Wie läuft es sich nach einem Jahr im All?

In der Schwerelosigkeit des Weltraums bauen sich bei den Menschen die Muskeln ab und sie haben Probleme, zu gehen. Wie sich das nach einem Jahr im All auswirkt, habe ich in einem Video gesehen. Die Erkenntnisse lassen sich ggf. auch auf irdische Patienten anwenden.


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Astronauten halten sich ja inzwischen über viele Monate auf der Internationalen Raumstation (ISS) auf. Dort bekommen sie zwar ein heftiges Fitness-Programm verpasst, um dem Muskelabbau entgegen zu wirken. Aber direkt nach der Landung werden die Kosmonauten und Astronauten aus ihrer Landekapsel gehoben und in Sessel gesetzt.

ISS
(Internationale Raumstation ISS, Quelle: NASA, gemeinfrei)

Ich hatte etwas ähnliches bereits im Blog-Beitrag Raumfahrt: Gehversuche nach 340 Tagen im All berichtet und ein Video gezeigt, wie die Astronauten aus der Landekapsel geborgen werden. Der US-Astronaut Scott Kelly war fast ein Jahr auf der ISS – und da er einen Zwillingsbruder hat, der auch Astronaut ist, konnten Wissenschaftler die Veränderungen studieren, die ein Langzeitaufenthalt im All hat. So verschlechterte sich das Sehvermögen des Astronauten.

Das in obigem Tweet eingebettete Video zeigt Scott Kelly Stunden nach seiner Landung, wie er erste Gehversuche in einer Art Zelt in der irdischen Schwerkraft macht. Sieht aus, wie nach einer schweren Krankheit, bei der Menschen über Monate im Bett lagen und wieder mit Gehversuchen beginnen. Nicht so sonderlich gute Aussichten für die künftigen Flüge zum Mars – wenn dort auch eine viel geringere Schwerkraft herrscht.

Erkenntnisse für die Erde

Das Ganze scheint, wenn man das Video so anschaut, sehr weit von der Lebenswirklichkeit der Menschen weg. Aber auch auf der Erde helfen die Erkenntnisse von Langzeit-Raumflügen ggf. bei der Therapie von Patienten mit Schlaganfällen und/oder Querschnitts-Symptomatiken. Vieles was Therapeuten mit ihren Patienten in der Reha anstellen wird auch bei Astronauten als Übungen absolviert. Und umgekehrt profitiert die Medizin von den Erkenntnissen der Raumfahrtmediziner.

Ich selbst kann übrigens die Schwierigkeiten von Scott Kelly beim Gehen und vor allem beim Drehen auch ohne Weltraumaufenthalt gut nachvollziehen. Nach einer schweren Rückenmarksverletzung mit ausgefallenen Nervenfasern und partieller Querschnitts-Symptomatik musste mein Nervensystem vieles wieder neu erlernen. Ich konnte nach meiner Reha hunderte Meter weit problemlos laufen und saß dann beim Arzt auf einem Stuhl. Um das Sprechzimmer zu verlassen, musste ich aufstehen (ging problemlos), mich um 180 Grad drehen (ging problemlos) und dann drei Meter zu Tür laufen. Die drei Meter fühlten sich wie im Vollrausch an, die ich schwankend zurück gelegt habe. Nach einigen Metern gerade aus laufen, ging es wieder. Genau das, was Kelly im Video passiert, wenn er sich am Ende der Strecke umdreht. Das Gehirn sendete zwar Impulse über das Rückenmark an die sogenannten Motoneurone für die Beine, aber die kamen im Nervensystem falsch an.


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Es gab auch zwei Phasen von einigen Wochen, wo mein Körpergefühl die Körpermitte ca. 10 cm verschoben wahr nahm. Führte dazu, dass ich dann beim Gehen durch Türen oft mit der Schulter gegen den Türrahmen geknallt oder mit dem Zeh am Zargen angestoßen bin. Beim Nordic Walking signalisierte das Gehirn 'gerade aus laufen', aber die Beine verursachten einen Drift nach rechts – ich musste dann jeweils kurz stehen bleiben, bis das Nervensystem sich sortiert hatte.

Ganz zu Beginn gab mir ein Therapeut den Tipp, wenn es mit dem Laufen und der Kontrolle der Beine nicht so richtig klappt, einfach mal 10 bis 15 Meter rückwärts zu laufen und mich dann umzudrehen. War einfach Wahnsinn, nach 10 Metern rückwärts laufen hatte ich dann beim Vorwärtsgehen die nächsten paar Hundert Meter die volle Kontrolle über meine Beine.

Der menschliche Körper ist eine tolle Konstruktion – Kelly Scott hat meines Wissens die (teilweise gravierenden) Folgen seines Langzeitaufenthalts im Weltraum überwunden – auch wenn er noch Monate an diversen Störungen (z.B. Schmerzen beim Gehen in den Fußsohlen) litt. Und ich habe mein Nervensystem auch (bis auf Muskel- und Nervenschmerzen wegen rückgebildeter Muskulatur) weitgehend im Griff. In meiner Reha-Zeit habe ich Patienten mit schweren Schlaganfällen kennen gelernt, die über Wochen den Weg aus dem Rollstuhl an den Rollator und später an einen Gehstock gelernt haben. Auch hier gelang es dem Gehirn, die Schädigungen (zumindest teilweise) zu kompensieren.

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