Mein Gipfelsturm auf den Wilseder Berg …

Wilseder Berg; Quelle: Willow CC BY 2.5 WikimediaHeute mal wieder eine sehr spezielle Geschichte, die mir in diesem Leben vor vielen, vielen Jahren, genau gesagt, am 12. April 1981, persönlich passiert ist. Ich hatte mich, auf Einladung von guten Freunden, zum Gipfelsturm auf den Wilseder Berg eingefunden. Ist aber eine etwas melancholische Geschichte, denn damals war Jugend, und wir wollten die Sterne vom Himmel holen. Die Freunde wollten mir dabei etwas Gutes tun, damit ich endlich wieder Berge sehe. Ist aber irgendwie schief gegangen. Und diese Vergangenheit hat mich kürzlich eingeholt.


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Die Erinnerung geweckt hat ein persönlicher Facebook-Post einer meiner ehemaligen Markt+Technik-Lektoren aus München. Jörg war heuer auf Urlaub im Norden und postete ein Foto mit dem Text "Höchster Punkt der Lüneburger Heide. Leider kein Gipfelbuch vorhanden …".

Mit dem höchsten Berg in der Lüneburger Heide ist der Wilseder Berg gemeint, der sich auf wuchtige 169,2 Meter Normalhöhe erhebt. Entstanden ist die Erhebung während der vorletzten Eiszeit, der Saaleeiszeit; es handelt sich dabei um einen Teil einer Endmoräne. Der Berg hat ein ausgedehntes Hochplateau und einen flachen Gipfel. An den Rändern ist er vielgestaltig ausgeprägt mit Mulden, Tälern und kleinen Schluchten. Aber das wusste ich 1981 alles nicht, wenn mir auch der Name des "Bergs" ein Begriff war.

Und zum Thema Gipfelbuch noch ein kurzer Hinweis: Wer in München lebt, kraxelt auch schon mal in den Alpen herum, und auf diesen Bergen gibt es dann ein Gipfelbuch – meist beim Gipfelkreuz, verstaut in einer Blechkiste – in das sich der Wanderer/Kletterer eintragen kann. Klar, dass Jörg das Gipfelbuch vermisst hat …

Depressiver Norden

Als ich Anfang Oktober 2021 den obigen Post auf Facebook mit dem Gipfelstein sah, war sofort mein persönliches Erlebnis mit dem Wilseder Berg vom 12. April 1981 wieder präsent. Ist eine persönliche, aber auch etwas traurige Geschichte. Zwischen 1979 und 1981 habe ich als frisch gebackener Ingenieur in der Luft- und Raumfahrtindustrie in Bremen gearbeitet. Die flache Wesermarsch hätte mich fast in Depressionen getrieben, weil mir die "Berge" (oder zumindest die Hügel, die ich aus der Eifel kannte) fehlten. Und mit der Art der Norddeutschen hatte ich in Bremen auch so gewisse Probleme, Rheinländer sind anders – auch wenn Menschen aus der Eifel etwas maulfauler sind.

Jedenfalls vermisste ich die bewaldeten Hügel der Eifel massiv. Und plötzlich war irgendwie alles doof. Wenn wir Weihnachten oder Ostern von Bremen in die Eifel fuhren, und ich dann die Vulkanhügel der Eifel bei Mayen sah, ging mir das Herz auf. Und dann die bewaldeten Hügel der Eifel, wo ich von den Feldern rund um unseren Bauernhof bis zur 20 km entfernten Mosel sehen konnte. Da ging es mir immer schlagartig besser. Meiner Frau machte der flache Norden dagegen nichts aus …

Und kommt der Berg nicht zum Propheten …

Ich hatte aber einen Arbeitskollegen, der als junger Ingenieur drei Monate vor mir beim Arbeitgeber seine erste Stelle angetreten hatte. Meine Frau und ich waren sehr schnell mit dem Kollegen und dessen Ehefrau, die im gleichen Alter waren, sehr, sehr gut befreundet. Wir haben viel zusammen unternommen. Beide stammten aus Norddeutschland und hatten mit der flachen Wesermarsch keine Probleme, merkten aber, dass es mir mental nicht so wirklich gut ging.


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An einem Wochenende luden sie uns ein, einen Berg in der Nachbarschaft Bremens zu besuchen, um mich in bessere Stimmung zu bringen. Das Angebot nahm ich mit meiner Frau gerne an, endlich würde ich wieder Berge, oder wenigstens einen Berg sehen. Den Namen der Erhebung habe ich vergessen – aber mir fiel die Kinnlade herunter, als ich gefragt wurde: "Na, geht es dir jetzt besser, da ist dein Berg?" und ich vor einem Hügelchen von vielleicht 10 bis 20 Meter Höhe mit einigen Bäumen drauf stand. Für unsere Freunde, die im Norden geboren worden war, war das ein richtiger Berg …

Was mir noch ein Erinnerung geblieben ist (ich meine jedenfalls, es war auf diesem Ausflug, möglicherweise aber auch erst bei der Stippvisite zum Wilseder Berg): Nach dieser Enttäuschung, die auch unseren Freuden nicht verborgen blieb, kehrten wir noch in einem Café ein, wo ich erstmals in meinem Leben ein Stück Buchweizentorte aß. Buchweizen-Backwaren war seinerzeit kaum bekannt, aber das Ding schlechthin. War auch nicht so der Brüller – eigentlich ein total enttäuschendes Wochenende, hatte ich mich doch "soo auf meinen Berg" gefreut. Eigentlich hätte ich den Beiden die Füße vor Dankbarkeit küssen müssen, denn die haben quasi Handstände gemacht, um mich mental aufzubauen. Aber die Enttäuschung muss mir ins Gesicht geschrieben gewesen sein.

Exkursion zum Wilseder Berg

Nach dem ersten Reinfall wollten mir die Freunde dann doch eine Freude machen und etwas drauf satteln. Einige Wochen nach der obigen Episode kam der Vorschlag unserer Freunde  "lasse uns kommenden Sonntag zum Wilseder Berg fahren". Der besagte Sonntag war der 12. April 1981, das Wetter war gut und es gab bei der Anfahrt auch keinen Stau.

Wieso ich nach 40 Jahren noch weiß, was ich am Sonntag den 12. April 1981 getrieben habe? Na klar, der Gipfelsturm zum Wilseder Berg hat sich unauslöschlich in meine jugendlichen Erinnerungen gebrannt. Wenn das Stichwort Wilseder Berg fällt, steht sofort 12. April 1981 vor meinem geistigen Auge – selbst Nachts um halb Eins. Ok, ok, ich habe jetzt schamlos geflunkert, was das Datum betrifft. Im Hinterkopf war bei mir nur, dass es entweder 1980 oder 1981 so im Frühjahr/Sommer gewesen sein musste, als wir zu diesem Berg fuhren.

Aber ich kann das Datum leicht recherchieren. Wenn wir heute zusammen telefonieren, ist bei den Freunden noch in Erinnerung, dass ich mit einem Batterie-betriebenen kleinen Transistorradio am Ohr unterwegs war. Sprich: Ich bin durch die Heide gelatscht, und habe die Live-Berichterstattung vom ersten Start des US-Spaceshuttle Columbia mit verfolgte. Und dieser Start erfolgte am Sonntag, den 12. April 1981. Dieses Ereignis des Spaceshuttle-Starts war für mich wichtig, arbeitete ich doch als junger Ingenieur in der Luft- und Raumfahrt. Studienkollegen von mir arbeiteten bei der Erno in Bremen am Spacelab mit, welches am 28.11.1983 erstmals mit einem Spaceshuttle ins All flog.

Wo ist denn der Berg …

Bei mir gibt es dann noch die Erinnerung: Irgendwann habe ich das Radio abgeschaltet, weil das Spaceshuttle erfolgreich gestartet war. Nach längerem Latschen in der Heide, bei dem wir den Schildern "zum Wilseder Berg" folgten,  entfuhr es mir "verdammt, wann sehen wir endlich den versprochenen Berg". Als ich dann einen Wanderer sah, der vor einem Stein stand, fragte ich diesen "können Sie mir sagen, wo wir den Wilseder Berg finden". Der Mann schaute mich ganz entgeistert an und meinte, sie stehen doch drauf.


Wilseder Berg, Gipfelstein mit Metallplatte mit Entfernungsangaben: die sogenannte Gauß-Säule, Quelle: MrsMyer CC BY-SA 3.0, Wikimedia

Gab damals noch keine Digitalkameras, also auch keine Fotos. Das obige Foto des Gipfelsteins sowie das eingangs gezeigte Foto des Hügelchens entstammen der Wikipedia-Seite. Heute wird mir bewusst, wie bemüht unsere Freunde waren, um mir den Aufenthalt im Norden und in der flachen Wesermarsch erträglicher zu gestalten. Und die Freundschaft hat bis heute gehalten, nur hat die Enttäuschung über den "Berg im Norden" bei mir einen Fluchtreflex ausgelöst.

Ich bin dann mal weg …

Zur Enttäuschung unserer Freunde habe ich den Abflug in Bremen gemacht und bin am 1. Juli 1981 – also vor fast genau 40 Jahren – in den Taunus (vor den Toren Frankfurts) gezogen. Da hatte es für mich Berge (keine Alpen, aber genügend Hügel, die mich an Eifel oder Schwarzwald erinnern). Ich bin dann im Taunus heimisch geworden und genieße täglich, wie genial die Wälder und die Ausblicke auf die Hügel dieses kleinen Gebirgsausläufers sind. Die depressive Stimmung, die mich im Norden befiel, war nach dem Umzug in den Taunus wie weggeblasen. Nachfolgendes Foto zeigt den Blick von meinem Hausberg, dem Staufen, auf die Landschaft des Taunus mit dem Großen Feldberg.

Blick vom Staufen auf den Taunus
Blick vom Staufen auf den Taunus

Beruflich begann für mich mit dem Wechsel eine spannende Zeit (12 Jahre) als Ingenieur in der Großchemie, die mich bis nach Japan führte. Dort habe ich dann mit der Besteigung des Fujijama (富士山) meinen persönlichen Gipfelsturm erlebt, und kann eine Besteigung eines echten Dreitausenders ins Buch des Lebens eintragen (der Fujiyama ist zwar ein Vulkan, aber mit 3776,24 Metern der höchste Berg Japans). Aber das ist eine andere Geschichte, die ich in meinem Japan-Blog verewigt habe.

In der Zeit von Juli 1981 bis September 1993 habe ich mir die IT-Grundlagen erarbeitet, um mir später die Meriten als IT-Autor und heute als Blogger zu verdienen. Waren großartige Berufsjahre, die mich vor 40 Jahren fast in den Abgrund geführt hätten, weil es im Norden keine Berge gab (ich hätte nach Norwegen gemusst).

Aber heute ist alles gut – ich habe meine Berge vor Augen, kann täglich durch die Taunuswälder rennen und bin beruflich im Schlaraffenland. Denn 1993 habe ich mein Hobby zum Beruf gemacht und musste seit dieser Zeit nie wieder arbeiten. Denn seit 1988 schreibe ich Computerbücher oder Zeitschriftenartikel über diese Thematik und lebe seit 1993 als freiberuflich tätiger Autor davon.

Seit 2007 bin ich als Blogger unterwegs, der sich seit 2016 über diese Schiene finanziert. Inzwischen bin ich zwar Rentner, aber weiterhin als Blogger in einer Art Unruhestand, der die Schreibe noch nicht ganz an den Nagel hängen will. War eine lange Reise, wenn ich so zurückblicke – und ich hätte mir nie vorstellen können, dass mir mal Berge fehlen könnten.

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