiter stirbt bei Einsturz des Dachs eines russischen Sportstadions' anfangen, und sah nur den Einsturz eines Bauwerks. Dann habe ich mir das Video mehrfach angesehen und das Ganze begriffen. Dachte, ich bereite es mal als Sicherheitsthema hier im Blog auf – auch wenn die Leserschaft eher seltener in diesem Arbeitsumfeld unterwegs ist.

In der Großdarstellung ist die Stadion-Konstruktion gut zu erkennen. Ein äußerer Rundbogen steht auf Stahlstützen und bildet einen Kreis. An diesem Kreis sind dann wohl das Stadiondach mit Stützstreben aufgehängt. Eine sehr filigrane Konstruktion, die ein Architekt mal geplant und ein Statiker berechnet hat. Man sieht auch Bigpacks auf dem Dach des Stadions stehen – ich gehe davon aus, dass das Dach, und möglicherweise das Stadion, abgerissen werden sollte.

Ergänzung: Inzwischen bin ich etwas schlauer. Der Einsturz ereignete sich am 31. Januar 2020, es handelte sich um einen Sport- und Konzertkomplex in Sankt Petersburg. Das Peterburgsky-Stadion wurde 1980 zu den Olympischen Spiele in Moskau gebaut. Es sollte für die IIHF-Weltmeisterschaft 2023 in eine Eishockeyarena umgewandelt werden, wie Spiegel Online hier (Foto 7 von 35) meldet. Foxnews hat einen englischen Artikel mit gleichen Informationen. Der Arbeiter war 29 Jahre alt und wurde später tot aus den Trümmern geborgen.

Der Sachverhalt

Die russischen Arbeiter haben damit angefangen, die Stützträger, die die Spannbeton-Konstruktion mit der Dachkonstruktion der Arena verbinden, mittels Schweißbrenner abzutrennen. Einige Streben sind wohl schon durchtrennt und ein Korb hängt an einem Kran über der Dachkonstruktion des äußeren Rings. Man erkennt in der Großaufnahme auch die Absperrgitter auf dem Dach, die verhindern sollen, dass Menschen an der Innenkante des äußeren Rings in die Aussparungen der Dachkonstruktionsaufhängung stürzen können.

Ein Arbeiter liegt bäuchlings auf dem Dach und durchtrennt mit dem Schweißbrenner den Stahlanteil an einer weiteren Strebe der Spannbeton-Aufhängung der Stadion-Dachkonstruktion. Wer genau hinschaut, sieht, dass bereits eine Reihe dieser Streben durchtrennt sind – es ist also eine Frage der Zeit, bis die Konstruktion versagen und kollabieren wird.

Mit dem Durchtrennen dieser 'kritischen' Strebe wird offenbar die Statik des Rundbauwerks so verändert, dass diese den Belastungen nicht mehr stand hält. Die gesamte Konstruktion des Stadions kollabiert. Zuerst versagt der Spannbeton des Dachs, da diese Teile nicht mehr aufgehängt sind und unter Spannung stehen. Die Stützstreben hatten die Aufgabe, die Kräfte des Dachs in den äußeren Ring abzuleiten und so zu neutralisieren. Dann bewirkt die einstürzende Dachkonstruktion auch den Einsturz der Außenwand des äußeren Rings. Die noch intakten Stützen des Dachs ziehen diese nach innen und lassen alles kollabieren. Ein Szenario, welches auch ohne große Finite-Elemente-Berechnung vorhersagbar war.

Der Arbeiter springt zwar noch auf und rennt zum Rand des Daches dieses äußeren Rings, wird aber von den einstürzenden Trümmern mit in die Tiefe gerissen und stirbt wohl. Man sieht noch den oben erwähnten, an einem Kran hängenden Korb, in dem sich eine Person befindet, die überlebt hat. Eine simple Sicherungsleine, am Korb festgemacht, hätte den Sturz des zweiten Arbeiters verhindert und auch den Schweißer überleben lassen. Obwohl so ein Vorhaben unzulässig ist und nie so durchgeführt werden darf – da erfolgt ein Abriss aus Sicherheitsgründen möglicherweise durch eine von Spezialisten ausgeführte Sprengung.

Vorschriften und Aufsicht haben ihren Sinn


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Ein Unfall, der in Deutschland wohl nicht passiert wäre, da kein verantwortlicher Ingenieur so eine Arbeit genehmigt hätte. Und wenn eine Firma auf eigene Faust so etwas gemacht hätte, wäre mit Sicherheit die Staatsanwaltschaft nach dem Unfall auf den Plan gerufen worden, die die Verantwortlichen wegen fahrlässiger Tötung angeklagt hätte. In Russland wird offenbar ohne weitere Sicherungsmaßnahmen frei fliegend gearbeitet – mit tödlichen Folgen.

Es wird zwar eine Untersuchung der Staatsanwaltschaft geben, aber ob das Konsequenzen und zu einer besseren Sicherheitskultur führt? Ich glaube nicht. Wir fluchen zwar über Betriebsgenossenschaft (selbst ich, als Schriftsteller, bin Zwangsmitglied einer Berufsgenossenschaft, sobald ich geringfügig Beschäftigte einstelle), Tüv und Bauaufsicht. Aber es hat schon seine Berechtigung, die Zahl der tödlichen Arbeitsunfälle wäre ohne diese Regularien wesentlich höher.

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