IFO-Institut Berechnung: AKW-Laufzeitverlängerung reduziert Strompreis 2023 nur um 4%

Es ist eine interessante Berechnung, die das IFO-Institut gerade öffentlich gemacht hat. Die von CDU und FDP geforderte Laufzeitverlängerung der drei noch in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke soll ja angeblich den Strompreis senken. Das IFO-Institut wollte es genauer wissen und hat mal nachgerechnet. Eine Laufzeitverlängerung der drei deutschen Atomkraftwerke würde den deutschen Strompreis im kommenden Jahr um 4 Prozent senken. Die Atomkraftwerke würden rund 4 Prozent des Stroms in Deutschland erzeugen. Der Stromerzeugungsanteil von Erdgas würde allerdings nur von 8,3% auf 7,6% sinken. "Denn Atomkraft ersetzt Erdgas nicht 1:1, sondern kurzfristig vor allem auch Kohle", sagt ifo-Stromexperte Mathias Mier.


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Laufzeitverlängerung hilft beim Preis kaum

Die am gestrigen Mittwoch, den 14. September 2022, veröffentlichten Zahlen zeigen, dass eine Phantom-Diskussion geführt wird – zumindest was die Senkung des Strompreises betrifft. Selbst wenn die drei deutschen Atomkraftwerke mit neuen Brennstäben ausgestattet würden und 2023 und 2024 weiter Strom erzeugen würde, hilft das nicht wirklich relevant bei der Senkung der Stromkosten. Laut den Berechnungen des IFO-Instituts, die hier abrufbar sind, reduziert sich der Strompreis durch die Laufzeitverlängerung bestenfalls um folgende Größenordnungen:

  • 2023 würde dies eine Strompreissenkung von 4 % bewirken
  • 2024 würde der Strompreis nur noch um 1,4 % niedriger ausfallen

Das Problem ist schlicht, dass die Atomkraftwerke die Stromerzeugung durch Gaskraftwerke nicht 1:1 ersetzen können. Vielmehr würde der Gasverbrauch, der momentan den hohen Strompreis verursacht, nur von momentan 8,3 Prozent auf 7,6 Prozent sinken. Der Effekt ist also minimal. Für die Betreiber der Atomkraftwerke schätzt Mier, dass deren Gewinne im laufenden Jahr wegen der hohen Erdgaspreise unerwartet um 7,9 Milliarden Euro höher ausfallen werden. Auch andere Betreiber erwirtschafteten hohe unerwartete Gewinne.

In den durchgerechneten Szenarien wurde angenommen, dass die drei AKWs mit neuen Brennstäben ausgerüstet würden und dann bis 2030 laufen könnten.

Dazu schreibt das IFO-Institut: Gaskraftwerke gleichen vor allem Schwankungen der Nachfrage und der erneuerbaren Energien aus. Atomkraft sei dazu ungeeignet, und die Kostenstruktur verlange nach einem Dauerbetrieb der Meiler. Jetzt könnte man noch argumentieren, dass auch 4% und 2024 1,4% Strompreissenkung helfen würden. Hier bleibt die Frage aber, ob dies an anderer Stelle negative Folgen hat. ifo-Stromexperte Mathias Mier sieht in einer Laufzeitverlängerung das konkrete Problem, dass dies mittelfristig den Ausbau der erneuerbaren Energien behindere. Denn Investitionen in Fotovoltaik und Wind würden geringer ausfallen als ohne Laufzeitverlängerung. Also mal wieder die Aufschieberitis, mit der die CDU-geführte Bundesregierung Deutschland 16 Jahre lang beim Ausbau regenerativer Energien ausgebremst hat.

Quatschforderung der Politik

Also eine ziemliche Klatsche für die forsch vorgetragenen Forderungen der CDU, und FDP vor allem der CSU (O-Ton Scheuer: 3 + 3 + 3, aber der Herr hat uns ja auch das Maut-Debakel hinterlassen).

Scheuers Quatsch-Forderung zur AKW-Verlängerung

Schwierig ist, wenn ein Ex-Minister keine ausländischen Zeitungen lesen kann. Der britische Telegraph hat die Problem von Druckwasser-Reaktoren (EPR des französischen Konzerns EDF gehören zur "modernen" dritten Generation) im Juli 2022 in diesem Artikel zusammen getragen. Hintergrund war, dass die EDF einen solchen Reaktor in Großbritannien bauen soll. Die EDF und ihre EPR-Reaktorkonzepte stehen, wegen massiver Probleme, zunehmend auf dem Prüfstand, zumal sich die Regierungen bemühen, neue saubere Energiequellen zu finden und ihre Abhängigkeit von russischem Gas trotzdem zu verringern.

  • In Frankreich kämpft EDF mit den in Betrieb befindlichen Reaktoren der 1. und 2. Generation, die wegen Schäden (Korrosion) oder fehlendem Kühlwasser außer Betrieb sind.
  • In China musste einer von zwei EPR-Meilern (neuerer Bauart), weniger als drei Jahre nach der Inbetriebnahme wegen Schäden an den Brennstäben abgeschaltet werden. Der Reaktor steht seit Juli 2021, vermutlich prüfen die chinesischen Aufsichtsbehörden die Pläne zur Wiederinbetriebnahme des Reaktors.
  • Ein zweiter EPR wurde im März 2022 in Olkiluoto, Finnland, mit mehr als 10 Jahren Verspätung in Betrieb genommen, während ein dritter EPR in Flamanville, Frankreich, sich ebenfalls stark verzögert.

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Für den britischen EPR will EDF die Konstruktion seines Vorzeige-Reaktors überarbeiten, um eine Wiederholung der Schäden an den Brennstäben – wie in China geschehen – zu vermeiden. Außerdem werden mögliche Änderungen am Kühlwasserkreislauf geprüft, um das Problem zu verringern. Sind nicht so gute Prognosen für einen Reaktor-Neubau – der zudem (optimistisch betrachtet) frühestens in 15-20 Jahren ans Netz gehen würde – wobei die Endlagerung weiterhin ungeklärt ist.

Auf die von einigen Protagonisten in die Debatte geworfenen Dual-Fluid-Reaktoren möchte ich an dieser Stelle erst gar nicht eingehen. Liest sich in Blaupausen wunderbar, es sollen die Nachhaltigkeits-, Sicherheits- und Wirtschaftlichkeitsziele der sogenannten IV. Generation-Reaktoren erreicht werden. Aber über eine Blaupause ist das Konzept bisher hinausgekommen. Und bei einem Forschungsreaktor (Molten Salt Breeder im Oak Ridge National Laboratory, der auch die Technik von Flüssigsalzen nutzt) stellte sich bei dessen Demontage, Ende der 60er Jahre, heraus, dass es massive Korrosionsprobleme gab, die keiner vorausgesehen hatte. In diesem Zusammenhang fand ich auch eine Dokumentation des wissenschaftlichen Diensts des Deutschen Bundestags zu Flüssig-Salz-Reaktoren aus dem Jahr 2020 (also vor Rot-Grün-Gelb als Regierung) ganz interessant: Ein solcher Reaktor stände, sofern realisierbar, nicht vor 2060 zur Verfügung zur Verfügung. In der aktuellen Debatte, 2023 und 2024 billigen Strom zu haben, nutzen diese Konzepte oder Neubauten von EPRs nichts.

Empfehlung des IFO-Instituts

Das IFO-Institut meint aber: Nicht alle Determinanten des künftigen Stromverbrauchs und insbesondere der Erdgasverfügbarkeit im Winter seien heute bereits bekannt. Deswegen könne es sinnvoll sein, sich die Option Atomstrom auch über eine krisenbedingte, kurzfristige Laufzeitverlängerung im kommenden Jahr hinaus offen zu halten. Das finde ich irgendwo nachvollziehbar und sinnvoll – ob und wie sich das bewerkstelligen ließe und was da an technischen Randbedingungen zu klären ist, entzieht sich aber meiner Kenntnis.

Die Diskussion um eine Änderung des Strommarktdesigns hält Mier dagegen für "nicht zielführend, weil der Strommarkt ja funktioniert. Was nicht funktioniert, ist der Erdgasmarkt. Da wurde politisch schlecht diversifiziert". Auch hier wohl eine Klatsche für die 16 Jahre lang geführte CDU-Regierung, die Deutschland in eine fatale Abhängigkeit von russischem Erdgas geführt und den Ausbau regenerativer Energien massiv ausgebremst hat.

Ich selbst gehöre keiner Partei an, und war eher CDU-Wähler – stelle aber fest, dass deren Protagonisten immer noch nichts gelernt haben und eher nicht Teil der Lösung, sondern eher Teil des Problems sind. Schlicht auf einige betriebswirtschaftliche Zahlen schauen (habe ich als junger Ingenieur bereit 1984 in diesem Bereich tun müssen), ist für Politiker eher zu komplex, die versuchen sich eher an taktischen Spielchen – wofür ich kein Verständnis habe.

Frau Bundeskanzlerin a.D., Dr. Angela Merkel, rechne ich es aber hoch an, dass sie 2011 den Ausstieg aus der Atomkraft durchgesetzt hat (auch wenn die CDU-Regierung den bereits schon mal beschlossenen Ausstieg vorher rückgängig gemacht hatte).

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