James Webb-Entdeckung: Sechs massereiche superalte Galaxien

In Aufnahmen des James Webb Weltraumteleskops sind Wissenschaftler auf eine faustdicke Überraschung gestoßen. Sie haben in den Aufnahmen mehrere rätselhafte Objekte entdeckt, bei denen es sich um sechs potenzielle Galaxien handelt. Das Problem: Diese massereichen Galaxien sind extrem alt und müssen so früh in der Geschichte des Universums entstanden sein, dass dies nach der derzeitigen kosmologischen Theorie nicht möglich sein sollte.


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Jede der Kandidatengalaxien könnte zu Beginn des Universums, etwa 500 bis 700 Millionen Jahre nach dem Urknall, also vor mehr als 13 Milliarden Jahren, entstanden sein. Sie sind außerdem gigantisch und enthalten fast so viele Sterne wie die heutige Milchstraße.

Das internationale Team von Astrophysikern hat diese Erkenntnis in einer neuen Studie  (10.1038/s41586-023-05786-2) vorgestellt (siehe auch diese Eurekalert-Mitteilung). "Das ist der Wahnsinn", sagt Erica Nelson, Mitautorin der neuen Studie und Assistenzprofessorin für Astrophysik an der University of Colorado Boulder. "Man erwartet einfach nicht, dass das frühe Universum in der Lage war, sich so schnell zu organisieren. Diese Galaxien hätten keine Zeit gehabt, sich zu bilden."

Nelson und ihre Kollegen, darunter Erstautor Ivo Labbé von der Swinburne University of Technology in Australien, veröffentlichten ihre Ergebnisse am 22. Februar in der Zeitschrift Nature.

Webb hat noch ältere Galaxien entdeckt

Bei den jüngsten Funden handelt es sich nicht um die frühesten Galaxien, die von James Webb beobachtet wurden. James Webb wurde im Dezember 2021 gestartet und ist das leistungsstärkste Teleskop, das jemals ins All geschickt wurde. Letztes Jahr entdeckte ein anderes Team von Wissenschaftlern vier Galaxien, die wahrscheinlich etwa 350 Millionen Jahre nach dem Urknall aus Gas zusammengewachsen sind. Diese Objekte waren jedoch im Vergleich zu den neuen Galaxien geradezu schrumpelig und enthielten ein Vielfaches an Masse aus Sternen.

Die Forscher benötigen noch weitere Daten, um zu bestätigen, dass diese Galaxien so groß sind, wie sie aussehen, und dass sie so weit in die Vergangenheit zurückreichen. Ihre vorläufigen Beobachtungen geben jedoch einen verlockenden Vorgeschmack darauf, wie James Webb die Lehrbücher der Astronomie neu schreiben könnte.

"Eine andere Möglichkeit ist, dass es sich bei diesen Dingen um eine andere Art von seltsamen Objekten handelt, wie zum Beispiel schwache Quasare, was genauso interessant wäre", so Nelson.

Unscharfe Punkte

In der Mitteilung heißt es, dass dDie Aufregung riesengroß sei: Letztes Jahr bildeten Nelson und ihre Kollegen aus den Vereinigten Staaten, Australien, Dänemark und Spanien ein Ad-hoc-Team, das die Daten untersuchte, die James Webb zur Erde schickte.


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Ihre jüngsten Ergebnisse stammen aus dem Cosmic Evolution Early Release Science (CEERS) Survey des Teleskops. Diese Bilder blicken tief in einen Bereich des Himmels in der Nähe des Großen Wagens – eine, zumindest auf den ersten Blick, relativ langweilige Region des Weltraums, die das Hubble-Weltraumteleskop erstmals in den 1990er Jahren beobachtete.

Nelson betrachtete einen briefmarkengroßen Ausschnitt eines Bildes, als ihr etwas Seltsames auffiel: ein paar "unscharfe Lichtpunkte", die viel zu hell aussahen, um echt zu sein. "Sie waren so rot und so hell", sagte Nelson. "Wir hatten nicht damit gerechnet, sie zu sehen.

Sie erklärte, dass in der Astronomie rotes Licht in der Regel mit altem Licht gleichzusetzen ist. Das Universum, so Nelson, dehnt sich seit Anbeginn der Zeit aus. Während es sich ausdehnt, bewegen sich Galaxien und andere Himmelsobjekte weiter auseinander, und das Licht, das sie aussenden, dehnt sich aus – man kann es sich wie das kosmische Äquivalent von Salzwasser-Toffee vorstellen. Je mehr sich das Licht ausdehnt, desto röter erscheint es für menschliche Instrumente. (Das Licht von Objekten, die sich der Erde nähern, sieht dagegen blauer aus).

Das Team führte Berechnungen durch und entdeckte, dass ihre alten Galaxien ebenfalls riesig waren und Dutzende bis Hunderte von Milliarden sonnengroßer Sterne beherbergten, deren Masse mit der der Milchstraße vergleichbar ist.

Diese Urgalaxien hatten jedoch wahrscheinlich nicht viel mit unserer eigenen Galaxie gemeinsam. "In der Milchstraße entstehen jedes Jahr etwa ein bis zwei neue Sterne", so Nelson. "Einige dieser Galaxien müssten während der gesamten Geschichte des Universums Hunderte von neuen Sternen pro Jahr bilden."

Weitere Untersuchungen geplant

Nelson und ihre Kollegen wollen mit James Webb noch viel mehr Informationen über diese mysteriösen Objekte sammeln, aber sie haben bereits genug gesehen, um ihre Neugierde zu wecken. Berechnungen legen nahe, dass es zu dieser Zeit nicht genug normale Materie – die Art, aus der Planeten und menschliche Körper bestehen – gegeben haben dürfte, um so viele Sterne so schnell zu bilden. "Wenn auch nur eine dieser Galaxien real ist, stößt sie an die Grenzen unseres Verständnisses der Kosmologie", so Nelson.

Ein Blick in die Vergangenheit

Für Nelson sind die neuen Erkenntnisse die Krönung einer Reise, die bereits in der Grundschule begann. Als sie 10 Jahre alt war, schrieb sie einen Bericht über das Hubble-Teleskop, das 1990 in Betrieb genommen wurde und heute noch aktiv ist. Nelson war fasziniert.

"Das Licht braucht Zeit, um von einer Galaxie zu uns zu gelangen, was bedeutet, dass man in der Zeit zurückblickt, wenn man sich diese Objekte ansieht", sagte sie. "Ich fand dieses Konzept so umwerfend, dass ich in diesem Moment beschloss, dass dies das war, was ich mit meinem Leben machen wollte."

Das schnelle Tempo der Entdeckungen mit James Webb ähnelt sehr den Anfängen von Hubble, so Nelson. Damals glaubten viele Wissenschaftler, dass sich Galaxien erst Milliarden von Jahren nach dem Urknall bilden würden. Doch schon bald entdeckten die Forscher, dass das frühe Universum viel komplexer und spannender war, als sie es sich vorstellen konnten.

"Auch wenn wir unsere Lektion bereits von Hubble gelernt haben, haben wir nicht erwartet, dass James Webb so reife Galaxien sehen würde, die so weit in der Vergangenheit existieren", sagte Nelson. "Ich bin so aufgeregt."

Weitere Co-Autoren der neuen Studie sind Pieter van Dokkum von der Yale University, Katherine Suess von der University of California, Santa Cruz, Joel Leja, Elijah Matthews und Bingjie Wang von der Pennsylvania State University, Gabriel Brammer und Katherine Whitaker von der University of Coppenhagen sowie Mauro Stefanon von der University of Valencia.

Das James-Webb-Weltraumteleskop

Das James-Webb-Weltraumteleskop (engl.: James Webb Space Telescope, abgekürzt JWST oder Webb) ist ein gemeinsames Projekt der Weltraumagenturen NASA, ESA und CSA. Nach jahrelangen Verzögerungen startete es am 25. Dezember 2021 mit einer Ariane-5-Trägerrakete und trat dann seine Reise zum Zielpunkt an. Dieser liegt am Lagrange-Punkt L2, hinter dem Mond – wobei es dort auf einer Bahn um den Punkt L2 kreist, die so gewählt ist, dass nur minimal Treibstoff zur Bahnkorrektur benötigt wird. Das Teleskop schaut immer zur Sonne abgewandten Seite in den Weltraum, denn es arbeitet im Infrarot-Bereich. Mit dem Sonnensegel soll der Infrarot-Empfänger von jeglicher Wärmestrahlung der Sonne abgeschirmt werden, so dass er auf −223 Grad Celsius abkühlt.

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