Heute mal eine kleine Sonntagsgeschichte zum Frühling – die weit in meine Jugend zurück führt. Es fing ganz harmlos an, als ich ein Foto einer Wiese mit Schlüsselblumen und den Text "Kuck mal, heute hat meine Schulfreundin das gespostet. Habe schon ewig keine Schlüsselblumen mehr auf Wiesen gesehen, vor allem nicht so viele auf einen Fleck. Da kommen Kindheitserinnerungen auf …. " erhielt. Und auch bei mir sprang sofort das Kopfkino an, welches mich fast 60 Jahre in die Vergangenheit katapultierte. Das Foto der Wiese mit Schlüsselblumen war einfach herrlich, und ich sah mich wieder auf dem Rücken auf einer Frühlingswiese oberhalb unseres Bauernhofs in der Sonne liegen liegen. Um mich herum Schlüsselblumen, und ich habe den Wolken nachgeschaut – so hab ich manchen Frühlings- und Sommertag verbracht …
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Schlüsselblumen, wo sind sie geblieben?
Alles war so einfach und so klar. Ja die Schlüsselblumen gab es auf den Wiesen der Kindheit. Ich habe immer die Blüten abgezupft und dann das bisschen Honig ausgesaugt – wenn ich so im Gras lag, den Flugzeugen am Himmel und den Kondensstreifen nachsah und die Gedanken auf Reisen schickte. Später im Jahr habe ich das mit dem Honigsaugen auch mit Kleeblüten fortgesetzt – waren so die typischen Freuden der Kindheit – nix Facebook, Instagram oder TikTok, was die heutige Generation ablenkt.
Schlüsselblume (April 2021)
Ich meinte aber, auch die letzten zwei, drei Jahre Wiesen mit Schlüsselblumen gesehen zu haben. Im Garten bei uns gab es auch welche – dachte, es ist noch nicht so weit, weil die heuer fehlten. Aber meine Frau meinte: Nee,nee, die sind bei der Umgestaltung des Gartens (vor drei Jahren) weitgehend zum Opfer gefallen – nur einige wenige kommen noch durch die Abdeckfolie im Vorgarten. Schon wieder ein Traum, der zerstob. Die obigen Fotos habe ich Samstag-Morgen bei der Nachbarin im Garten angefertigt. Als ich der älteren Dame ihre Brötchen, die ich vom Bäcker mitgebracht hatte, übergab, sah ich einige Schlüsselblumen und meinte "da muss ich ein Foto machen". Sie meinte "hinterm Haus habe ich eine Wiese voll" – und in der Tat standen dort Gänseblümchen und Schlüsselblumen herum.
Ein warmer Septembertag
Und dann war sie wieder da, die Erinnerung an einen noch warmen Septembertag. Es muss so nach 2000 gewesen sein – ich hatte mit Wahnsinns-Energie ein Excel-Buch (war glaube ich Excel XP) von 800 Seiten fertig gestellt und war über Wochen nicht so richtig raus aus dem Büro gekommen. Als dann die Last abfiel, bin ich spazieren gegangen – es war noch warm und ich bin in der Nähe des Taunusörtchens Königstein auf eine Wiese am Waldrand geraten. Es eröffnete sich ein herrlicher Blick auf die Burgruine des Ortes, und ich hab mich spontan auf den Rücken gelegt um eine lange Zeit den Wolken zugesehen und einfach nur die Stille und den Ausblick genossen. Das Kind in mir erwachte und ich genoss diese "Freiheit pur" … dachte mir "kann Leben schön sein" – auch noch mit (damals) 45.
Wiesenschaumkraut, hab dich zum Fressen gern
Und mir schoss der Gedanke durch den Kopf "eigentlich müsste das Wiesenschaumkraut auch bald blühen". Ich hatte 2017 ja was dazu im Blog-Beitrag Frühlingstipp: Wiesenschaumkraut – essbare Blüten geschrieben.
Wiesenschaumkraut 2017
Wiesenschaumkraut enthält in den Blütenköpfen viele Senföle – ich mag diesen scharfen Geschmack total. Es gibt hier einige Stellen – zum Beispiel ein Naturschutzgebiet mit angrenzenden Wiesen, die nicht wirklich intensiv bewirtschaftet werden – wo ich schon mal Blüten zum Essen pflücken kann. Letzte Woche und am Samstag kam ich bei einem langen Spaziergang an einem Hochbehälter für die Wasserversorgung im Taunus vorbei. Da ist alles eingezäunt – und das Wiesenschaumkraut stand dort in voller Blüte.
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Wiesenschaumkraut 2021
Ich musste natürlich jedes Mal die ersten Blüten durch den Zaun zupfen und essen – dieser Senf-artige scharfe Geschmack, immer wieder was, was begeistert. Die Person, die mir das Foto der Wiese mit Schlüsselblumen schickte, meinte zu diesem Thema: Wiesenschaumkraut habe ich immer in Sträußen für den 'Mai-Altar' gepflückt. Dass man das auch essen kann wusste ich nicht. So ist halt die Welt, unsereins denkt nur ans Essen.
Löwenzahn und Schnittlauch
Wobei wir beim nächsten Thema wären, denn die betreffende Person meinte noch: Bei uns gab es Löwenzahnsalat – hat mein Vater immer auf Feldern gesucht, die schon gepflügt waren und der Löwenzahn noch zu einem Großteil von Erde bedeckt war. Dann war er in diesem Teil noch gelb und hat nicht so bitter geschmeckt. Die Person meinte noch, dass das immer so im Frühjahr nach Ostern gewesen sei, wo übrig gebliebene Ostereier dann mit im Löwenzahnsalat verwertet wurden.
Weckte bei mir natürlich Kindheitserinnerungen. Auch Oma hat mit mir auf Wiesen frischen Löwenzahn (nannte sich bei uns in der Eifel "Plutschen") gesucht. Den Löwenzahnsalat gab es zusammen mit hart gekochten und in Scheiben geschnittenen Eiern – mochte ich sogar als Kind. Alternativ gab es Salate, die mit dem ersten Schnittlauch, etwas Sahne und hart gekochten und in Scheiben geschnittenen Eiern zubereitet wurden – in meiner Erinnerung schmeckten diese Salate einfach wunderbar und sind etwas, was die heutigen Kinder eher nicht mehr kennen.
Die Sache mit den Brennnesseln
Dann gibt es noch den Erinnerungsfetzen: Oma und ich hinter dem Pferdestall, wo immer Brennnesseln wuchsen. Wie oft musste ich so ab 6 oder 7 Jahren die Brennnesseln mit einer Sichel oder später Sense abmähen. Aber im zeitigen Frühjahr waren die jungen Brennnesseln noch zart. Oma nahm mich bereits mit 4 oder 5 Jahren mit. Ich durfte Gummi-Handschuhe anziehen, und hatte eine Schere, um junge Brennnesseltriebe in einen Eimer zu ernten. Oma konnte das als Bauernfrau mit bloßen Händen.
Dann ging es in die Küche und Oma bereitete diese Brennnesseln wie Spinat zu – in meiner Erinnerung (müssen wohl über die 60 Jahre arg verzerrt worden sein) schmeckte das mit Salz-Kartoffeln und einem gebratenen Spiegelei mit Speck einfach köstlich. Als ich dann vor Jahren auch noch Fernsehköche Brennnesselsuppe oder -speisen zubereiten sah, war es um mich geschehen. Was Oma konnte, dass kriegst Du doch auch hin – wäre ja gelacht …
Meine Frau war eher skeptisch – aber selbst ist der Mann. Also mal vor einigen Jahren einen Stoffbeutel, eine Schere und Einmalhandschuhe geschnappt und in den Wald gegangen. Dort wo junge Brennnesseln wuchsen, aber keine Hunde entlang geführt wurden. Einmalhandschuhe angezogen und junge Brennnesseltriebe in meinen Beutel gesammelt. Ich formuliere es mal so: Trotz der Latex-Handschuhe stachen die Brennhaare in die Haut und Rheuma kriege ich bestimmt keines mehr. Keine Ahnung, wie Oma dies mit bloßen Händen hinbekommen hat und die jungen Brennnesseln erntete.
Dann die Beute nach Hause gebracht, gewaschen und in einem großen Topf Zwiebeln in Öl angeröstet – hm, wird dir der Brennnessel-Spinat schmecken. Und vor meinem Auge zogen die Kindheitsbilder auf. Ich habe dann Brennnesseln in den Topf getan und köcheln lassen. Etwas mit Brühwürfel gewürzt, aber irgend etwas stimmte nicht. Das Ganze war ein grünlich graues etwas, was dort im Topf gar gekocht war. Hab noch versucht, mit einem Pürierstab drin herum zu fuhrwerken. Aber so richtig appetitlich sah das alles nicht wirklich aus.
Vielleicht schmeckt es ja besser, als es aussieht, so der letzte Gedanke im Hirn. Also eine Ladung auf den Teller geschaufelt – Frau hatte sich verweigert – Salzkartoffeln und ein Spiegelei dazu – denk daran, wie gut das bei Oma geschmeckt hat. Ich formuliere es mal vorsichtig: Grün-grauer Filz in einen Topf mit angerösteten Zwiebeln und Öl gegeben, hätte vermutlich das gleiche Mundgefühl hervorgerufen. Ich habe die Brennnesseln weg kippen müssen. Meine Erklärung: Irgend etwas muss wohl schief gelaufen sein – oder es stimmt was mit den Erinnerungen nicht.
Bärlauch in Massen
Dafür gibt es jetzt etwas, was ich in meiner Jugend nicht kannte: Bärlauch. Vor einem Jahrzehnt fing es plötzlich an, dass bessere Köche Gerichte mit Bärlauch auf die Speisekarte setzten. Ich erinnere mich, in einem Lokal eine Bärlauchsuppe gegessen zu haben, die einfach nur als himmlisch zu bezeichnen war. Ich habe mich mit dem Koch unterhalten und fragte, wie er dieses Aroma in die Suppe bekommen habe – denn wenn ich Bärlauch in eine Suppe gebe, würde es fade. Er verriet mir, dass er den Bärlauch in Butter untermischte, das Ganze einfror und einfach solche gefrorenen Würfel in die Suppe gebe.
Bärlauch an einer Begrenzungsmauer in meinem Garten
Dann brachte die Nachbarin vor ca. 10 Jahren einige Bärlauchpflanzen aus ihrer ursprünglichen fränkischen Heimat mit, um diese in ihrem Garten zu pflanzen. Ich bekam auch eine oder zwei Bärlauchzwiebeln, die ich an eine Betonwand zwischen unseren Gartengrundstücken eingrub. Während der Bärlauch bei der Nachbarin kümmerte, wuchert es jetzt im zeitigen Frühjahr an der Betonwand auf 20 Metern Länge. Ich habe so viel Bärlauch, dass ich die Nachbarschaft versorgen und noch auf dem Markt damit gehen könnte. Gibt aktuell öfters selbstgemachte Pasta mit Bärlauch-Pesto – oder Bärlauchblätter fein gehackt auf frischen Spargel. Im Blog-Beitrag Bärlauch, ein feines Wildgemüse im Frühjahr sich noch einige Küchentipps für Bärlauch-Fans.
War jetzt ein krasser Trip durch die Botanik, gemischt mit Erinnerungen aus der Kindheit, in die sich wohl auch einige Erfahrungen aus dem Erwachsenenleben vermengen. Um herauszufinden, dass die Blüten von Wiesenschaumkraut essbar sind, habe ich erst sechs Jahrzehnte auf dem Buckel haben müssen. Auch Bärlauch kannte ich früher nicht – stoße aber jetzt immer wieder auf wilde Bärlauchpflanzen, wenn ich in der Natur in Deutschland unterwegs bin. Nur an dem Thema Brennnesseln scheiden sich die Geister – aktuell verwende ich diese nur für Brennessel-Jauche, um Tomaten zu gießen – sozusagen eine indirekte Verwertung von Brennnesseln, die nach der Transformation in Tomaten einfach richtig gut schmecken. Das hat selbst Oma nicht gekonnt.
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