Frühstücken, so ungesund wie rauchen?

GesundheitMomentan macht ja eine steile These die Runde durch Rundfunk und Medien – ich bin vorgestern über eine Sendung des HR und den Hinweisen meiner Frau auf das Thema aufmerksam geworden. Der britische Biochemiker Terence Kealey bezeichnet Frühstücken als "gefährlich". Dies wird seit Tagen in den Medien nun als "so ungesund wie rauchen" und teilweise als "Ergebnis einer Studie" transportiert. Aber was ist da dran?


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Es gibt da die Empfehlung vieler Ernährungsberater "Das Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages". Jeder von uns kennt die alte Weisheit "Frühstücke wie ein Kaiser, esse zu Mittag wie ein König, und halte ein Abendessen wie ein Bettler". Auch die Mahnung der Eltern an die Kinder, nicht ohne Frühstück und Pausenbrot zur Schule zu gehen, hat wohl (fast) jeder noch im Ohr.

Im deutschen Kulturkreis gibt es ein ausgewogenes Frühstück – auch aus Thailand und Japan kenne ich es, dass vor dem Weg zur Arbeit "gefrühstückt" wurde, wobei es dort auf eine "vollständige Mahlzeit mit Reis" hinauslief – dort kennt man traditionell kein Brot. In Italien und weiteren südlichen Ländern Europas gibt es dagegen kein wirkliches Frühstück. Mein Frust war bei früheren Dienstreisen nach Italien immer groß, wenn es hieß, "frühstücke nicht im Hotel, wir gehen vor der Arbeit frühstücken" – und dann gab es ein süßes Gebäck und einen Schluck Espresso. Der Tag war für mich gelaufen …

Märchen "wertvolles Frühstück"?

Aber was ist dran, am "ausgiebigen Frühstück", welches Ernährungsberater empfehlen? Bei Recherchen zum Blog-Beitrag bin ich auf diesen Artikel in der Welt gestoßen. Die These: "Ausgiebiges Frühstück, und Du wirst fitter, schlauer und schlanker" ist eine Mär, die von der Lebensmittelindustrie ins Leben gerufen wurde, und dieser Milliardenumsätze beschert.

Deutsche und amerikanischer Ernährungswissenschaftler haben die Werbeversprechen der Ernährungsindustrie überprüft und kamen zu einem vernichtenden Urteil: Es gibt keine wissenschaftliche Basis, dass ein gutes Frühstück leistungsfähiger macht. Und noch schlimmer, der Großteil der Studien scheint von der Ernährungsindustrie finanziert worden zu sein (siehe diesen Welt-Artikel).

Der natürliche Instinkt

Es ist der alte Kampf, die Mutter sagt "Kind, Du musst frühstücken, bevor Du zur Schule gehst". Das Kind hat keinen Hunger, wird aber zum Frühstücken gezwungen und würgt widerwillig ein paar Bissen herunter.

Im Welt-Artikel wird der Würzburger Ernährungswissenschaftler und Sportphysiologe Christoph Raschka zitiert: "Von den natürlichen Instinkten her haben die meisten Menschen morgens keinen Hunger". Dies hänge mit den genetischen Vorgaben des Menschen zusammen, denn Steinzeitmenschen hätten mangels Kühlschrank zwangsläufig erst zur Jagd oder zum Fischen gehen müssen, bevor es etwas zu essen ab.

Halte ich persönlich für etwas weit hergeholt – galt möglicherweise in der Altsteinzeit vor 200.000 bis 20.000 Jahren. Das war aber eine Periode, wo es Zeiten der Mangelernährung gab und wo die Lebensspanne eines Individuums deutlich unter der heutiger Menschen lag. Und: Auch unsere Ahnen kannten schon "Vorratshaltung" – da fand sich häufig eine Wurzel, etwas (getrocknetes) Fleisch von der letzten Jagd etc. in den Vorräten. Ich erinnere an meinen Artikel Unsere Vorfahren kochten vor 10.000 Jahren schon Gemüse, wo auch die Erkenntnis zu finden ist, dass bereits vor 20.000 Jahren gebackener Getreidebrei bekannt war.


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Ein Frühstück, speziell auf Basis der modernen Ernährungsprodukte mit gesüßtem Müsli oder Frühstücksflocken, dürfte allerdings nicht sonderlich förderlich sein. Da stimme ich den Ernährungswissenschaftlern zu, die feststellen, dass die "Blutzuckerwerte morgens zu hoch seien". Und es ist auch richtig, dass sich Fabrikarbeiter seit der industriellen Revolution mit einem Frühstück in "Gang bringen müssen". Es geht uns heute noch so, und in Zeiten von "Coffee to go" nimmt niemand ein Frühstücksbrot zur Arbeit mit.

Aber ein abwechslungsreiches, nicht zu umfangreiches Frühstück, mit Vollkornbrot, halte ich immer noch nicht für verkehrt. Es sei denn, man würgt dieses widerwillig herunter. Das ist bei mir aber i.d.R. nicht der Fall – und ohne Frühstück kommt irgendwann der Heißhunger am Vormittag. Die Lebensmittelindustrie kontert da mit Produkten "für den kleinen Hunger zwischendurch".

Was steckt hinter dem neuen Hype "Frühstücken ist gefährlich wie rauchen"?

Nun geht also die Nachricht durch die Medien, dass Frühstücken gefährlich wie rauchen sei. Immer, wenn irgend etwas in den Medien in Richtung richtige Ernährung hochkocht, steckt eine Veröffentlichung dahinter. Es könnte eine Studie sein, die neue Erkenntnisse offenbart. Oft ist es aber ein Buch, welches diese oder jene Person veröffentlicht hat. Und je steiler die These, umso mehr Aufmerksamkeit bekommt das.

Im konkreten Fall geht es um ein neues Buch. Der britische Biochemiker Terence Kealey hat ein Buch Breakfast is a Dangerous Meal (bei Amazon.de erhältlich) veröffentlicht, in dem er frühstücken als "gefährlich" bezeichnet. Kealeys These: Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages, wenn man diese entfallen lässt. Wird in den Medien nun als "so ungesund wie rauchen" transportiert. Auch Titel wie Periodic Fasting: Lose Weight, Feel Great, Live Longer (gelegentlich fasten verlängert das Leben) von Annchen Weidemann hauen in die gleiche Kerbe. Bei hr-online fasst man die Thesen von Terence Kealey folgendermaßen zusammen:

  • Das Frühstück könne vor allem bei Menschen über 45 mit Übergewicht und/oder Bluthochdruck eine Insulinresistenz fördern.
  • Nur gesunde und sportliche Menschen sollten frühstücken und dann zu gekochten Eiern, etwas Obst, Käse und Salat greifen.
  • Kohlenhydrate seien am frühen Morgen grundsätzlich zu vermeiden.
  • Erwachsene sollten grundsätzlich nur in einem täglichen Zeitfenster von 8 Stunden essen: zwischen 11 und 19 Uhr.
  • Kinder sollten dann frühstücken, wenn sie morgens hungrig sind. Eltern sollten ihnen aber kein Essen aufdrängen.

Zitiert wird, dass die obigen Erkenntnisse Kealeys auf Auswertung von Studien basierten. Aber man sollte den Hintergrund kennen: Terence Kealey hat vor Jahren die Diagnose Typ 2-Diabetes bekommen, verbunden mit dem Ratschlag, ausgiebig zu frühstücken und dann weniger zu essen. Er beobachtete dann, dass sein Blutzucker morgens, nach dem Frühstück stieg. Erst kurz vor dem Mittagessen sank der Blutzuckerspiegel auf Normalwerte ab. Der Schluss: Man verstärkt den Trend zur Insulinresistenz. Recherchen von ihm ergaben, dass es keine belastbaren Indizien gab, dass ein ausgiebiges Frühstück die Kalorienaufnahme über den Tag reduziert. Also ließ er das Frühstück weg und fühlte sich seit dieser Zeit wohler – die Schwankungen im Blutzuckerspiegel waren wohl weg. Seine These: Lasse das Frühstück weg und lebe gesünder – zusammengefasst.

Evidenz, Studienlage und sonstiges

Nun, im Rahmen der Aufmerksamkeits-Ökonomie hat Kealeys Buch Wellen geschlagen (siehe hr-online, Der Merkur, dradiowissen.de, BR etc.). Aber von einem Einzelfall auf die Gesamtheit zu schließen, ist schon mehr als eine steile These. Wenn Medien dann noch "eine Studie" aus dem Thema machen, geht das gewaltig an der Realität vorbei. Platt ausgedrückt: Terence Kealey ist ein kranker Mensch, der zufällig noch in akademischer Position etwas zum Fachgebiet beitragen kann.

Fairerweise muss ich auf die oben zitierten Aussagen verweisen, in denen er seine Empfehlungen auf bestimmte Menschen abstellt und auch vernünftige Ratschläge erteilt. Wer keinen Hunger hat, soll nicht frühstücken. Kann ich sicherstellen, dass ich bei Hunger später etwas essen kann, wäre der Verzicht aufs Frühstück um 6 oder 7 Uhr, wenn ich vielleicht zur Arbeit fahre, sinnvoll. Die Empfehlung Kealeys, bis um 11 Uhr zu fasten, ist in meinen Augen aber schon Unsinn. Warum soll ich fasten, wenn ich um 9 Uhr vielleicht Kohldampf schiebe?

Da ist es immer gut, auch mal zu schauen, was so vor der im Dezember 2016 erfolgten Buchveröffentlichung von Kealey so diskutiert wurde. Die Ärztezeitung kommt in diesem Artikel im Sommer 2016 zum Schluss, dass die Studienlage uneinheitlich ist. Zitat:

Selbst randomisierte kontrollierte und epidemiologische Studien zum Einfluss des Frühstücks auf die Gesundheit kommen zu unterschiedlichen, zum Teil widersprüchlichen Ergebnissen.

Die Ernährungswissenschaftlerin Nicole Erickson, TU München (Aktuel Ernährungsmed 2014; 39:355) hat festgestellt, dass viele Studien methodische Mängel aufweisen. Die Studien können daher so oder so interpretiert werden. So gibt es eine britische Studie, nach der regelmäßige Morgenmahlzeiten den mittleren Nüchterninsulinspiegel senken (Studie mit 4000 Neun- und Zehnjährigen, PLoS Med 2014; 11(9): e1001703). Und eine griechische Studie zeigt bei unregelmäßigen Frühstückern im Jugendalter sogar höheres Gewicht. Aber da könnte es auch mit Bewegungsmangel, schlechterem Bildungsgrad etc. zusammenhängen – die zitierten methodischen Mängel, die genau diese Einflüsse in der Studienauswertung nicht eliminiert haben.

Interessant ist auch dieser Artikel aus dem Medizinratgeber, der titelt "Verzicht auf Frühstück verleitet zu unkontrollierter Nahrungsaufnahme" und dabei eine Studie aus Boston heranzieht. Zitat:

dass der konsequente Verzicht auf ein Frühstück mit einem erhöhten Risiko für Herzkrankheiten z. B. einen Herzinfarkt assoziiert ist. Und nicht nur das Herz leidet unter der morgendlichen Enthaltsamkeit: Auch Bluthochdruck, ein erhöhter Cholesterinspiegel und Diabetes mellitus Typ 2 können die Folgen sein.

Also genau konträr zu den Thesen das eingangs zitierten Buches. So bleibt die alte Weisheit aus einem Werbespruch "Beton, es kommt darauf an, was man daraus macht" bestehen. Wer Hunger hat, sollte ausgewogen frühstücken. Wer keinen Bissen vor dem Vormittag herunter bekommt, verzichtet halt, bis sich der Hunger meldet. Dann aber bitte keine Süßigkeiten oder Kuchen, sondern ein mitgebrachtes Brot. Und ansonsten kommt es auf ausgewogene Ernährung, Bewegung und sonstige, gesunde Lebensumstände an. Ist jetzt ein langer Artikel geworden, der etwas konträr zu den kurzen Meldungen im Radio segelt. Abschließende Frage: Wie sehen Sie das? Beziehungsweise, wie halten Sie das mit dem Frühstücken?#

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