Es ist eine Sensation, die vor ca. einem Monat öffentlich wurde: Archäologen haben in den Niederlanden ein 4.500 Jahre altes Heiligtum entdeckt, das die Sonnenwenden und Tagundnachtgleichen markiert und auch als Begräbnisstätte genutzt wurde. Sozusagen das "Stonehenge von Holland".
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Stonehenge im Süden Englands
Die Anlage von Stonehenge im Süden Englands ist weltbekannt, weil dort große Steine das Heiligtum über Tausende Jahre markierten. Die Anlage ist ein Megalith-Bauwerk der Jungsteinzeit, und wurde ab wenigstens 3000 v. Chr. in mehreren nach und nach aufeinander folgenden Versionen errichtet. Die Anlage wurde mindestens bis in die Bronzezeit weiter genutzt und danach aufgegeben.
Über den Anlass und letztlichen Zweck dieses höchst aufwendig konzipierten Monuments existieren verschiedene, einander teils ergänzende, teils auch sich widersprechende Hypothesen. Sie reichen unter anderem, von der Annahme einer Stätte für Begräbnisse und andere religiöse Kult, zu der eines astronomischen Observatoriums mit Kalenderfunktionen (u. a. für die Saatzeiten). Bekannt ist, dass durch den Steinkreis der Zeitpunkt der Sommer- und Wintersonnenwende bestimmt werden kann.
'Stonehenge' in Holland …
Aber auch auf dem europäischen Kontinent muss es ähnliche Heiligtümer in der Jungsteinzeit gegeben haben. Nur ist das Wissen darum verloren gegangen, weil dort u.a. Holz statt Steinen zum Einsatz kam.
Archäologen haben in den Niederlanden ein 4 500 Jahre altes Heiligtum ausgegraben, dessen Erdhügel sich an den Sonnenwenden und Tagundnachtgleichen nach der Sonne ausrichten. Und genau wie Stonehenge wurde das Heiligtum auch für Bestattungen und Rituale genutzt.
Stonehenge der Niederlande; Quelle: YouTube
Obiger Screenshot zeigt den Eingang zum Heiligtum, der durch Holzpfähle markiert wurde. Einfach auf das Bild klicken, um das Video auf Youtube anzusehen. Das Video ist zwar auf niederländisch, man bekommt aber den Inhalt ganz gut mit.
In dem Heiligtum wurden über einen Zeitraum von 800 Jahren Menschen begraben, heißt es in einer Erklärung der Gemeinde Tiel, wo die Überreste von Hügeln, Gräben, einem flachen Grabfeld und einem Bauernhof entdeckt wurden, wie in diesem Artikel (Englisch) berichtet wird.
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Der größte der drei Grabhügel beherbergt die Überreste von Männern, Frauen und vielen Kindern, die zwischen etwa 2500 v. Chr. und 1200 v. Chr. starben, so die Forscher. Die Ausgräber entdeckten auch antike Bestattungen in der Umgebung des Heiligtums, so dass die gesamte Stätte etwa 3,8 Hektar groß ist, größer als sieben amerikanische Fußballfelder. Mehr als 80 Individuen wurden an der Stätte ausgegraben; einige wurden begraben, andere wurden eingeäschert, so die Erklärung, die feststellte, dass "diese Verstorbenen eine wichtige Rolle in den Ritualen gespielt haben müssen".
Die Anlage wurde zwar nicht aus Steinblöcken, wie Stonehenge, errichtet. Aber der größte Grabhügel scheint als Kalender gedient zu haben. Die Anlage half den damaligen Menschen die Bewegungen der Sonne zu markieren, so dass die Sonnenwenden und Tagundnachtgleichen bestimmt werden konnten. Diese Zeitpunkte waren wichtig für religiöse Feste sowie für die Bestimmung der Saat- und Erntezeiten.
Man geht davon aus, dass in der Anlage oder dem angrenzenden Bauernhof religiöse Feste zu diesen besonderen Zeitpunkten gefeiert wurden. Denn es wurden bei der Ausgrabung wertvolle Artefakte, wie eine bronzene Speerspitze, gefunden. Die Speerspitze war dort vergraben, wo die Sonnenstrahlen durch eine Öffnung im Heiligtum auf den Boden treffen.
Die Forscher entdeckten die Ausgrabungsstätte Ende 2016 im Gewerbegebiet Medel der Gemeinde Tiel. In den Folgejahren wurde die Anlage ausgegraben. Während dieser Zeit stießen die Forscher auf mehr als 1 Million Funde aus der Steinzeit, der Bronzezeit, der Eisenzeit, dem Römischen Reich und dem Mittelalter, so das Team in der Erklärung. Es dauerte sechs Jahre, um die Funde zu analysieren und zusammenzusetzen, darunter Artefakte aus Keramik, Knochen, Lehm (Erde und Ton), Stein, Feuerstein und Holz.
Das Team entdeckte auch Gruben und die Überreste von Stangen und Eimern. Es scheint, dass diese Gruben Wasser enthielten, was darauf hindeutet, dass sie für Reinigungsrituale verwendet wurden, schreiben die Forscher.
"Selten haben Archäologen die Möglichkeit, so viel Gelände um Grabhügel herum auszugraben", schreiben die Forscher. "Jetzt ist klar, wie einzigartig dieser Fund und dieses Heiligtum sind."
Im ältesten Teil des Gräberfeldes fanden Archäologen bei der Ausgrabung eines Frauengrabes eine Glasperle aus Mesopotamien (dem heutigen Irak). Diese Perle, die älteste bekannte Glasperle in den Niederlanden, zeigt, dass die Menschen in der Region vor 4.000 Jahren Kontakt zu Kulturen hatten, die fast 5.000 Kilometer entfernt waren.
Obwohl die Stätte nicht für die Öffentlichkeit zugänglich ist (im oben verlinkten Artikel finden sich Fotos), haben Archäologen zwei Ausstellungen mit Artefakten aus dem Heiligtum eingerichtet. Im Flipje- und Regionalmuseum von Tiel ist bis Oktober 2023 eine Auswahl von Grabfunden aus der Bronzezeit zu sehen, und das Nationale Museum für Altertümer in Leiden zeigt Funde aus einem Gruppengrab, das sich etwa 200 Meter südlich der Grabhügel befindet.
Weitere Artikel gibt es bei CNN und Smithsonian (beide auf englisch) sowie auf Deutsch bei Spiegel Online.
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